In Gesellschaft von Rolex-Trägern

In Jonas Lüschers Novelle „Frühling der Barbaren“ verschwindet in der Krise auch der dünne Firnis der Zivilisation

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der junge Schweizer Autor Jonas Lüscher (Jahrgang 1976) – „Frühling der Barbaren“ ist sein Prosadebüt – weiß, worauf er sich einlässt, wenn er seine Geschichte in die sowohl klassische wie auch strenge Form der Novelle kleidet. Nichts Überflüssiges lässt die zu, überall haben Reduktion und Konzentration auf das Wesentliche zu herrschen. Wenn dann noch eine „unerhörte Begebenheit“ erzählt wird – und was wäre augenblicklich unerhörter als die Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten – ist sogar dem großen Goethe Genüge getan. Und zu guter Letzt führt Lüscher auch ein Novellensymbol, einen „Falken“ im Sinne Gustav Freytags, in seinen Text ein: das Kamel.

Letzteres geht bekanntlich eher durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt (Markus-Evangelium 10,25). Und (Neu-)Reiche sind es auch, die sich in der kleinen tunesischen Oase Tschub versammelt haben, um die Hochzeit eines der Ihren standesgemäß zu feiern. Eher zufällig gerät der Schweizer Fabrikantensohn Preising in diese Gesellschaft von Rolex-Trägern und Porsche-Fahrern, die es in der Gegenwart richtig krachen lassen, ohne auch nur einen Gedanken an das Morgen zu verschwenden. Das Aufwachen nach der opulenten Partynacht ist deshalb auch entsprechend bitter. Denn England ist bankrott gegangen, während die Yuppies samt Anhang im orientalischen Ambiente ihren Vollrausch ausschliefen.

Ganz dem tradierten Novellenstil verpflichtet, bettet Lüscher seine Geschichte in den Rahmen einer Erzählsituation als Binnenhandlung ein. Indem er seinen Fabrikerben Preising mit dem Ich-Erzähler Runden auf dem Gelände einer psychiatrischen Anstalt drehen lässt, gibt er diesem die Gelegenheit sich mitzuteilen, während das ab und an sich einmischende Erzähl-Ich dafür sorgt, dass dem Redefluss Preisings Grenzen gesetzt werden.

Nachdem die Katastrophe England getroffen hat, bekommt natürlich auch die ausgelassene Finanzjüngerschaft im Tausendundeine-Nacht-Ressort ihren Teil ab. Während die Smartphones ein letztes Mal klingeln, um ihre Besitzer in Kenntnis darüber zu setzen, dass sie sich ab sofort nach einem neuen Job umsehen müssen, schickt die Besitzerin der Ferienanlage ihre Angestellten nach Hause und stellt auf Notversorgung um, denn sie ahnt bereits, dass ihre Gäste die durch den Verfall des Pfunds astronomisch gewordene Summe, die man ihr schuldet, nie und nimmer werden aufbringen können. Der Rest des Textes gehört jenen schon vom Titel aufgerufenen Barbaren, zu denen eine Gesellschaft mutiert, die gewohnt war, sich alles leisten zu können für ihr Geld – und nun, da dieses wertlos ist, zurückfällt in vorzivilisatorische Verhaltensweisen, die bald erste Todesopfer fordern.

„Frühling der Barbaren“ kommt zivilisations- und kapitalismuskritisch daher, ohne aus dem gesellschaftlichen Dilemma, das es heraufbeschwört, herauszufinden. Der sich dem Erzähler offenbarende Preising ist ein Zauderer und lebensuntüchtiger Schöngeist, der sich an einer Pariser Gesangsschule wohler zu fühlen scheint als beim Studium der Betriebswirtschaftslehre, zu dem sein Vater ihn verdonnert hat. Als Fabrikbesitzer wäre er glatt verloren, würde nicht ein Herr Prodanovic aus dem Hintergrund die Geschicke der geerbten „Kommanditgesellschaft für Televisionsempfang und Dachantennen“ lenken – und dabei nicht weniger rücksichtslos vorgehen wie all jene Banker, denen Preising auf seiner Urlaubsreise begegnet, die natürlich auch die graue Eminenz der Firma unter dem Aspekt, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, organisiert hat. Als ihm später die Kinder präsentiert werden, die der tunesische Zulieferer für ihn arbeiten lässt, wird Preising klar, dass der Unterschied zwischen ihm und den verachteten Finanzjongleuren so groß wohl nicht ist. In dieser Erkenntnis liegt dann sicher auch der Grund verborgen, dass der Leser Lüschers Protagonisten als Insassen einer Nervenheilanstalt begegnet.

Titelbild

Jonas Lüscher: Frühling der Barbaren. Novelle.
Verlag C.H.Beck, München 2013.
125 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783406646942

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