Ein kluger Blick auf das menschliche Dasein

Halldór Laxness’ Kurzgeschichten-Sammlung „Ein Angelausflug ins Gebirge“ und „Die Litanei von den Gottesgaben“

Von Miriam StriederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Strieder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Isländische Literatur ist schon lange kein Geheimtipp mehr – ganz sicher nicht, seit Islandkrimis von Arnaldur Indriđason populär geworden sind und Island Gastland auf der Buchmesse von 2011 war. Das Klischee besagt, dass Isländer große Erzähler sind, um die langen Winternächte zu verkürzen. Das gilt sicherlich für Halldór Laxness, dessen Erzähltalent ergänzt wird von einem scharfen Blick für die menschlichen Stärken und Schwächen, die Absurditäten des Alltags und die großen und kleinen Eitelkeiten der menschlichen Existenz. Laxness erhielt dafür bereits 1955 den Literaturnobelpreis, seine Rezeption in Deutschland setzte aber erst langsam und mit Verzögerung ein. Die Herausgabe seiner Werke im Steidl-Verlag beschleunigt diesen Prozess hoffentlich.

„Ein Angelausflug ins Gebirge“ reizt schon durch seinen auf den ersten Blick widersinnigen Titel. Ganz in grünem Leinen und auf dem Cover mit der Aufnahme einer vermutlich isländischen, heiter-gelassen wirkenden Gebirgslandschaft, in der ein See liegt, deutet die liebevolle Gestaltung auf ein Lesevergnügen in sieben Kurzgeschichten. Folgerichtig hieß die Originalausgabe auch „Das kleine Buch der sieben Zeichen“ und spielte damit auf ein religiöses Traktat des 18. Jahrhunderts an, das sich in Island großer Beliebtheit erfreute. Da es auf deutsch aber bereits einen Buchtitel mit der Zahl sieben von Laxness gab, entschied man sich, den Titel einer Kurzgeschichte kurzerhand zum Gesamttitel der Anthologie zu machen.

Auf den Leser warten in „Ein Angelausflug ins Gebirge“ kurze Erzählungen, in denen kein Wort zu viel ist, um die exakten Beobachtungen, die eingängigen Stimmungen und die halb verrückten, halb weisen Figuren eindrücklich zur Geltung zu bringen. Die erste Geschichte berichtet von einem klugen Hund auf einem Hof, der ganz genau weiß, wer es gut mit ihm meint und sich folgerichtig bei Gefahr und Not zu der Frau flüchtet, die ihn nur „Köter“ nennt. Die zweite Erzählung lässt ein Fest entstehen, bei dem ein reicher Hosenbügler das Telefonbuch einlädt, um seinen Reichtum loszuwerden. Der titelgebende „Angelausflug ins Gebirge“ porträtiert einen Spießbürger, der sich mit Angelhaken in den Polstermöbeln, unerklärlichen Insekten und einem verräterischen Hähnchen herumschlagen muss. Religiöse Andacht und Gottergebenheit versprüht die Erzählung „Eine große Verirrung im Nordwestland“ – die simple Erzählerin scheint jenseits davon Antagonistin und zugleich Seelenverwandte des Grafen Dúnganon, Herzog von St. Kilda aus der Erzählung „Corda Atlantica“, zu sein. „Jón aus Brothaus“, die vorletzte Geschichte, untersucht mehr als nur das Erinnerungsvermögen der Menschen, ihre Leidenschaft an der Mythenbildung und den Umgang mit der Wahrheit. Der Band schließt mit einer Erzählung über einen Sterbenden, der vordergründig hartherzig, verstockt und kalt daherkommt, der aber doch alles bedacht hat – insbesondere das zutiefst Menschliche.

Laxness’ scharfe Beobachtungen treffen immer den Kern des menschlichen Wesens, aber er betrachtet sich und seine Mitmenschen nie ohne Humor, nie ohne das liebevolle Augenzwinkern, das seine Schlüsse über das Menschliche nicht nur erträglich, sondern amüsant und unterhaltsam macht.

Hubert Seelow hat die sieben Kurzgeschichten aus „Ein Angelausflug ins Gebirge“ nicht nur übersetzt, sondern ihnen auch ein erhellendes und kompaktes Nachwort mit auf den Weg gegeben, das den Lesegenuss ausdehnt und nebenbei Wissenswertes über Leben und Werk von Laxness sowie dessen Heimatland vermittelt. Insgesamt eignet sich „Ein Angelausflug ins Gebirge“ hervorragend, um sich dem großen isländischen Erzähler (und auch Dramatiker) anzunähern und dessen Erzählstil anzunähern.

