Ruhige Momente in unruhigen Zeiten

Alexander Kluge und Gerhard Richter zeigen Momentaufnahmen in Text und Bild

Von Cornelia ReinhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Cornelia Reinhardt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 „Nachricht von ruhigen Momenten“ – der Titel des Buches ist Programm. Auf dokumentarische und wenig gefühlsbetonte Art werden kleine Geschichten aus dem Alltag erzählt und mit (vermeintlichen) Schnappschüssen montiert. Ebenso wie sich das Buch – in Gestaltung und Inhalt – zurücknimmt, so spricht es die Emotionalität der Leser an. Bilder, die im Kopf entstehen, ergänzen das Werk und führen den Leser hinein in eine Welt, in der Realität und Fantasie verschwimmen. Unscharfe Bilder, Realitätsausschnitte, Augenblicke – dies stimmt den Leser ein, inne zu halten. Durch die nicht logische Abfolge der Texte und Bilder sowie deren nicht (immer) ersichtliche Korrespondenz, werden Assoziationen geweckt.

Die Texte erzählen von kleinen Begebenheiten und großen Geschichten, von kleinen Leuten und großen Namen. Teilweise spricht der Erzähler in der Ich-Form, teilweise in der dritten Person Singular. Dieses Erzählprinzip ist zum Beispiel aus Kluges „Chronik der Gefühle“ bekannt, wo gleichfalls historische Geschichten neben fiktionalen stehen. Das Montageverfahren, das häufig bei historischen Themen zum Einsatz kommt, wird hier bewusst erweitert – durch nicht nur illustrierende, sondern bewusst eingesetzte Bilder eines Künstlers. Dieses Erzählprinzip wird zum Beispiel auch durch das Fehlen von Bildverzeichnis und Literaturangaben unterstrichen.

Ein künstlerisches Werk wird vernichtet, da eine Reinigungskraft es für Abfall hält, Frösche haben das große Aussterben vieler Spezies überlebt und der Vater des Protagonisten – des Autors? – fängt an, seine Kriegserfahrungen schriftlich zu fixieren. Verlassene Orte, Menschen bei der Arbeit, fahrende Autos, Kinder – alles kurze Augenblicke. Die Verbindung eines Bildes einer Frau, die von hinten zu sehen ist, mit einem Text über die Physiognomie des menschlichen Gesichts. Das lässt uns weiterspinnen: Wie schaut die Frau, die gerade in der Natur steht? Was sieht sie und wie reagiert sie darauf?

Die Bilder sind teilweise nicht von guter (Druck-)Qualität, sie wirken laienhaft, schon unprofessionell. Dies ist jedoch dem Inhalt des Buches geschuldet. Denn: ebenso wie die Texte, zeigen auch die Bilder unverblümte und ungeschönte Augenblicke und heben dadurch deren Ästhetik besonders hervor. Eine ungewöhnliche Sichtweise, ein Buch, das so gar nicht dem Mainstream entspricht und umso näher am Geschehen ist. Man lernt nichts daraus, man findet es nicht schön – man spürt es und fühlt es. Die Geschichten und Bilder berühren, wecken Interesse, bergen Überraschendes und Enttäuschendes – wie die Welt dies eben auch tut. Die Momentaufnahmen in Text und Bild sind so flüchtig wie die ruhigen Momente im Leben.

Titelbild

Alexander Kluge / Gerhard Richter: Nachricht von ruhigen Momenten.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
150 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518224779

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch