Filme aus Polen, Polen im Film

Mit „Der Polnische Film“ legen Klejsa, Schahadat und Wach ein cineastisches Kompendium vor

Von Stephan KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer etwas über den polnischen Film, seine institutionelle Geschichte, seine ästhetische Entwicklung und nicht zuletzt über seine weitreichende europäische Bedeutung erfahren will, wird an dem vorliegenden Buch nicht vorbeikommen. Dies kann dem Band „Der Polnische Film. Von seinen Anfängen bis zur Gegenwart“ bereits an dieser Stelle ohne Umschweife attestiert werden. Denn auch wenn, wie die HerausgeberInnen Konrad Klejsa (Łódź), Schamma Schahadat (Tübingen) und Margarete Wach (Köln) eingangs bemerken, das Genre ‚Filmgeschichte‘ als solches einem Wandel unterliegt, so ist diese Darstellung konzeptionell und inhaltlich auf der Höhe der Zeit. „Der Polnische Film“ ermöglicht den schnellen Zugriff auf Informationen und kann wie ein Nachschlagewerk funktionieren, und genauso lassen sich die einzelnen historisch-epochal aufgeteilten Abschnitte für sich oder in ihrer Chronologie lesen. Der beigegebene Apparat – umfangreiche Bibliografie, Personen- und Filmregister – befördern diese Nutzungsmöglichkeiten. Der Band stellt ein deutsch-polnisches Gemeinschaftswerk dar und die Beiträge der polnischen KollegInnen erscheinen hier in deutscher Übersetzung.

Die polnische Film- und Kinogeschichte wird in der Studie in vier großen Teilen präsentiert. Leicht ist zu erkennen, dass sich diese Einteilung an historischen Zäsuren orientiert: 1895-1945 (I), 1945-1968 (II), 1968-1989 (III) und 1989-2010 (IV). Jeder dieser Teile folgt dabei einem für alle vier gültigen ‚Drehbuch‘, das eine sehr gute Orientierung garantiert. Denn alle vier Teile sind durch die gleichen thematisch-diskursiven Linien miteinander verbunden. Damit lässt sich sagen, dass das Buch letztlich nicht nur eine Geschichte des Filmschaffens und seiner Institutionen in Polen, sondern eigentlich fünf solcher Geschichten parallel zueinander beinhaltet: Behandelt werden unter anderem „Ästhetische Entwürfe“, „Nationale Mythen“, „Gender-Diskurse“, „Bilderwelten des Dokumentarischen“ und „Der andere Film“. In den ersten drei Artikeln werden dabei jeweils zwei Filme schwerpunktmäßig beziehungsweise stellvertretend für den jeweiligen epochenartigen Abschnitt ins Zentrum gestellt. Diese doppelte Strukturierung des Bandes nach (film -)geschichtlichen und ästhetisch-inhaltlichen Vorgaben erlaubt es, sich sowohl (streng) chronologisch zu orientieren als auch beispielsweise einem diskursiven Strang über die gesamte Filmgeschichte von 1895 bis 2010 zu folgen. So erwähnt Schamma Schahadat mit Blick auf die Gender-Diskurse im Zeitabschnitt 1895-1945, der polnische Film der Zwischenkriegszeit könne auch „als eine Geschichte der Zähmung und Aneignung des weiblichen Körpers“ aufgefasst werden. Sie zeigt dies anhand von drei Beispielkomplexen eindrücklich auf. Für den Zeitraum 1945-1968 erläutert Magdalena Saryusz-Wolska ausführlich, wie in polnischen Filmen zunehmend feiner abgestufte Geschlechterverhältnisse und -bilder sichtbar werden. Ihre zentralen Beispiele sind zwei Filme der polnischen Schule, „Pociąg“ [Nachtzug] (1959) und „Jak być kochaną“ [Die Kunst, geliebt zu werden] (1962). Kamila Żyto beschreibt in ihrem materialreichen Aufsatz zu Filmen der Jahre 1968-1989 die Frauenfiguren. Sie analysiert etwa ihre Passivität und ihr zum Teil gewandeltes Verhältnis zu den Männerfiguren und zeigt Tendenzen weiblicher Eigenbestimmung im Film dieser Zeit auf. Für den jüngsten Abschnitt (1989-2010) diagnostiziert Christian Nastal das Aufbrechen bis 1989/1990 eher fest gefügter Rollenmodelle unter den Geschlechtern und weist beispielsweise auf, wie die „Maskulinisierung des öffentlichen Lebens auch im polnischen Film sichtbar wurde“.

„Der Polnische Film“ bietet beides: eingehende analytische Auseinandersetzungen mit einzelnen Filmen, wobei nicht immer nur die weithin bekannten Meisterwerke im Zentrum stehen müssen (ohne dass dies einen Zweifel an der Qualität dieser Werke bedeuten würde) sowie historische und diskurshistorische Panoramen des polnischen Films. Das Buch „Der Polnische Film“ dürfte ein Standardwerk werden und es macht Appetit auf das große Kino Polens, von dem auf jeder Seite – mit spürbarer Begeisterung – die Rede ist.

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Schamma Schahadat / Margarete Wach / Konrad Klejsa (Hg.): Der polnische Film – von seinen Anfängen bis zur Gegenwart.
Schüren Verlag, Marburg 2013.
562 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783894727482

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