Mesopotamische Schicksale

Zum Roman „Brief in die Auberginenrepublik“ von Abbas Khider

Von Natalia Blum-BarthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Natalia Blum-Barth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wie in den beiden ersten Romanen bleibt Khider in seinem dritten Buch dem Themenkomplex um sein Heimatland Irak und seine Landsleute treu. Das Spannende an diesem Buch ist, dass sieben einzelne und konträre Schicksale in orientalischer Tradition in vielstimmig wechselnden Perspektiven erzählt werden. Das Ergebnis ist ein kurzweiliges und packendes Buch, ein buntes Bild der irakischen Gesellschaft und eine subtile Offenbarung ihrer Katastrophe. Dabei analysiert, kommentiert und klagt Khider nicht. Er erzählt. Gekonnt schlüpft er in die Rolle des jeweiligen Protagonisten und berichtet vom Leben aus dessen Perspektive.

Der Roman beginnt mit der Geschichte eines jungen Salim Al-Kateb, der aus dem Irak fliehen musste und seit zwei Jahren als Bauarbeiter in Bengasi lebt. Er schreibt einen Brief an seine Freundin in Bagdad. Da er den Brief nicht einfach auf dem Postamt aufgeben kann, bringt er ihn zu einem Reiseunternehmer. Für sehr viel Geld sorgt ein gut organisierter Schmugglerring dafür, dass illegale Briefe ihre Adressaten im Irak erreichen. Zusammen mit dem Brief reist auch der Leser: von Bengasi über Kairo und Amman nach Bagdad. Die sieben Stationen des Briefes geben den Anlass, die Geschichte der Menschen zu erzählen, in deren Hände er geraten wird.

Wenn in der ersten Hälfte des Buches neben Salim ein Taxifahrer, ein Reiseleiter und ein Lastwagenfahrer die Protagonisten sind, so treten in der zweiten Hälfte ein Polizist, ein Oberst und seine Ehefrau auf die Erzählbühne. Die Kluft zwischen ihnen besteht darin, dass die ersten Opfer des Saddam-Regimes sind, die anderen – seine Handlanger und Nutznießer. Privilegiert sind sie alle: die im Ausland lebenden Iraker, weil sie fliehen konnten; die Protagonisten im Irak, weil sie Regierungstreue und Machthaber sind.

Ohne viel vom Inhalt zu verraten, sei erwähnt, dass es einen zweiten Brief in diesem Roman gibt. Diesen schrieb Najat an Miriam, als deren Mann – ein hoher Beamter in der Sicherheitsbehörde Saddams – seiner Frau nach der Heirat den Kontakt zur früheren Freundin verboten hatte. Khider schildert in diesem Brief das Schicksal einer Märtyrerwitwe in einem System korrupter Schergen, in einer Gesellschaft mit Doppelmoral und in einem Land, in dem die Frauenunterdrückung oft bereits in der eigenen Familie beginnt. Diese Zeilen erschüttern und empören. In schlichten Sätzen und mit wenigen Worten zeigt Khider, wie ganz normale Menschen zu Kriminellen, Vergewaltigern und Mördern werden. Gleichzeitig lässt er die Sehnsucht und Trauer von Salim, Najat und Latif Mohamed spüren. Dabei erzählt er nicht direkt von diesen Gefühlen, sie entstehen zwischen den Zeilen.

Salims Brief wird seine Freundin, Samia, nicht erreichen. Mehr soll hier nicht verraten werden. Die Glaubwürdigkeit dieser Geschichten nimmt man Khider ab, weil das Leben oft die Fantasie des Dichters übertrifft.

Seinem Roman stellte Khider das Gedicht „Nichts bleibt“ von Rose Ausländer voran. „Die Scherben zu kleben / zu einem Gefäß“ ist nicht nur das Schicksal der Protagonisten in diesem Buch, sondern vieler Menschen im Irak. Möge es ihnen „glücken“! Dem Roman seien viele Leser gewünscht, denn empfehlenswert ist er aus mindestens zwei Gründen: Er bietet eine gute Unterhaltung und rüttelt wach.

Titelbild

Abbas Khider: Brief in die Auberginenrepublik. Roman.
Edition Nautilus, Hamburg 2013.
160 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783894017705

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