Die Lichtgestalt des deutschen Kabaretts ist verglüht

Dieter Hildebrandt starb am 20. November 2013 in München

Von Erhard JöstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erhard Jöst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich werde am Schluss noch einmal stark glühen und dann verlöschen“, hat er einmal gesagt. Und wie immer hat er recht behalten. Am 20.11. ist die Leitfigur des deutschen Kabaretts in einer Münchner Klinik gestorben. Man kann seine Aussage lediglich hinsichtlich der Zeitangabe korrigieren: Dieter Hildebrandt glühte nicht nur „am Schluss“ stark, er brannte sein ganzes Leben in Leidenschaft. Er beherrschte wie kein anderer die Satire in Wort und Schrift und war und ist für viele – man kann eigentlich sagen, für alle – Kabarettisten das unerreichte Vorbild.

Im Juli 1979 stand ich ihm zum ersten Mal gegenüber. Ich hatte den Star des deutschen Kabaretts zu einem Gastspiel nach Bad Mergentheim eingeladen. „Notizen in der Provinz“ sollten gegeben werden in Anlehnung an seine gleichnamige TV-Sendung. Und im Zusammenhang mit seinem Auftritt inszenierten Provinzpolitiker eine Provinzposse: Auf Antrag der CDU-Fraktion im Mergentheimer Stadtrat wurde die für das Gastspiel vorgesehene Aula des Gymnasiums gesperrt mit der Begründung, diese sei „nur für schulische und hochwertig kulturelle Zwecke“ zu benutzen. Hildebrandt wurde als „linke Wühlmaus“ geschmäht, die man sich nicht als „Kulturträger aufnötigen“ lassen wolle. Der örtliche Pfarrer half seinerzeit aus und stellte den Gemeindesaal der evangelischen Kirche für die Veranstaltung zur Verfügung. Zur Strafe wurde er später versetzt. Man fragt sich im Nachhinein, wieso reaktionäre Kreise Hildebrandt so bekämpften, dessen Markenzeichen doch gar nicht der verletzende Zynismus, sondern der versöhnliche Spott war. In einem Interview hat er 1986 bekannt: „Ich bin konfliktscheu, so wie ich auch im Grunde nicht aggressiv bin. Mir gelingt es zum Beispiel nie, richtig zu hassen.“

Der am 23.5.1927 im schlesischen Bunzlau als Sohn eines Landwirtschaftsrats geborene Hildebrandt wurde am Ende des Zweiten Weltkriegs als Luftwaffenhelfer eingesetzt. Nach 1945 kam er nach München, wo er von 1950 bis 1955 sein Studium der Theater- und Literaturwissenschaften und der Kunstgeschichte ohne Abschluss beendete. Das satirische Theater zog ihn an. 1955 gründete er das Studentenkabarett „Die Namenlosen“, ein Jahr später zusammen mit Sammy Drechsel und anderen die „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“, mit der er bis 1972 aufgetreten ist. Von 1972 bis 1979 moderierte er im ZDF die „Notizen aus der Provinz“, von 1986 bis 2003 in der ARD die Kabarett-Sendung „Scheibenwischer“. Besonders erfolgreich waren die Programme, die er zusammen mit Werner Schneyder Anfang der achtziger Jahre produzierte. Er spielte in mehreren Filmen mit, wobei er besonders mit seiner Rolle in der Serie „Kir Royal“ glänzen konnte. Ende der siebziger Jahre produzierte er zusammen mit sechs Cellisten „Eine kleine Schlachtmusik“, ein Projekt, das erfolgreich E-Musik und Kabarett miteinander verband. Erfolgreich war Dieter Hildebrandt auch als Autor. Besonders in Erinnerung bleiben werden „Was bleibt mir übrig“ (1986), „Denkzettel“ (1992), „Gedächtnis auf Rädern“ (1997) und „Nie wieder achtzig“, die alle auf einen Platz in der Bestsellerliste klettern konnten.

Die Kabarettbühne war seine Welt, in der er aufblühte. Er brauchte sie nur zu betreten, und schon schlug ihm Begeisterung entgegen. Das Publikum liebte ihn. Eine freudig-erregte Atmosphäre, eine knisternde Stimulierung, eine erwartungsfrohe Hochstimmung konnte man stets bereits im Vorfeld seines Auftritts registrieren. Und während der Vorstellung Besucher, die konzentriert zuhörten, weil sie keine Pointe verpassen wollten. Sein Kollege Siegfried Zimmerschied persifliert in einer Kabarettnummer einmal einen Drucker, bei dem ein Satireblatt in Druck gegeben werden soll. Er assoziiert: „Ah, Satire – Dieter Hildebrandt – da kenne ich mich schon aus!“

Hildebrandt avancierte von Anfang an auch zum Markenzeichen des Fernseh-Kabaretts, wobei gerade seine Karriere als TV-Star nicht ohne Brüche verlief. Sie war vielmehr verbunden mit heftigen Auseinandersetzungen, die er wegen Eingriffen und Zensurmaßnahmen führen musste. Zum Beispiel blendete sich am 22. Mai 1986 der Bayerische Rundfunk bei einer „Scheibenwischer“-Sendung aus und löste dadurch einen Proteststurm aus. Besonders folgenreich war auch die Sendung vom 14.1.1982, die sich mit dem Bau des Rhein-Main-Donau-Kanals beschäftigte.

