Herbstblütenfest gegen Berufsverkehr

Über Robert B. Parkers Krimi „Das dunkle Paradies“

Von Pepe DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pepe Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 „Tom nails the character“ soll Robert B. Parker über Tom Selleck gesagt haben. Der Autor war von Sellecks Arbeit begeistert, welcher mit immerhin 59 Jahren die Rolle des abgehalfterten Polizisten Stone in einer Reihe von TV-Filmen übernahm: Jesse Stone, das lakonische Pendant zu Spenser, Parkers berühmtestem Hard-Boiled-Ermittler. Die Figur ist in Deutschland eher aus den TV-Adaptionen bekannt, als aus den zugrunde liegenden Kriminalromanen. Denn nur zwei der Vorlagen wurden ins Deutsche übersetzt, „Terror auf Stiles Island“ (1998) und „Das dunkle Paradies“ (1997) – letztere liegt nun in einer neuen Ausgabe des Pendragon Verlags vor.

Darin wird der vom beinharten Alltag der Los Angeles Mordkommission gegerbte Polizist Jesse Stone wegen Trunkenheit im Dienst suspendiert und bewirbt sich um den Posten des Polizeichefs im fiktiven Paradise, Massachusetts. Das 25.000-Einwohner-Städtchen am anderen Ende der Vereinigten Staaten wirkt in „Das dunkle Paradies“ immer etwas enger und überschaubarer, als man sich eine Ostküstenstadt, maximal zwei Autostunden von Boston entfernt, vorstellen mag.

Jesse lässt Exfrau und -stelle zurück, fährt rund 3.000 Meilen von L.A. nach Paradise und sitzt eine Scotch-Nacht und einen Kater später mit Jackett und Schnapsfahne im Vorstellungsgespräch Stadträten und seinem Vorgänger gegenüber. Er selbst hätte sich den Job nicht gegeben, gibt er später zu. Unverblümt und einsilbig wie er überhaupt alle seine Gespräche führt. Hätte Spenser seinen Charme auch im tristen Paradise auf Frotzeleien und einen schmissigen Humor gebaut, scheint Stone auf beinahe alles zu pfeifen, was mit gutem Ruf und Ansehen zu tun hat. Was kein Bisschen weniger charmant herüberkommt; auch seiner Affäre macht er nichts vor, knallt dieser die Wahrheit um seine kaum verschmerzte Scheidung vor den Latz, als ginge es um eine gute Bekannte. Parker lässt Stones Selbstzweifel hier in einem merkwürdigen aber immer authentischen Einklang mit seinem unerschütterlichen Selbstbewusstsein existieren. Ambivalenz ist ein Leitmotiv der gesamten Geschehnisse in Paradise. Anstand neben Ausschweifung, Ambition neben Lethargie, Gastfreundschaft neben Fremdenhass. Gerade der Impetus des Argwohns Fremden gegenüber ist ein weiteres wichtiges Leitmotiv der dunklen Machenschaften in Paradise, auch wenn Stone dieser zu Beginn noch verklausuliert entgegenschlägt. Dabei lässt er sich jedoch kaum einen Moment aufs Glatteis falscher Freundschaften führen, meidet das unbekannte Terrain des Dorfklüngels doch meist konsequent, indem er schlicht schweigt. Er sei noch nie in Schwierigkeiten geraten, weil er zu viel geredet habe, führt er mehrfach an. Man glaubt es ihm, der über weite Strecken nicht mehr tut, als die Aussagen seines Gegenübers in verkürzter Form zu wiederholen, sofort.

Jesse Stone hat etwas Veteranenhaftes, das sich dem Leser erst in Krisensituationen in seinem ganzen Ausmaß zeigt. Als er nach Paradise kommt, bringt er ein Stück L.A. mit sich. Er hat keine Angst vor dem ortsüblichen Schläger Jo Jo, dem stets um seine Virilität bemühten, muskulösen Kraftprotz samt dazugehörenden Drohgebärden – Stone tritt ihm bei erstbester Gelegenheit, einem Fall von häuslicher Gewalt, ohne Hemmungen in die Weichteile. Eine Szene, die Tom Selleck ganz besonders gefallen haben soll und die ohne Änderung auch in der TV-Adaption enthalten ist.

