Die Tücken des Subjekts
Judith Butler über das Subjekt der Unterwerfung
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseJudith Butler, unbestritten einer der führenden und innovativsten Köpfe des (post-)feministischen Gender-Diskurses, dürfte mit ihrem neuen Buch einmal mehr für anhaltende Diskussionen und Kontroversen nicht nur unter Gender-TheoretikerInnen und FeministInnen, sondern ebenso unter politischen AktivistInnen der Schwulen- und Lesbenbewegung(en) gesorgt haben - für vehemente Kritik ebenso wie für begeisterte Zustimmung. In ihrem jüngsten Werk, "Psyche der Macht", greift sie Foucaults Theorie der Macht auf, der gemäß Macht Subjekte "allererst bildet oder formt", und dem Subjekt sowohl die "schiere Daseinsbedingung" als auch die "Richtung seines Begehrens" gibt. Butlers Theorie zufolge ist Macht also nicht nur etwas, gegen das "wir uns wehren", sondern das "unsere Existenz" bedingt. Wir unterliegen einer "grundlegenden Abhängigkeit von einem Diskurs", so Butler, in den wir hineingestellt sind, ohne ihn uns ausgesucht zu haben, der aber andererseits "unsere Handlungsfähigkeit" allererst ermöglicht und erhält. Diesen "Prozeß des Unterworfenwerdens durch Macht", der zugleich ein "Prozeß der Subjektwerdung" ist, bezeichnet Butler als "subjection". Für den kaum ins Deutsche zu übertragenden Begriff hat Reiner Ansén, der das Buch übersetzt hat, den treffenden Neologismus "Subjektivation" gefunden. Der Terminus bezeichnet weder nur "Beherrschung", noch nur "Erzeugung" eines Subjekts, sondern vielmehr eine "gewisse Beschränkung in der Erzeugung", ohne die das Subjekt überhaupt nicht hervorgebracht werden kann, eine "Restriktion" also, mit und durch die sich diese Hervorbringung allererst vollzieht.
Butler folgt Foucault in der Auffassung, dass das Subjekt durch eine "ursprüngliche Unterwerfung unter die Macht" geschaffen werde, moniert aber, dass er es dabei belasse, auf die Ambivalenz dieser Formulierung hinzuweisen, ohne dem Doppelaspekt von Macht als Unterwerfung und Erzeugung nachzugehen. Zudem lasse er die "gesamte Sphäre der Psyche" außer acht. Über Foucault hinausgehend will sie nun zeigen, dass die Theorie der Macht und die Theorie der Psyche einander erhellen und befruchten können. Ihr zentraler Bezugspunkt bleibt dabei jedoch stets Foucault, an dessen Theorie der Subjektgenese sie eine psychoanalytisch begründete Kritik oder besser gesagt Korrektur vornimmt, da sich die Subjektivation - vor allem der Vorgang, bei dem das Subjekt zum "Prinzip seiner eigenen Unterwerfung" wird - ohne Zuhilfenahme einer psychoanalytischen Erklärung der "formativen und generativen Wirkungen von Restriktion" nicht verstehen lasse.
Zunächst aber zeichnet Butler Hegels Ausführungen über das unglückliche Bewusstsein in der "Phänomenologie des Geistes" nach - allerdings nur, um den Weg, den Hegel damit eröffnet hat, zu verwerfen, wie sie schon zu Beginn des Hegel gewidmeten Abschnittes verkündet, was nicht gerade zu dessen Lektüre animiert. Die weiteren Stationen von Butlers Argumentation führen an den Auffassungen des schlechten Gewissens bei Nietzsche und Freud vorbei, an Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen letzterem und Foucault sowie an Althussers Theorem der Anrufung. Schließlich entwickelt Butler anhand von Freuds Schriften "Melancholie und Trauer" und "Das Ich und das Es" die so originelle wie plausible These, dass Geschlechtszugehörigkeit als eine "Art von Melancholie" oder als eine der "Wirkungen von Melancholie" zu interpretieren ist. Die vorherrschenden "starre[n] Formen der Geschlechtszugehörigkeit und der sexuellen Identifizierung" fasst sie als "Folgeformen der Melancholie" - und zwar unabhängig davon, ob die sexuellen Präferenzen hetero- oder homosexuell sind. Damit sind die wichtigsten Stationen von Butlers Argumentationsgang genannt.
