Badevergnügen mit Filmemachern und Schauspielern
Ein Bericht vom 11. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen
Von Corinna Hess
Alle Jahre wieder lässt das Festival des deutschen Films Ludwigshafen in einem anderen Licht erstrahlen. Seit 2005 stellt es eine willkommene Abwechslung zwischen Ein-Euro-Läden, städtischer Tristesse und Industriecharme für die kulturinteressierte Mittelschicht der „Metropolregion Rhein-Neckar“ dar.
Schon beim Weg über die „Schneckennudelbrücke“, die Ludwigshafen und die Parkinsel verbindet, auf der das Festival beheimatet ist, fühlen sich die Besucher in eine andere Welt versetzt. Entlang des Rheinufers werden dort rote Teppiche entrollt, auf denen nicht nur Mario Adorf und Corinna Harfouch sondern auch filminteressierte Festivalbesucher lustwandeln; weiße Zelte sprießen zwischen alten Bäumen aus dem Boden und hunderte von Bierbänken laden bei schickem Essen und Getränken zum Verweilen ein. Eine Szenerie, die leicht von dem ablenkt, worum es hier eigentlich gehen soll – nämlich um die Liebe zum deutschen Kino, wie es das Festivalprofil im Jahr 2015 verkündet. 64 Filme, darunter 14 Weltpremieren sowie die Verleihung von Filmkunst- und Publikumspreis sind nur einige der Highlights, die das Festival auch dieses Jahr zu bieten hat.
„Der deutsche Film muss für die Menschen da sein, nicht umgekehrt. Kommerzielle Gesichtspunkte müssen zweitrangig sein. Nicht nur das Kino muss erhalten bleiben, auch ein qualitativ hochwertiges Fernsehprogramm, das den deutschen Film tatkräftig ebenfalls fördert“, fassen die Veranstalter den eigenen Anspruch an die Filmauswahl zusammen, und mit Blick in das Festivalprogramm kann man mit Fug und Recht sagen, dass die selbstgestellte Aufgabe erfüllt wurde. Neben filmisch und künstlerisch durchaus anspruchsvollen Beiträgen, wie der Dokumentation Parcours d‘Amour (2014) von Bettina Blümner, die es vor ihrer Aufnahme in das Programm des Festivals bereits in die deutschen Filmkunstkinos geschafft hat, der liebenswerten Komödie Im Sommer wohnt er unten (2014) von Tom Sommerlatte und dem bedrückenden psychologischen Drama CURE – Das Leben einer anderen (2014)der Schweizer Regisseurin Andrea Štaka wird auch eine große Anzahl Fernsehproduktionen auf den Ludwigshafener Leinwänden gezeigt.
Der Fall Bruckner (2014), der exemplarisch für das Werk der Gewinnerin des Preises für Schauspielkunst Corinna Harfouch ausgestrahlt wurde, die in ihren Filmen mit ihrer „feinsinnigen, authentischen und intensiven“ Rolleninterpretation begeistere (so Festivaldirektor Michael Kötz), stellt dabei ein Positivbeispiel aus der Gruppe der TV-Produktionen dar. Die Sozialarbeiterin Katharina Bruckner überschreitet im Fall des kleinen Joe ihre Kompetenzen und gerät in einen Strudel aus dunklen Vorahnungen und privaten Niederlagen. Der frühe Verlust ihres eigenen Sohnes und die damit verbundenen unverarbeiteten Emotionen sowie die Affäre ihres Mannes bringen die engagierte Kämpfernatur ebenso an ihre Grenzen wie das Unglück des kleinen Joe, welches nur sie zu erkennen scheint und die mangelnde Solidarität ihrer Arbeitskollegen. Ein Film, der unter die Haut geht und dabei vor allem von der schauspielerischen Leistung seiner Hauptdarstellerin lebt. Diese macht auch die kleinen inhaltlichen und dramaturgischen Schwächen, wie beispielsweise das Happy End, welches rechtliche Konsequenzen völlig ausklammert, verzeihbar. Positiv bleibt, neben der Leistung Corinna Harfouchs, auch der sensible Umgang mit Fragen des Kindesmissbrauchs und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Verantwortung in Erinnerung. Besonders die emotionalen Komponenten werden durch die Wahl von Setting und Musik gekonnt unterstrichen. So setzt der Film die Bildsprache – dunkle Wohnungen, Zigaretten in zitternden Händen, volle Busse und düstere Straßen – besonders dann produktiv ein, wenn es darum geht, hinter die Fassade der Sozialarbeiterin zu blicken und ihre Gedanken und verborgenen Emotionen zu porträtieren.
Weniger überzeugt hingegen der ebenfalls fürs Fernsehen produzierte Serienkrimi Der Kommissar und das Meer – Das Mädchen und der Tod (2015) von Miguel Alexandre, einer der zahlreichen Stellvertreter aus der Programm-Kategorie „Kriminell gut“. Der Titel ist wenig einprägsam, die Dialoge wirken stellenweise stereotyp und zusammenhangslos und auch der Plot lässt zu wünschen übrig: Nach dem Mord an Elisabeth Nygren und dem spurlosen Verschwinden ihrer Tochter Fippa ermittelt Kommissar Anders (Walter Sittler) in einem Mordfall, der immer absurder und unglaubwürdiger zu werden scheint. So litt der Hauptverdächtige schlicht an Herzschmerz, während die Tote an einem Aneurysma starb. Der offensichtliche Mangel an Realismus und die brüchigen Handlungsstränge werden dabei mit Blick auf die 12-jährige Tochter der angeblich Ermordeten am deutlichsten: Diese stürzt ihre tote Mutter, in dem Glauben ihre Streitereien seien schuld an deren Tod, die malerischen Klippen hinunter, begeht skrupellos mehrere Einbrüche und flüchtet schließlich in die Arme ihres zuvor unbekannten Vaters, natürlich nicht ohne diesen vorher in einem Freizeitpark mit einem Fischernetz geschnappt zu haben. Von Pippi Langstrumpf im Horrorfilmformat bis hin zur wunderschönen, für die Handlung jedoch irrelevanten Landschaftsaufnahme ist alles dabei. Der Kommissar und das Meer – Das Mädchen und der Tod (2015) präsentiert sich als eher durchwachsene Krimiunterhaltung, die höchstens die Walter Sittler- und Gotland-Fans unter den Zuschauern begeistern kann.