Jesse gegen Paradise, das ist Kleinstadtrasen gegen Metropolenasphalt, Herbstblütenfest gegen Berufsverkehr … Paradise hat von Anfang an kaum eine Chance. So fragt man sich eigentlich nur, ob die bösen Jungs hinter ihrer etwas lächerlich anmutenden Veranstaltung einer Gangsterparodie wirklich so böse sind, dass sie doch ernsthaft gefährlich werden können. Denn auch Stone, ganz gleich, welche Widrigkeiten er im Großstadtmoloch ertragen hat, welche Greul er mitansehen musste, irrt sich mal.

Das dunkle Paradies ist keine faustschwingende Räuberpistole auf dem rauen Granit der Bostoner Straßen, sondern ein melancholischer Marsch durch ein verlogenes Kleinstadtidyll, der sein Licht längst nicht nur auf die Glieder der kriminellen Ereigniskette wirft, sondern auch zahllose Nebenschauplätze mit Kontur versieht, Familientrott und -schicksalen Beachtung schenkt und einen gerade mal Mittdreißiger so resigniert zur Flasche greifen lässt, dass man sein Alter schnell vergessen hat, ihn gefühlt in den 1950er-Jahren verortet.

Dabei lässt Parker wie selbstverständlich die Facetten der provinziellen Bigotterie aufblitzen, etwa bei der Figur der Cissy Hathaway, Frau des Stadtrats, in Paradise quasi Präsidentengattin: In ihr zeigt sich die kleinbürgerliche Verkrampfung – sowohl der Bürger Paradises, als auch von Jesse Stone selbst, der ihren promiskuitiven Lebensstil vor dem Hintergrund einer dezenten sadomasochistischen Neigung ohne Umschweife abwertet und als therapiebedürftig einstuft. Ohne dass überhaupt klar ist, wie ihre Begierden im Detail beschaffen sind, redet er ihr gut zu, sie werde davon loskommen. Wir wissen einzig, dass sie sich beim Koitus gern den Hintern versohlen lässt. Zeigt sich hier Jesses spießige Kleinstadtmoral, derentwegen er vielleicht gar nach Paradise gegangen ist, oder gar die von Robert B. Parker selbst, der schon in „Wildnis“ seinem weichen Helden eine Katharsis in Form einer ultramaskulinen, gewalttätigen Verwandlung widerfahren lässt?

So oder so, die Reise des beschädigten Helden, der, ein wenig wie ein Psychiater, immer eine auf den Fragenden zurückführende Antwort und darüber hinaus eine Flasche Schnaps parat hat, ist eine Suche nach einem Neuanfang, was zur Eröffnung einer Krimireihe passt. Der humorlose, trockene Stone, in seiner selbstgewählten Isolation zwischen sozialer Unsicherheit und Sehnsucht nach alten Verhältnissen, ist bereit, alles anders zu machen. Anders als sein Pendant Spenser, an dem sich alle von Parkers Helden messen lassen müssen, anders als sein Vorgänger in Paradise und anders als er es selbst, der er seine Ehe in Schieflage brachte. Es ist diese Makelhaftigkeit, die ihn so interessant macht. Dies ist unter Antihelden kein Alleinstellungsmerkmal, aber Stones wortkarge, aber immer ins Ziel treffende Art macht die Figur interessanter, als es viele Kollegen der Hard-Boiled-Zunft sind. Parker, der nicht nur in der Tradition Chandlers schrieb, sondern auch dessen offizieller kreativer Nachlassverwalter war, setzte mit Jesse Stone einen wichtigen Punkt auf der Krimilandkarte, dessen Erzählung in Literatur und TV nicht ohne Grund über seinen Tod hinaus fortgesetzt wurde.

Titelbild

Robert B. Parker: Das dunkle Paradies. Ein Fall für Jesse Stone.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Robert Brack.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2013.
347 Seiten, 10,95 EUR.
ISBN-13: 9783865323552

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