Entscheidend für die Möglichkeit einer emanzipatorischen Praxis ist nun die Frage, wie angesichts der ineinanderspielenden Theorien der Macht und der Psyche eine "oppositionelle Beziehung zur Macht" überhaupt aussehen kann, da diese "in ebender Macht angelegt" ist, gegen die sie sich wenden soll. Ausdrücklich versucht sich Butler bei der Erörterung der praktischen Bedeutung ihrer Theorie der Subjektivation von "politisch scheinheilige[n] Formen des Fatalismus" ebenso freizuhalten wie von "naive[n] Formen des politischen Optimismus". Zunächst einmal hält sie fest, dass sich aus der "ursprünglichen Komplizenschaft mit der Unterordnung" keine deterministisch notwendigen "historischen oder logischen Folgerungen" ableiten lassen. Zwar verhänge das Subjekt die Subjektivation als Unterordnung über sich selbst, doch da diese im Zuge der Evozierung des Subjekts Vorbedingung für dessen Handlungsfähigkeit sei, werde sie ihrerseits zur "Begründung dafür, dass das Subjekt Garant seines Widerstands und seiner Opposition" werde, wie sie mit Foucault betont. Die Behauptung einer Garantie von Widerstand und Opposition scheint Butler jedoch allzu euphorisch und wird von ihr sogleich dahingehend präzisiert, dass dem Subjekt als "Effekt einer vorgängigen Macht" die "Möglichkeitsbedingung für eine radikal bedingte Form der Handlungsfähigkeit" eigne, die die sie ermöglichende Macht übersteige. In den Worten ihrer über Foucault hinausgehenden Verknüpfung der Theorie der Subjektivation mit einer Theorie der Psyche heißt das, dass der "Trieb" als Ort der "potentiellen Kontrolle" zwar ständig erzeugt wird, diese Erzeugung jedoch die sie "leitenden Reglementierungsziele" überschreitet. So ist zwar die Möglichkeit des Subjekts zum oppositionellen Handeln immer schon im Bestehenden befangen: Das Subjekt empfängt - um es mit Adorno zu sagen - seinen "Raum zum Atmen von der Gnade dessen [...], wogegen es rebelliert". Doch dieses treibt - und das sah Adorno nicht - notwendigerweise jene hervor und über sich hinaus. "Wenn das Begehren letztlich auf das Fortdauern seiner selbst" zielt, dann sei der "Fähigkeit des Begehrens, sich zurückzuziehen und neu anzubinden", die "Verwundbarkeit jeglicher Strategie der Subjektivation" inhärent, lautet das alles andere als naive, wohl aber gemäßigt optimistische Fazit Butlers.
Nun ist Butlers Argumentationsgang im ganzen innovativ und nachvollziehbar, dennoch ist er nicht frei von ein, zwei Unschärfen. Zwar kann sie zeigen, dass ihre Theorie der Subjektgenese der von der Logik verlangten Widerspruchsfreiheit widerstreiten (was im übrigen für manchen der traditionellen Logik verpflichteten Philosophen Grund genug sein dürfte, das Buch beiseite zu legen). Die Unvereinbarkeit mit der obligaten Widerspruchsfreiheit, führt Butler aus, besteht darin, dass die Macht, die dem Subjekt aufgezwungen wird, gemäß der Theorie der Subjektivation, dieses Subjekt allererst hervorbringt; mit anderen Worten: Die Theorie widerstreitet dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch, dem gemäß einem 'Ding' ein Prädikat nicht zugleich zukommen und nicht zukommen kann. Das bedeutet im Zusammenhang der Subjektgenese, dass das Subjekt nicht zugleich sein und nicht-sein kann. Ein Widerspruch, der der paralogistischen Erschleichung eines Beweisgrundes, einer petitio principii entspricht, der das zu beweisende bereits voraussetzt. So weit, so gut. Unscharf wird Butlers Argumentation jedoch, wenn sie fortfährt, das Subjekt gehe auch dadurch "über die Logik der Widerspruchsfreiheit hinaus", dass es weder durch die Macht völlig bestimmt sei, noch es selbst seinerseits die Macht vollkommen determiniere, und Butler als Begründung hinzufügt, es gehe "über das Entweder/Oder hinaus". Letzteres mag sein; inwiefern jedoch auch dies in Konflikt mit der "Logik der Widerspruchsfreiheit" stehen soll, ist nicht einzusehen. Denn der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch ist nicht tangiert. Vielleicht hat Butler aber den Satz vom ausgeschlossenen Dritten im Auge, dem gemäß einem 'Ding' ein Prädikat entweder zukommt oder es ihm nicht zukommt. Der Satz besagt also: "entweder a oder nicht a" (es kann zwischen zwei kontradiktorischen Gegensätzen kein Drittes geben). Er besagt jedoch nicht: "entweder a oder b" und auch nicht "wenn a, dann nicht b". Aber nur diese beiden Sätze könnten durch die Theorie der Subjektivation tangiert sein. Dem ersten von beiden widerstreitet die Behauptung, dass weder die Macht vom Subjekt völlig bestimmt werde noch umgekehrt; dem zweiten, dass das Subjekt über "das Entweder/Oder" hinausgehe. Beides sind aber keine Sätze der Logik, und schon gar nicht logische Sätze der Widerspruchsfreiheit.
