Berliner Chaos

Peter Schneider erzählt von einer Stadt zwischen Vergangenheitsbewältigung und Aufbruchstimmung

Von Stefanie Regine BrunsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Regine Bruns

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zehn Jahre liegt der Mauerfall jetzt zurück. Zehn Jahre, in denen sich in Deutschland vieles geändert hat, doch nirgendwo so viel wie in Berlin. Baukräne, großspurige Investoren und alternative Hausbesetzer sind dort heute fast schon alltäglich. Niemand wundert sich noch über Rotkäppchensekt im Westen und Mercedes-Limousinen im Osten. Enthüllungen über brisante Stasi-Verstrickungen gehören der Vergangenheit an.

Doch in "Eduards Heimkehr" erzählt Peter Schneider von einem, dem das alles neu ist: Eduard Hoffmann kommt zu spät. Nach langen Jahren der Abwesenheit kehrt der erfolgreiche Wissenschaftler und Erbe eines Mietshauses im Osten der Stadt aus dem warmen Kalifornien nach Berlin zurück. Von dem Haus hat er bisher nie gehört, genauso wenig wie von seinem Großvater, der es ihm vererbt hat. Den Mauerfall und die Wiedervereinigung hat Eduard nur im Fernsehen miterlebt. Berlin ist ihm seit langem fremd geworden, er findet sich in der sich explosionsartig verändernden Stadt nicht mehr zurecht.

Zu allem Überfluß ist sein Mietshaus in Friedrichshain von westdeutschen Hausbesetzern bewohnt, die alsbald einen medienwirksamen Kleinkrieg gegen ihn führen und ihn als Nazi-Erbe anzuschwärzen suchen. Bei der Polizei begegnet man seinen Beschwerden mit verständnislosem Kopfschütteln.

Seine alten Freunde Klott, der rebellische Alt-68er, und Theo, der links-intellektuelle Schriftsteller, haben einschneidende Wandlungen durchgemacht. Eduard beobachtet sie und die allgemeine Verwirrung der intellektuellen Szene in Berlin mit Neugier und Verwunderung.

Auch aus seiner Frau Jenny wird Eduard nicht mehr so recht schlau: Sie, die aus einer jüdisch-italienischen, von den Nazis verfolgten Familie stammt und in Kalifornien aufgewachsen ist, spürt wenig Lust, ihrem Mann nach Berlin zu folgen. Gleichwohl Als kommt sie besser mit den Hausbesetzern zurecht, ja sie findet sogar Gefallen an der unfertigen, hektischen Stadt. Weil sie es sich nicht vorstellen kann, mit den Kindern ganz nach Berlin umzuziehen, wird die ohnehin schon gefährdete Ehe weiter strapaziert. Eduard aber kämpft um Frau und Haus und findet schließlich einen ungewöhnlichen Ausweg.

Peter Schneider schildert in seinem neuen Roman die letzten zehn Jahre Berlins aus der Perspektive eines Fremden. Sein Protagonist hat die Deutsche Einheit und ihre Folgen verpaßt, so daß ihm jetzt Dinge auffallen, die in Deutschland schon als ganz normal gelten: Seien es die mit links- oder rechtsradikalen Graffitibotschaften überzogenen Häuserwände, die schier endlosen Irrwege der Bürokratie oder die unfreundlichen Polizeibeamten, die Hausbesetzer eher schützen als die Rechte der Hausbesitzer zu verteidigen. Eduard beobachtet gleichzeitig distanziert und neugierig die rasanten Veränderungen in Berlin und die immer noch vorhandenen Unterschiede zischen Ost und West. "Eduards Heimkehr" ist ein gut erzählter Roman, der die "typisch" deutschen Eigenheiten zumeist treffend beschreibt. Leider versucht Peter Schneider, zu viele Themen auf einmal zu bewältigen: Die Stasi-Vergangenheit wird ebenso thematisiert wie die NS-Zeit, Eduards Forschungsprojekt über verhaltensändernde Gene wird in den Medien mit der Rassenlehre der Nazis verglichen. Daneben werden Jennys Orgasmusprobleme konstatiert, analysiert und therapiert. Dabei hat das Buch wie dargestellt, nun wirklich genug Höhepunkte zu bieten.

Wenig überzeugend erscheint Eduards Affäre mit einer gutaussehenden Mitarbeiterin das Instituts für Molekularbiologie, bei all seinen Schwierigkeiten in Berlin und den Auseinandersetzungen mit seiner Frau. Kurz nachdem sein neues Mietshaus gebrannt hat, bringt er doch tatsächlich noch die Kraft auf, mit seiner Geliebten für ein paar Tage wegzufahren. Wohin? Wir ahnen es schon: nach Weimar. Eduard bezeichnet die Stadt als "Provinzmetropole", er hält sie für "die Adresse für neudeutsche Parzivals" und "das Camelot für die Beschwörer eines besseren, heilen Deutschland". Mit spöttischer Überheblichkeit besichtigen sie die Spuren Goethes und Schillers. Eine Anhäufung deutscher Klischees, rüpelhaftes Fahrverhalten und ein schnodderiger Umgangston verstellen den Blick auf die Geschichte des "Spätheimkehrers".

Titelbild

Peter Schneider: Eduards Heimkehr.
Rowohlt Verlag, Berlin 1999.
432 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3871343137

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