Du bist wie du riechst

Jürgen Raabs "Soziologie des Geruchs"

Von Christiane BarthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christiane Barth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf den ersten Blick erscheint der Titel etwas ungewöhnlich, da sich die Soziologie bislang kaum für den Geruch interessiert hat. Man muss sich eigentlich fragen warum, kennt man doch zahlreiche psychologische und vor allem populärwissenschaftliche Artikel zur Manipulation von Individuen durch Gerüche.

Diese Frage versucht auch Jürgen Raab, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Geschichte und Soziologie an der Universität Konstanz, zu beantworten und er stellt darüber hinaus eine gewagte These auf: der Umgang mit Gerüchen und deren Bewertung sei gesellschaftlich determiniert. Er geht sogar noch weiter indem er behauptet, Gerüche würden in den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen unterschiedlich wahrgenommen und gezielt zur sozialen Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen eingesetzt.

In seiner Arbeit, die sich grob in drei Teile untergliedern lässt, versucht er, die historischen Hintergründe des gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Umgangs mit dem Geruch zu erhellen. Weiterhin stellt er sich die Aufgabe, in bestehenden soziologischen Theorien und empirischen Studien Belege für seine These zu finden.

In einem äußerst anschaulichen, wenn auch zum Teil etwas weit ausholenden Überblick über die Beschäftigung mit dem Geruchssinn in den verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen wird vor allem deutlich, dass der Geruchssinn im Vergleich zu den anderen Sinnen weitaus seltener zum Gegenstand der Betrachtung wurde. Der Grund für diese Tatsache besteht nach Raab in erster Linie in einer starken Voreingenommenheit der Wissenschaften, insbesondere der Kultur- und Sozialwissenschaften, gegenüber dem Geruchssinn. So wird er in der Philosophie bereits seit der Antike tendenziell eher den "niederen" Sinnen zugerechnet, die nur primitive, körperliche Funktionen erfüllen und im Gebiet des Geistigen keine Rolle spielen.

In der anthropologischen und der ethnologischen Forschung sieht Raab eine vorherrschende Beschäftigung mit dem Geruch in nichtwestlichen, vorindustriellen Gesellschaften. Wenn überhaupt die westlichen Gesellschaften thematisiert würden, dann nur in Abgrenzung zu anderen. Raab operiert in diesem Zusammenhang mit dem Begriff der "Rasse", der nicht nur durch seine negative Konnotation fehl am Platze ist, sondern auch auf mangelndes anthropologisches Wissen schließen lässt.

Der Soziologie unterstellt Raab das geringste Interesse auf dem Gebiet des Olfaktorischen. Vereinzelt erkennt er zwar Ansätze zu einer Thematisierung bei Thorsten Veblen und Georg Simmel, aber auch hier sieht er eine Abwertung des Geruchssinns. Für ihn liegt in dieser Voreingenommenheit der Grund dafür, dass es noch keine Theorien und empirische Untersuchungen der Soziologie bezüglich des Geruchs gibt.

In seinem zweiten Arbeitsschritt versucht der Autor, die Bedeutung des Geruchs anhand bestehender soziologischer Theorien herauszufiltern. Zu diesem Zweck betrachtet er zunächst den Umgang mit den Gerüchen von der Anfangszeit der Menschheit bis heute aus der Perspektive von Elias Zivilisationstheorie. Schon beim Lesen seiner ausführlichen und unterhaltsamen Darstellung wird überdeutlich, wie sich bestimmte Einstellungen zu den Gerüchen und damit auch zu Hygiene verändern. Beliebtes Thema in diesem Zusammenhang sind immer wieder die Bürger- und Adelskreise des 17. Jahrhunderts, von denen bekannt ist, dass sie jeglichen Kontakt ihres Körpers mit Wasser vermieden und dafür um so mehr Parfum benutzten. Laut Raab ist es dem Prozess der Zivilisation zuzuschreiben, dass üble Gerüche irgendwann als störend empfunden wurden, was eine zunehmende Affektkontrolle, die in diesem Fall aus dem Bemühen der Vermeidung schlechter Gerüche bestand, nach sich zog.

Besonders interessant ist jedoch der Versuch, den Geruch in die Lebensstilmodelle von Pierre Bourdieu und Gerhard Schulze einzubinden. In diesen Modellen wird davon ausgegangen, dass sich die Gesellschaft in Milieus unterteilen lässt, die sich durch verschiedene Faktoren voneinander unterscheiden, wie beispielsweise Bildungsstand, ökonomische Ressourcen oder bestimmte Grundeinstellungen. Nach außen hin unterscheiden sich die Milieus vor allem durch Geschmacksdifferenzen. Raab versucht hier den Geruch einzubeziehen und behauptet, bestimmte Geruchspräferenzen und -praktiken seien ebenso milieuspezifisch wie die Vorliebe für bestimmte Musikrichtungen oder Fernsehsendungen.

Im dritten Teil seiner Arbeit versucht er dies anhand von empirischen Daten, die von einem Hersteller von Duftprodukten erhoben wurden, zu belegen. Die Analyse ergibt, dass vor allem der Bildungsstand der befragten Frauen für die Wahl eines bestimmten Duftproduktes verantwortlich ist. Leider erschöpft sich dieser Teil in überflüssigen Wiederholungen und ist durch zahlreiche Abkürzungen schwer lesbar. Das Ergebnis lässt dann auch zu wünschen übrig. Lediglich zwischen Bildungshöhe und bestimmten Geruchspräferenzen konnte ein signifikanter Zusammenhang festgestellt werden. Außerdem wurden nur Frauen befragt, wodurch die Aussagekraft des Ergebnisses stark eingeschränkt wird.

Doch trotz aller Schwächen bleibt Jürgen Raabs Hauptaussage überzeugend. Die soziologische Untersuchung des Geruchs birgt vermutlich noch viele interessante Erkenntnisse und es wäre wünschenswert, wenn diese Arbeit einen Anstoß für weitere Betrachtungen bilden würde.

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Jürgen Raab: Soziologie des Geruchs. Über die soziale Konstruktion olfaktorischer Wahrnehmung.
UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2001.
416 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-10: 3896699806

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