In der Soziologie ist nichts natürlich
Paula-Irene Villas Reise durch den Geschlechtskörper
Von Rolf Löchel
Eine gelungene "Orientierungshilfe und Einführung" in die soziologische Gender-Theorie hat Paula-Irene Villa mit ihrem Buch "Sexy Bodies" vorgelegt. Zwar brilliert sie weniger mit eigenen Theorien oder bahnbrechenden Erkenntnissen, doch hat sie eine übersichtliche und wohl strukturierte "Reise durch den Geschlechtskörper" unternommen.
Wenn Villa zu Beginn des Buches den Anteil von 'Natur' und Kultur am Geschlechterkörper erörtert, bezieht sie sich immer wieder auf Gudrun-Axeli Knapp. Beides müsse man als "wechselseitiges Konstitutionsverhältnis" denken. So könne die "Gegenüberstellung eines natürlichen 'sex' und eines kulturellen 'gender' [...] produktiv überwunden werden." Dabei entpuppten sich vermeintlich natürliche Tatsachen als "sozial konstruierte naturhafte Wirklichkeit". Offenbar gesteht sie der Kultur letztlich doch das Primat gegenüber der 'Natur' zu. "In der Soziologie", so heißt es denn später auch lapidar, "ist nichts natürlich".
Auf zwei TheoretikerInnen hat Villa ein besonderes Augenmerk: Pierre Bourdieu und Judith Butler. Zunächst erörtert sie Bourdieus Theoreme des Habitus und seiner "somatischen Dimension", der Hexis, mit deren Hilfe sie die "eher philosophisch orientierte[n] Subjekttheorien an die soziologische 'Kandare'" nehmen möchte. Wenn es sich hierbei auch um ein nicht ganz unproblematisches Unterfangen handelt, gelingt es ihr doch, Bourdieus und Butlers Theorien fruchtbar aufeinander zu beziehen. Ein wesentliches Ergebnis hiervon ist die Betonung der Erkenntnis, dass die Geschlechterdifferenz "immer in spezifischen sozialen Kontexten" stehe, die "von Macht und sozialer Ungleichheit durchzogen" seien. Durch die Zuordnung der Sphäre öffentlicher Produktion an Männer und privater Reproduktion an Frauen werde "das Organisationsprinzip kapitalistischer Gesellschaften mit dem Geschlechterverhältnis verquickt". Klingt an dieser Stelle allenfalls an, dass Villa der soziologischen Analysekategorie 'gender' gegenüber denjenigen von 'class' - und wohl auch 'race' - den Vorrang einräumt, betont sie später nachdrücklich, dass "das Geschlecht [...] wahrscheinlich die grundlegendste Dimension der Identität" sei.
Im Anschluss an die Darstellung von Butlers 'diskurstheoretischem' "Sozialkonstruktivismus" fragt Villa unter ausdrücklicher Anerkennung der Einsichten Butlers "in die Untrennbarkeit von Sprache und Materialität", wie "nun konkret aus Diskurs Körper" werde. Die Frage an Butler speist sich aus Gesa Lindemanns Unterscheidung zwischen Leib als der "Dimension des Binnenerlebens" und des "subjektive[n] Fühlen[s] und Spüren[s]" einerseits, und Körper andererseits, dessen Begriff "auf die soziale Prägung und Vermitteltheit des Leibes" abziele. So beantwortet Villa mit Lindemann die bei Butler offene Frage dahin gehend, dass "die soziale Geschlechterdifferenz [...] ihre Wirklichkeit als Materialität des Leiblichen" entfalte. Zwar seien Diskurse "Teil des sozialen Körperwissens", doch seien diese von Butler ausführlich analysierten Normen nur als "subjektive leibliche Empfindungen" real und somit "sozial relevant".
Die für Feminismus und Gendertheorie so wichtig gewordene Psychoanalyse lässt Villa ausdrücklich unberücksichtigt. Das muss allerdings kein Nachteil sein, leiden doch ähnliche Unternehmungen oft an dem gescheiterten Versuch, allzu viele Transferleistungen erbringen zu wollen.
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