Umso mehr erfreut die Vergabe des mit 50.000 Euro dotierten Filmkunstpreises an Im Sommer wohnt er unten (2014) mit folgender Jurybegründung: „Der Gewinnerfilm zeichnet sich aus durch exzellente und sehr genau gezeichnete Figuren. Der Film besticht durch seine spielerische Leichtigkeit und Genauigkeit in der Beobachtung der Situationen. Hier beweist sich, dass man mit einer guten Geschichte mit einfachen Mitteln einen tollen Film machen kann. Jeder einzelne Schauspieler trägt den Film und ist in seiner Rolle eine Entdeckung.“ Mit viel Feingefühl und Liebe zum Detail entwirft Regisseur Tom Sommerlatte die Porträts zweier Brüder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während Unsympath und Alphatier David auf eine scheinbar gelungene Karriere blicken kann, genießt sein Bruder Matthias im mediterranen Sommerhaus der Eltern sein Leben. Mit bemerkenswert lebensnaher Situationskomik treffen die beiden Brüder und ihre Lebenspartnerinnen im Feriendomizil aufeinander und ein Ringen um die Vorstellung vom richtigen Leben und von der Liebe beginnt. Eindrucksvoll ist hier vor allem die Leistung der Darsteller (Sebastian Fräsdorf, Godehard Giese, Karin Hanczewski, Alice Pehlivanyan), welche sich einen trockenen Schlagabtausch, zuweilen nur durch gekonntes stummes Spiel mit Blicken und Mimik liefern und damit bei den Zuschauern eine Vielzahl an Lachern provozieren. Am Ende des deutsch-französischen Kammerspiels gehen die beiden komplementären Brüder versöhnt auseinander und es heißt pragmatisch: Nichts geht über die Familie. Ein bitteres Happy End, das gekonnt mit Klischees bricht, und dem Publikum begreiflich macht, dass dieser gleichsam ritualisierte familiäre Nervenzusammenbruch im nächsten Sommer von vorn beginnen wird. Besonders kunstvolle Bilder gelingen dem Regisseur, wenn die Unterwasser-Kamera in Slow Motion das Geschehen im Pool einfängt. Dennoch liegt die eigentliche Kunst des Films darin, wie auch die Jurybegründung hervorhebt, mit sparsamen Mitteln, wenigen Schauplatzwechseln, ohne viel Action und nur dem Nötigsten an Schnitttechnik den Zuschauer 100 Minuten lang hervorragend zu unterhalten. Lebensnah und durchweg sympathisch ist die deutsch-französische Produktion Im Sommer wohnt er unten (2014) und damit ein würdiger Sieger in der Kategorie Filmkunstpreis.
Auch wenn die Auswahl der Filme nicht jeden Geschmack trifft und nicht alle Beiträge preisverdächtig sind, lässt sich festhalten: Die Programmauswahl des 11. Festivals des deutschen Films kommt seinem erklärten Ziel, unterhaltsames Fernsehprogramm und herausragende Filmproduktionen zu zeigen, recht nah – allerdings mit einigen Abstrichen: Während sowohl die Filmauswahl, welche vom Kinderfilm über Kurzfilmreihen bis hin zum Tatort reicht, als auch das Ambiente die breite Öffentlichkeit ansprechen und zum Verweilen einladen, finden Fachbesucher vor allem in offenen Diskussionen und Fachgesprächen mit Regisseuren und Schauspielern Platz. Mit einem Übergewicht an qualitativ mitunter fragwürdigen Fernsehproduktionen und einem Mangel an wirklich künstlerischen Filmen, überzeugt das Festival somit auch im Jahr 2015 in erster Linie das zahlende Publikum. Doch das Ambiente stimmt, denn das Festival des deutschen Films in Ludwigshafen ist wohl das einzige Filmspektakel der Welt, bei dem Besucher und Filmemacher nach dem Abspann gemeinsam im Rhein planschen ohne tatsächlich „baden zu gehen“.
„Der Fall Bruckner“ (2014)
Regie: Urs Egger
Drehbuch: Dr. Hans-Ullrich Krause, Cooky Ziesche
Produktion: kineo Filmproduktion Peter Hartwig
Laufzeit: 90 Minuten
„Der Kommissar und das Meer – Das Mädchen und der Tod“ (2015)
Regie: Miguel Alexandre
Drehbuch: Henriette Pieper
Produktion: Network Movie GmbH & Co. KG Film- und Fernsehproduktion
Laufzeit: 89 Minuten
„Im Sommer wohnt er unten“ (2014)
Regie und Drehbuch: Tom Sommerlatte
Produktion: Osiris Media GmbH
Verleih: Kinostar Filmverleih GmbH
Laufzeit: 100 Minuten
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen