Konstitution oder Konstruktion.
Barbara Köster und Barbara Rendtorff verteidigen den Geschlechtskörper
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Psychologin Barbara Köster und Pädagogin Barbara Rendtorff, beide zudem Soziologinnen und Mitarbeiterinnen der Frankfurter Frauenschule, haben einen Band zur "Frage der Sexuierung" vorgelegt, der neben der gemeinsamen Einleitung drei Texte Kösters und vier von Rendtorff enthält, die "einer längeren Diskussionsphase zwischen den beiden Autorinnen" entstammen. Unter Sexuierung, so erklären sie in der Einleitung, verstehen sie zunächst, dass alles Bezug "zu der Tatsache der Geschlechtlichkeit des Menschen" habe, und darüber hinaus, dass jeder Mensch die "zweigeschlechtliche Ordnung" interpretiert, "sie sich selbst durch sein Handeln, seine Beziehungen usw. aneignet und sich darin verortet". Die Frage der Autorinnen bezieht sich nun darauf, wie die "Positionen von 'weiblich' und 'männlich' dabei gestaltet werden". Ihr Augenmerk richten sie insbesondere darauf, "welchen Stellenwert der geschlechtliche Körper in diesem Geschehen hat". Hierbei handele es sich um eine "Frage von größtem Interesse", zumal die "größte Schwäche aktueller feministischer Theorie" darin bestehe, dass sie den Körper geopfert habe. Das "Schlachtfeld aller Auseinandersetzungen sowohl mit den Gegnern des Feminismus als auch innerhalb des Feminismus selbst", so Köster, sei der Körper der Frau. Sie und ihre Mitstreiterin zögern nicht, sich in das Schlachtgetümmel zu stürzen, um den Körper zu retten. Denn er entlarve "die absolute Gleichheit der Geschlechter als Illusion". Eine Illusion, die allerdings niemand zu hegen scheint. Denn was könnte absolute Gleichheit überhaupt bedeuten? Keine zwei Körper sind absolut gleich, ebenso wenig wie zwei Blätter eines Baumes. Also können auch kaum die Geschlechter absolut gleich sein. Wären sie es doch, dann wären es nicht zwei, sondern nur eines und die Menschen wären innerhalb eines Geschlechtes verschieden. So, wie es der Vorstellung bis ins Mittelalter entsprach, der zufolge die Frau nicht das Andere des Mannes war, sondern ein unvollkommener Mann.
Allerdings behaupten die Autorinnen die Zweigeschlechtlichkeit nicht einfach nur, sondern begründen sie. Die "unhintergehbare Grenze", welche die Menschen in genau zwei Geschlechter teile, so Köster nämlich weiter, werde von den beiden "unterschiedlichen Funktionen" gezogen, die den männlichen und weiblichen Körpern "bei der Produktion neuer menschlicher Wesen" zukommen. In der "potentiell andere[n] Funktion in der Reproduktion der Gattung" liege die unhintergehbare Differenz der Geschlechter. Dass sie damit zahlreiche Menschen jenseits der Geschlechtlichkeit ansiedelt, scheint Köster zu entgehen: etwa die meisten Hermaphroditen, ebenso sämtliche Menschen die sich sterilisieren ließen oder Frauen nach dem Klimakterium.
Rendtorff, die anders als Köster nicht so sehr von der Konstitution des Geschlechtskörpers spricht, sondern eher von dessen "Konstruktion", besteht ebenfalls darauf, dass die Geschlechterdifferenz durch den Körper gegeben sei. Allerdings führt sie als Begründung nicht die Fähigkeit an, entweder zeugen oder gebären zu können, sondern die "Geburtigkeit" eines jeden Menschen, worunter sie versteht, dass jeder Mensch einen Vater und eine Mutter habe, dass also zwei Geschlechter vorgängig notwendig sind, damit ein Mensch geboren werden könne. Hiermit entgeht sie zwar der Kritik, der Kösters Begründung anheim fällt, doch lässt sie die Tatsache außer Acht, dass Väter und Mütter Nachkommen haben können, die selbst keinem der beiden Geschlechter angehören - oder beiden, oder anderen. Wenn Rendtorff konstatiert, dass der geschlechtliche Körper die Geschlechter nicht nur trennt, sondern durch den Umstand, nicht das andere Geschlecht sein zu können, auch verbindet, so klingt das zwar sehr plausibel, aufgrund der expliziten Reduzierung auf zwei Geschlechter vermag jedoch auch ihre Theorie der "symbolischen Kastration" zu Hermaphroditen, Trans- und Intersexuellen sowie etlichen anderen, sich der Norm der Zweigeschlechtlichkeit entziehenden Menschen nichts zu sagen.
Beide Autorinnen weisen im Übrigen nachdrücklich und sehr zu Recht darauf hin, dass der Geschlechtskörper nicht die Folie für "Geringschätzung und Abwertung geben" darf, auch dann nicht, wenn er als factum brutum verstanden wird, das eine unhintergehbare Geschlechterdifferenz schafft.
Trotz der vorgebrachten Bedenken handelt es sich um ein durchaus lesenswertes Buch. Das nicht zuletzt deshalb, weil es die beiden Lacanianerinnen verstehen, grundlegende Thesen Lacans verständlich darzulegen. Allerdings muss auch hierzu kritisch angemerkt werden, dass Rendtorff Lacans "Formel der Sexuierung" zwar ausführlich behandelt, ohne sie allerdings vorzustellen.
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