Eine weitere argumentative Unschärfe Butlers besteht darin, dass nicht immer klar wird, ob sie von ontogenetischer oder logischer Subjektbildung redet. Für beide Varianten lassen sich Belege finden. So rekurriert sie wiederholt auf die kindliche Entwicklungspsychologie und verweist auf die "ursprüngliche Abhängigkeit" des Kindes, um aufzuzeigen, dass Macht zur Subjektbildung notwendig ist. Solle das Kind "im sozialen und psychischen Sinn weiterleben", so Butler, müsse es "Abhängigkeit und Bindung" geben. Wenn Butler jedoch andererseits betont, dass das Subjekt "nicht mit dem Individuum gleichzusetzen" sondern vielmehr eine "sprachliche Kategorie" sei, die als "Platzhalter, als in Formierung begriffene Struktur" zu verstehen sei, so ist das eine deutliche Absage an die entwicklungspsychologische Interpretation. Dass es Butler nicht so sehr um Entwicklungspsychologie als vielmehr um die Logik der Subjektbildung geht, scheint zudem ihr Hinweis auf das "tropologische Dilemma" zu belegen, dem wir unterliegen, wenn wir der Frage nachgehen, "wie die Macht ihr Subjekt hervorbringt, wie das Subjekt die Macht in sich aufnimmt, der es seine Entstehung verdankt". Noch deutlicher wird sie an anderer Stelle: Die "Reflexionsbeziehung", in der das Subjekt "zugleich vorausgesetzt und noch nicht gebildet erscheint, oder aber andererseits schon gebildet und damit nicht vorausgesetzt" ist, erhebe "keinen ontologischen Anspruch". Die "Zirkelhaftigkeit, die man aus logischer Sicht beklagen" könne, löse sich auf, wenn man die Figur als "Möglichkeitsbedingung der Figuration selbst" betrachte. Dann stellt sich allerdings die Frage, wieso es zuvor heißt, dass das Subjekt "aus ihm vorhergehenden Machtbedingungen abgeleitet" sei und sich die "psychische Operation der Normen" von "primären gesellschaftlichen Operationen" herleiten. Doch womöglich geht es Butler weder um Entwicklungspsychologie noch um Logik, sondern um Narration und sie erzählt einfach eine Geschichte. Darauf deutet zumindest ihre Bemerkung hin, dass "die Geschichte der Subjektivation" das Subjekt "erklären will".
Aber trotz dieser - nicht in jedem Fall völlig marginaler - Unschärfen hat Butler einmal mehr ein beachtenswertes Buch vorgelegt.
Zuletzt seien noch zwei der zahlreichen Überraschungen herausgegriffen, die Butlers Buch bietet. Es handelt sich um zwei Statements, von denen das erste allerdings nur für diejenigen überraschend ist, die Butler seit "Gender Trouble" in einer zentralen Aussage missverstanden haben. Die Autorin fühlt sich nämlich einmal mehr gezwungen, nachdrücklich darauf hinzuweisen, mit ihrer "Behauptung, dass ein Diskurs den Körper 'formt'" meine sie nicht "daß eine solche 'Formung'" eine "'Verursachung' oder 'Bestimmung'" besage; "noch viel weniger" solle damit gesagt werden, "Körper bestünden schlicht und einfach aus Diskurs". Das eigentlich Überraschende an dieser Richtigstellung - die für den Argumentationsgang ihres Buches im übrigen völlig belanglos ist - besteht nun aber darin, dass sie offenbar immer und immer wieder notwendig ist.
Zum zweiten werden viele frappiert - und zudem etliche Butler-AnhängerInnen enttäuscht - sein, dass Butler behauptet, es gebe "kein 'drittes Geschlecht' [...], nach dem zu suchen oder zu streben wäre". Das Zitat findet sich in einer Replik auf Adam Philips ebenfalls in dem Buch enthaltenen Kommentar zu dem Abschnitt "Melancholisches Geschlecht", in dem er über mehrere Seiten hinweg nachdrücklich die Auffassung vertritt, dass es "nur zwei Geschlechter" gebe. Auffällig an Butlers - scheinbar - zustimmender Antwort ist nun, dass sie nicht - wie er - sagt, es gebe nur zwei Geschlechter, sondern die Existenz eines dritten verneint und dieses "dritte Geschlecht" zudem in Anführungszeichen setzt, so dass die Zweideutigkeit ihrer Zustimmung der community kaum entgehen dürfte.
Ein letztes Wort noch zu der im ganzen gelungenen Übersetzung: Dass nach über einem Jahrzehnt virulenter bundesdeutscher Gender-Diskussion in einer Publikation Butlers der Begriff "Gender" nicht unübersetzt bleibt, sondern durch den bis zur Verfälschung hin vereinfachenden Begriff "Geschlechtszugehörigkeit" übersetzt wird, ist weder einsichtig noch notwendig. Auch wer heutzutage als DeutscheR zu Butler greift, der/die dürfte im Gender-Diskurs soweit bewandert sein, dass ihm/ihr der Begriff "Gender" geläufig ist. Vollends missglückt ist die Übertragung des "gendered character" in einen "geschlechtsspezifisch gemachte[n] Charakter". Wäre hier "gendered" nicht wenigstens in eckige Klammern gesetzt, könnte man kaum verstehen, was gemeint ist.
|
||