Die Plastikstraße zum Happy-End

Douglas Couplands neuer Roman "Miss Wyoming"

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Ausdruck Kultautor sollte man vorsichtig sein. Douglas Coupland allerdings verdient es, als solcher bezeichnet zu werden, ist es ihm doch gelungen, mit einem einzigen Roman das Lebensgefühl einer ganzen Generation gleichermaßen zu beschreiben wie zu beeinflussen. Gut möglich, dass Coupland in einigen Jahren als einer der bedeutendsten Autoren für das Verständnis und Selbstverständnis des ausgehenden 20. Jahrhunderts gilt, schafft er es doch wie kaum ein anderer, stets aufs Neue die Entwicklungen des Zeitgeistes, so subtil sie auch sein mögen, in einer Romanhandlung einzufangen.

Der Titel "Generation X" wurde zum festen Begriff, Couplands Romane in der Folge allerdings waren weniger aufsehenerregend. Galt "Shampoo Planet" noch als würdiges Zweitwerk, stellten viele Leser bei "Mikrosklaven" schon vereinzelte Ermüdungserscheinungen fest.

Mit seinem neusten Roman "Miss Wyoming" kann Coupland seine Leser weitgehend zufrieden stellen - vorausgesetzt, sie wollen nicht schon wieder eine neue Generation dargestellt sehen. Der Autor wirkt literarisch gereift und präsentiert die Histoire in einem von ihm bisher nicht gekannten erzählerischen Vexierspiel, indem er zwei sich nur zu Beginn überschneidende Handlungsstränge verfolgt, die beide ohne Rücksicht auf ihre Linearität präsentiert werden.

Coupland erzählt von einer Welt, die im höchsten Grade künstlich und entmenschlicht zu sein scheint. Er zeigt "Kreaturen" mit all ihren Träumen und Ängsten auf einer "mühevollen Reise" - auf dem "strahlenden Weg aus Plastik". So sagt sich etwa John: "Du hast so ziemlich jedes Gefühl empfunden, das du vermutlich je empfinden wirst, und von jetzt an wird alles nur noch Wiederholung sein. Und das macht mir total Angst." Aber die Geschichte hat doch noch ein neues Gefühl zu bieten: das der Liebe, und zwar genau dann, wenn man es nicht erwartet.

Durch diese, in der Plastikwelt anachronistisch erscheinende Empfindung, nimmt die Geschichte erst ihren Lauf: John Johnson, ein 37-jähriger B-Movie-Produzent mit wechselndem Erfolg, verliebt sich bei einer zufälligen Begegnung in den ehemaligen Kinderstar Susan Colgate. Nach einem ersten Gespräch setzt er alles daran, sie wiederzusehen, doch Susan ist verschwunden. Schließlich, nach einigen Wirren und Verzögerungen, kommt es zu einem klassisch anmutenden Hollywood-Happyend. Damit wäre schon fast alles gesagt, fügte der Autor nicht immer wieder Rückblenden ein, die der Rekonstruktion der bisherigen Lebensläufe gelten. Dabei schließt nie ein Kapitel inhaltlich an das vorige an, vielmehr muss der Leser verschiedene Zeitpunkte und Lebensstationen bald voneinander trennen, bald miteinander in Beziehung setzen. Indem er die Figuren in verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung kennen lernt, hat der Rezipient zuweilen Wissensvorsprünge, die es ihm ermöglichen, die Figuren im Wissen um ihre Zukunft zu betrachten und damit eine zusätzliche Perspektive zu gewinnen.

Dabei verwendet Coupland viel Mühe darauf, dem Leser seine Protagonisten nahe zu bringen. Zum einen Susan Colgate, deren Name jeder Amerikaner mit Mundpflege und Zahnpasta verbindet, verbringt ihre gesamte Kindheit und Jugend damit, an Schönheitswettbewerben teilzunehmen (und sie auch zu gewinnen), bis sie ein Star in einer Daily-Soap wird. Ihre strahlende Karriere nimmt durch das Absetzen dieser Serie ein abruptes Ende, verdankt sie ihren Erfolg doch weniger ihren schauspielerischen Fähigkeiten als ihrem Status als "Miss USA Teen". Der Absturz vom gefeierten Fernsehstar zum finanziell ruinierten Sternchen lässt Susan nicht als stereotype Hollywood-Blondine erscheinen, sondern gibt Einblick in ihren Charakter jenseits des Laufstegs: denn all die Jahre ist Susan bemüht, sich in einem schmerzhaften Prozess von ihrer Mutter Marylin zu lösen, die sie von Kindesbeinen an auf eine Karriere im Universum der Schönen trimmte. Marylin ist der Overkill an Karrierebewusstsein, und so "schenkt" sie Susan bei einer Kieferoperation auch gleich noch eine neue Nase.

Neben Susan ist auch John ein Grenzgänger der Welt, einer Welt, die gleichsam eine Schöpfung der Traumfabrik ist. Susan überlebt als einzige einen Flugzeugabsturz und lässt die Öffentlichkeit ein Jahr lang im Glauben, sie sei tot. John kehrt der Gesellschaft ebenfalls den Rücken und beginnt, mittellos durch Amerika zu wandern. Derweil stellt sich die Ironie des Erfolges ein: nachdem seine Filme jahrelang floppten, entwickelt sich sein neuester Film ohne sein Zutun - und ohne seine Beteiligung - zum Kassenhit. Als er seinen seelisch-körperlichen Tiefpunkt erreicht, erscheint ihm Susan als Vision und legt ihm nah, sein Leben zu ändern. Besessen von diesem Ziel, macht er sich auf eine Suche, von der er selbst nicht recht weiß, wohin sie ihn führen wird. Bezeichnend, dass die erste Station seiner Zivilisationsflucht ein Fast-Food-Restaurant ist. Die Figuren sind viel fester in der von ihnen verabscheuten Welt verwurzelt, als ihnen lieb und bewusst ist. Vortrefflich veranschaulicht Coupland diese Verwurzelung einerseits, die paradoxe Auflehnung gegen sie andererseits. Wenn etwa sowohl John als auch Susan unabhängig voneinander in einem Müllcontainer nächtigen müssen und Susan sogar im Müllwagen landet, wird der Leser an die Bildsprache und die Metaphorik aus Sam Peckinpahs Filmklassiker "Getaway" (1972) erinnert, die wiederum auf Beckett referiert.

Coupland bietet wieder einmal ein teilweise bizarres, satirisches und verzerrtes Bild der amerikanischen Wirklichkeit, das möglicherweise gar nicht allzu verzerrt ist. Dabei verwendet er allerdings auch Bilder, die nicht immer neu, und Handlungszusammenhänge, die oft zu vorhersehbar sind. Dabei ist die Geschichte bei aller Bitterkeit selbst eine Ausgeburt der Traumfabrik. Zum einen, indem Coupland ihre Bewohner und Opfer zeigt, und zum anderen, indem er sich ihrer Genreregeln bedient und zwei füreinander bestimmte Menschen aller scheinbaren Widerstände zum Trotz zueinander führt.

Der Reiz des Romans besteht neben der durch die zeitlichen Sprünge erzeugten ungewohnt spannenden Erzählweise vor allem in der Konservierung alltäglicher Verhaltensweisen und der Lebensansichten der Figuren, die neben den Vertretern der Generationen X und Y in ihrer Plastizität und grotesken Liebenswürdigkeit bestehen können.

Titelbild

Douglas Coupland: Miss Wyoming. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Tina Hohl.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2001.
336 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3455011756

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