Dilettantismus als Zeitphänomen
In Joachim Zelters „Literaturnovelle“ geht es um die Rückkehr des Autors und das Verschwinden der Literatur
Von Dietmar Jacobsen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEs ist eine Gestalt, die wunderbar hineinpasst in die Reihe jener literarischen Figuren, die uns der TübingerAutor Joachim Zelter seit gut anderthalb Jahrzehnten präsentiert. Eines Tages ist dieser Selim Hacopian plötzlich da im Leben des Ich-Erzählers und der kann tun, was er will: Er wird den Mann nicht mehr los. Dabei wäre es mehr als angezeigt, die Zeit, die er mit dem seltsamen Gesellen verbringt, für sich selbst und die eigenen Pläne zu verwenden. Denn Zelters Erzähler ist Schriftsteller und als solcher steht er unter dem Druck, die literarische Öffentlichkeit mit Stoff zu versorgen, damit er nicht aus deren Gedächtnis fällt. Allein während seine alten Bücher längst nicht mehr greifbar sind, will ihm Neues partout nicht gelingen, ja scheint er sogar zu jenen immer seltener werdenden Autoren zu gehören, die sich nicht vor ihre Bücher drängen, sondern diese mit ihrer literarisch-sprachlichen Qualität für sich selbst sprechen lassen wollen.
Ganz anders Hacopian, der sich eines Tages mit der in der Dritten Person geschriebenen brieflichen Mitteilung „Selim Hacopian hat ein Buch geschrieben.“ meldet und von da an den zunehmend genervten „Herrn Schrieftsteller“ mit der Bitte malträtiert, doch einmal einen Blick hineinzuwerfen in das Verfasste. Weil alles Sich-sträuben und Auf-die-eigenen-Pläne-verweisen bei dem hartnäckigen Mann nicht helfen will, lässt sich Zelters Erzähler schließlich zu diesem Blick herab. Der ist zunächst von Erstaunen geprägt, ehe er immer entsetzter wird.
Denn was der Mann, der beim Abstauben der Regale in der städtischen Bibliothek auf die vergessenen Werke desjenigen gestoßen ist, der ihm nun den Weg in die Welt der Literatur ebnen soll, zu Papier gebracht hat, ist schlichtweg unverständlich und von sprachlichen Verstößen jeder Art nur so wimmelnd. „Nie sah ich auf engstem Raum so viele Fehler. Satzstellungsfehler, Kasusfehler, Genusfehler, Rechtschreibfehler. Fehler über Fehler. Ein Gestrüpp sich immer weiter verzweigender Fehler“, bekennt der unfreiwillige Lektor erstaunt und muss gleichzeitig erleben, wie – auch dank seiner freundlichen Mithilfe – Hacopians Texte zu reüssieren beginnen in der Welt der Literatur. So dass ihm schließlich zusammen mit der Spucke auch noch die Tinte wegbleibt.
Was braucht man, um heute als Schriftsteller Erfolg zu haben, fragt Zelters kleiner Text, der sich bescheidener gibt, als er tatsächlich ist. Denn am Ende seiner satirischen Analyse eines literarischen Aufstiegs steht die Erkenntnis, dass die Zeiten des emsigen Schreibtischarbeiters, der das Licht nicht eher ausmacht, bis jeder Satz, tausendmal hin- und hergewendet, Gnade findet vor seinem unbestechlichen und an den Werken der Besten geschulten Blick, wohl vorbei sind. Förderlich hingegen ist allemal eine bunte und abenteuerliche Vita. Und die hat dieser Selim Hacopian: „Geboren in Namangan, Usbekistan, Übersiedlung der Familie nach Pakistan, von dort ausgewandert nach Ägypten. Religion Koptisch. Davor andere Konfessionen. Offiziersanwärter. Eine erste Chinareise. Eine zweite Chinareise. Kamelreitlehrer. Pyramidenführer. Tauchlehrer. Übersiedlung nach Deutschland. Begegnung mit Gerhard Schröder. Koch auf einem Flussschiff. Studium der Byzantinistik und Ägyptologie…“ Wer solches auf seiner lebensgeschichtlichen Habenseite verbuchen kann, wozu muss der sich noch im Dschungel der deutschen Rechtschreibung zurechtfinden? Und hat ein braves Bürgerleben wie das, welches Hacopians neuer Freund führt, nicht letzten Endes auch mit Schuld an dessen Schreibblockade?
„Einen Blick werfen“ überspitzt geschickt, was jeder, der sich auf dem Markt der Literatur ein wenig auskennt, bestätigen muss. Denn hier scheint es tatsächlich häufig nur noch darum zu gehen, mit möglichst kruden, außenseiterischen Schriftstellerdarstellern möglichst schnell möglichst viel Geld zu verdienen. „Curricularer Vitalismus“ wird diese neueste Literaturströmung von Zelters Ich-Erzähler genannt und wie folgt beschrieben: „Es geht um die Durchschlagskraft eines imposanten Lebenslaufs. Ein Autor lebt heute nicht mehr von seiner Sprache oder von einer Leidenschaft oder einer Idee, sondern von einem Lebenslauf. Sonst nichts. Das Geschriebene ist nur noch eine Begleiterscheinung, eine Nebensache.“
In der vorliegenden „Literaturnovelle“ spielt jedoch all das, was kein Verlag, kein Lektor, kein Kritiker und kein Leser mehr von Büchern zu erwarten scheint – wie anders sonst ließe sich Selim Hacopians durchschlagender Erfolg erklären – noch eine Rolle. Über schriftstellerischen Dilettantismus als Zeitphänomen schreibt Joachim Zelter alles andere als dilettantisch. Allein schon, dass er sich die strenge Novellenform als Gefäß für seine gegen Ende dann doch ziemlich bitter werdende Kritik gewählt hat, darf als Kampfansage verstanden werden. Und wie wenig ernst man den wunderbar ironischen Schluss dieser kleinen Geschichte nehmen sollte, darüber wird uns gewiss in ein, zwei Jahren Zelters nächstes Werk belehren.
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