Über ein Paar, das es so nie gegeben hat

Frédéric Beigbeders Roman „Oona und Salinger“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Fazit am Ende lautet: Salinger lesen! Frédéric Beigbeder hat mit „Oona und Salinger“ ein liebenswertes, freundliches und empathisches, dabei nie distanzloses Buch über ein Liebespaar geschrieben, das es so in der Realität nie gegeben hat: Die Liaison zwischen J.D. Salinger, einem der großen und geheimnisvollen Autoren der amerikanischen Nachkriegsliteratur, und Oona O’Neill, der Tochter eines der größten amerikanischen Dramatiker des 20. Jahrhunderts, dauerte nicht lange und ist, bei Lichte besehen, nichts anderes als eine jener amourösen Begegnungen, die einer Jugendlichen von 15 Jahren und einem jungen Erwachsenen von 21 Jahren passieren.

Keine Sorge, das Ganze hat nichts Anrüchiges, weswegen man den angehenden Autor hätte ins Gefängnis stecken müssen, wie es einem jugendlichen Deutschen in der Türkei passiert ist, der eine knappe, aber eindeutige Begegnung mit einer 15-jährigen Engländerin hatte. Wir erinnern uns? Bei den beiden hier ist ja auch nichts passiert. Und da mögen unsere heutigen Moralvorstellungen wieder arg rigide geworden sein – übrig bleibt nur eine kleine Liebesgeschichte, derer sich Beigbeder angenommen hat.

Sicher, fasziniert von jener jungen Frau, die zu den Glamourgirls der 1940er-Jahre gehörte, ein It-Girl, wie man wieder sagt, die aber heute eben nicht Töchter von berühmten Autoren, sondern von Hotelbesitzern und Sängern sind. Oona O’Neill treibt sich auch als 15-jährige schon in Nachtclubs herum, mit ihren Freundinnen, von denen eine eine Vanderbilt ist, und mit einem gewissen Truman Capote, der erst später zu großer Berühmtheit kommen sollte, um dann ebenso tief abzustürzen.

Hier lernt sie Salinger kennen, und aus dieser Nachtclubepisode entwickelt sich eine Liebesgeschichte, die ebenso schnell wieder beendet ist: Oona wendet sich ab, Salinger leidet und hängt ihr nach. Ob er ihre große Liebesgeschichte war? Wer will das wissen? Auch nach diesem Buch ist und bleibt es eine Teenagergeschichte in der Hautevolee New Yorks, die mit einer Trennung endet.

Salinger geht schließlich in den Krieg nach Europa, Oona von New York nach Los Angeles, wo sie ihren späteren Ehemann kennenlernt: niemand anderen als den damals schon 54-jährigen Charlie Chaplin. Sie und Chaplin heiraten, als sie endlich 18 Jahre alt ist. Aus der Ehe gehen acht Kinder hervor, wobei Geraldine, die Älteste, wohl die berühmteste ist. Aus der Schauspielerkarriere Oonas, die sie an der Westküste kurze Zeit anstrebt, wird nichts. Stattdessen wird sie die Frau an Chaplins Seite, die mit ihm die USA verlässt, als er dort – als Kommunist verschrien – in Verruf gerät.

Wer freilich das Leuchten sehen will, das Besondere, das Oona im Buch Beigbeders ausstrahlt, muss dafür freilich nicht den knappen Youtube-Ausschnitt schauen, den es von einer Probeaufnahme von 1942 mit ihr gibt. Dort ist eine verängstigte Heranwachsende zu sehen, die vom Aufnahmeleiter hin und her geschoben wird, die Posen probieren soll und nicht weiß, was zu tun. Sie ist aufmerksam, aber hektisch und zu abrupt. Aber vor allem ist sie eines: normal.

Wenn da nicht jene Passagen wären, in denen Beigbeder diese Filmaufnahme schildert, und in denen er das Hohelied Oona O’Neills singt. Wer sich den Youtube-Schnipsel anschaut, tut dies, weil er Beigbeder gelesen hat – und tut gut daran. Denn Oona O’Neill ist eine Erscheinung auf den zweiten Blick.

Der schon älteren Frau begegnete der nicht minder berühmte Fotograf Richard Avedon, dem wir eindrucksvolle Porträts verdanken – und war anscheinend enttäuscht, wie Beigbeder schreibt: „Es heißt, Sie seien einzigartig, aber ich sehe es nicht.“ „Ich bin es nicht, Sie haben recht. Weil alles es sind.“ „Oh, jetzt sehe ich es“.

Und Salinger? Ein langer, schlaksiger Kerl, der in den Krieg ging, die Landung bei Utah Beach mitmachte und nach Pars einmarschierte, an der Schlacht am Hürtgenwald in der Eifel und an der Befreiung des KZ Dachau beteiligt war. Bei Beigbeder wird der Zweite Weltkrieg zum schmutzigen Krieg, von dem niemand mehr etwas wissen will. Die Franzosen nicht, weil die Amerikaner sie von der deutschen Besatzung befreit haben, die Amerikaner nicht, weil sie lieber Helden sein wollen, als normale Menschen, und die Deutschen sowieso nicht, weil sie es langsam leid sind, die Bösewichter des Jahrhunderts zu sein.

Salinger kehrt aus diesem Krieg als der Autor zurück, der den „Fänger im Roggen“ schreiben sollte, und der sich beinahe vollständig aus der Öffentlichkeit zurückzog. Sein Werk besteht bis heute aus einer großen Erzählung, die zuerst Heinrich Böll ins Deutsche übersetzte, und zwei Erzählbänden. Anderes war über lange Jahrzehnte nicht zu haben. Dabei ist in Beigbeders Buch von vielen frühen Texten die Rede, die niemals wieder herausgegeben wurden, die man jedoch gerne lesen würde. 40 sollen es insgesamt sein, die Beigbeder im Anhang detailliert aufzählt – wer will, kann sie sich besorgen.

Beigbeder lässt Salinger lange seiner Oona nachtrauern und führt sie noch einmal zu einer späten Begegnung zusammen: Zwei Alte, die sich nach Jahrzehnten wiedersehen und an ihre Zuneigung zurückdenken. Die Oona in Beigbeders Roman begräbt diese Zeit mit dem Souvenir, das ihr Salinger nach all den Jahren wiedergegeben hat. Für uns lässt er sie wiederauferstehen, in allem Glanz der Jugend und in der leichten Melancholie, die dem Alter zu eigen sein mag.

Titelbild

Frédéric Beigbeder: Oona und Salinger. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Tobias Scheffel.
Piper Verlag, München 2015.
304 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783492054157

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