Für mich war er immer dann in Bestform, wenn er seine Wut abreagierte und wenn er Fehlentwicklungen bei der Lösung von Schlüsselproblemen anprangerte. Aber auch dann schlug er nie unter die Gürtellinie. Sotissen wie die aus der „Scheibenwischer“-Sendung vom 24.9.1992 blieben rar. „Kommt endlich runter“, forderte er die Politiker auf, „weil: Wenn die Bürger die ganze Zeit immer nach oben gucken müssen, um Euch zu sehen, dann kommen sie langsam auf die Idee, dass sie nur Arschlöcher sehen.“ Als Entschuldigung fügte er hinzu: „Je älter ich werde, um so weniger Zeit habe ich, um sachlich zu bleiben.“

Hildebrandts Glanznummern sind so zahlreich, dass man sie gar nicht alle aufzählen kann. Ich möchte wenigstens auf die irre komische Parodie „Helmut Kohl spricht ‚Der Mond ist aufgegangen‘ von Matthias Claudius“ oder auf Herbert Wehners fiktive Rede bei seinem Ausscheiden aus dem Bundestag verweisen. Das sind Nummern, die einem Lach-Tränen in die Augen treiben.

Dieter Hildebrandt wurde mit Preisen und Auszeichnungen geradezu überhäuft: Der verdiente Lohn für seine Spitzenleistungen. Sein Markenzeichen bei seinen Auftritten war die vermeintliche, zuweilen sicherlich auch echte Improvisation. Er verhaspelte sich häufig, brach Sätze ab, freilich erst zum „richtigen“ Zeitpunkt, wenn nämlich die Zuhörer schon auf die Fährte gebracht worden waren und sich den Satz zu Ende denken konnten. Er verstand es meisterlich, das Unausgesagte zur eigentlichen Aussage zu stilisieren und durch Verschweigen zu entlarven. Es gelang ihm stets aufs Neue, ergebnisreiche Denkprozesse anzuregen. Als (hinter)listiger Stotterspötter arbeitete er gerne mit dem Mittel der Montage: Original-Zitate wurden in Monologe und Dialoge montiert. Der Zuschauer bekam auf diese Weise in satirischer Verpackung skandalöse Vorgänge präsentiert und erkannte, dass Lachen und Betroffenheit kein Widerspruch sein müssen.

Hildebrandt begriff das Kabarett als „eine moralische Instanz und immer noch eine Demokratiebewahranstalt“. Er war ein Meister des geschliffenen Worts, ein Schnelldenker und Schnellsprecher, der es mit gespielter Leichtigkeit verstand, Assoziationsketten aufzubauen, die zu Erkenntnissen leiten. Mit gutem Gespür ermittelte er die Komik des Alltags und lieferte Denkanstöße und Lachanreize. Die Stärke des Moralisten lag in der ironisch-pointierten Formulierung, die er zumeist mit sanftem Spott vortrug.

Nach dem prägenden Erlebnis in der Mergenheimer Provinz blieb ich mit Dieter Hildebrandt in freundschaftlichem Kontakt. Mehrmals durfte ich mit dem von mir gegründeten Kabarett GAUwahnen bei den Gastspielen, zu denen ich ihn nach Heilbronn eingeladen habe, mit ihm zusammen auf der Bühne stehen. Er hat sich auch zweimal an unserer „Nacht der deutschen GemEinheit“ beteiligt, die jeweils am Vorabend zum Tag der deutschen Einheit stattfand. Wir empfanden dies als höchste Auszeichnung und bewunderten seine Auftritte vor und hinter dem Bühnenvorhang.

Dieter Hildebrandt war über ein halbes Jahrhundert lang das Gesicht des deutschen Kabaretts. Er wird, wohl mehr noch als sein Vorbild Werner Finkh, als einer der größten Satiriker in Erinnerung bleiben. Denn er konnte meisterhaft mit der deutschen Sprache umgehen und gekonnt mit ihr spielen. Seine geistreichen Spöttereien bleiben uns in seinen Büchern, Videos und CD-Aufnahmen erhalten. Bei Random House ist 2011 „Die große Dieter Hildebrandt Box“ erschienen; sie enthält neun CDs mit Lesungen und Live-Mitschnitten, die man jedem Kabarett-Freund ans Herz legen kann. Gerade hatte ich das Buch „Wie haben wir gelacht“ zu Ende gelesen, das er zusammen mit Peter Ensikat geschrieben hat, als mich die Nachricht von Hildebrandts Tod erreichte. Ensikat ist  bereits am 18.3.2013 gestorben. So sind diese „Ansichten zweier Clowns“ ihr beider Vermächtnis.

Dieter Hildebrandt verstand sich als „eine Art Vorarbeiter, mit dessen Hilfe die Leute ihren Ärger abladen.“ Nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Alltag außerhalb des Kabaretts setzte er sich vorbildlich für politische Projekte vor allem im Sozialbereich ein, weshalb er auch des Öfteren als „so etwas wie ein Garant der Demokratie in der Bundesrepublik“ bezeichnet worden ist. Eine größere Ehrung für einen Kabarettisten kann man sich kaum denken.

Titelbild

Dieter Hildebrandt: Nie wieder achtzig!
Blessing Verlag, München 2007.
238 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783896673312

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Peter Ensikat / Dieter Hildebrandt: Wie haben wir gelacht. Ansichten zweier Clowns.
Aufbau Verlag, Berlin 2013.
240 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783351027605

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