Hingegen wird dem Leser, der sich mit Laxness’ Werk vertraut machen will, der Zugang zu „Die Litanei von den Gottesgaben“ von 1972 wesentlich schwerer fallen. Auch hier lockt die stilvoll gestaltete äußere Aufmachung des Buchs mit einem förmlich emblematischen Bild von Fischerhütten, die sich dem Stadium des Verfalls nähern. Damit ist zugleich das Thema des Romans bestimmt: Laxness widmet sich der ‚Heringsgeschichte‘ Islands von Anfang des 20. Jahrhunderts bis nach 1950 und thematisiert damit ein förmlich isländisches Trauma – das Ausbleiben der großen Heringsschwärme stürzte die isländische Wirtschaft in eine tiefe Krise. Die Zeugen dieses wirtschaftlichen Verfalls lassen sich auch heute noch bei Rundreisen über die Insel in Form von eben jenen zerfallenden Fischereigebäuden betrachten.

Laxness begegnet diesem für einen Roman fast schon abwegigen Thema mit einer Romanform, die häufig als dokumentarisch bezeichnet wird, da sie Auszüge aus Zeitungen, wissenschaftlichen Werken und anderen faktualen Quellen beinhaltet. Darüber hinaus tritt der Ich-Erzähler selbst immer wieder mit eigenen Quellen, besonders seinem Tagebuch oder erinnerten Konversationen, in den Vordergrund. Das macht den Text zu einer Mischung aus unterschiedlichen Stimmen, die sich aber alle um die Hauptfigur Islandsbersi zentrieren.

In einer Welt, in der der Zufall das alles entscheidende Konzept zu sein scheint, wird dem Leser diese durchaus liebenswerte, aber gleichzeitig schon in seiner Aufmachung völlig absurde Figur vorgeführt, der der Reichtum der Nation in die Hand gelegt wurde. Mit diesem spekuliert Islandsbersi munter, verprasst letztlich sein Kapital, vergisst dabei jedoch nie seine monetären Verpflichtungen. So jovial und leutselig der Protagonist aber auch erscheint, ist er doch für seine eigene Familie kaum fassbar. Dem vor Leben nur so strotzenden Mann wird eine kränkliche Tochter entgegengestellt, die sich auf die verzweifelte Suche nach ihm begibt. Das wird sie jedoch das Leben kosten.Jenseits dieser persönlichen Verflechtungen wird in der Tat die ‚Heringsgeschichte‘ (mit unterstützenden Zitaten von Kapitän Egill D. Grimsson) berichtet, die Island nicht nur einen unermesslichen Reichtum bringen könnte, sondern auch neue ‚Staatsformen‘ förmlich ausbrütet, die jedoch nicht länger als eine Nacht überdauern. Auch hier bleibt die Lust für das Absurde klar erkennbar. Laxness’ scharfe Beobachtungsgabe entlarvt die menschliche Natur – der leichtfüßige Ton der Kurzgeschichten und ihr liebevolles Sezieren bleiben dabei allerdings zurück. Im Gegenteil scheint er vielmehr Kapitalismus und Sozialismus ad absurdum zu führen. 

„Die Litanei von den Gottesgaben“ ist kein leicht zugängliches Buch. Das liegt an dem schwierig einzuschätzenden Ich-Erzähler, der – halb Vogelfänger, halb Schriftsteller – sein Dasein fristet und immer in den richtigen Momenten an den richtigen Stellen zu sein scheint, zum anderen daher, dass das Thema, für Island von überragender Bedeutung, für die meisten Leser hingegen weniger greifbar ist. Auch Anspielungen auf Sagas, die die Figuren, ein buntes und abwegiges Panoptikum der Gesellschaft, charakterisieren, machen das Buch zu einem anspruchsvollen Lesevergnügen. Faszinierend sind die Experimente mit unterschiedlichen Textsorten, die eine dichte Collage ergeben und nicht nur Authentizität vermitteln, sondern auch Laxness’ virtuose Meisterschaft in den  unterschiedlichsten Tonlagen unter Beweis stellen. Trotzdem liegt die Vermutung nahe, dass „Ein Angelausflug ins Gebirge“ einen größeren Anklang als „Die Litanei von den Gottesgaben“ finden wird.

Hubert Seelows Nachwort zum Roman führt weniger in die realen Umstände ein, die die Grundlage des Textes darstellen, sondern liefert eine kursorische Einordnung und Interpretation des Textes, die vom weniger kenntnisreichen Leser sicherlich dankbar angenommen wird, aber auch zum weiteren Nachdenken über den in Deutschland bisher wenig bekannten und rezipierten Autor anregt.

Titelbild

Halldór Laxness: Die Litanei von den Gottesgaben. Roman.
Übersetzt aus dem Isländischen von Hubert Seelow.
Steidl Verlag, Göttingen 2015.
176 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783869309453

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Titelbild

Halldór Laxness: Ein Angelausflug ins Gebirge. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Isländischen von Hubert Seelow.
Steidl Verlag, Göttingen 2015.
168 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783869309446

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