Erotische Anziehungskraft

Dagmar Leupold wiederholt sich

Von Ralf Georg CzaplaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Georg Czapla

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn das literarische Debüt eines Autors oder einer Autorin von der Kritik mit Begeisterung aufgenommen und mit Literaturpreisen ausgezeichnet wird, dann mag dies dem Bekanntheitsgrad zuträglich sein, für das künftige Schreiben bedeutet es jedoch eine nicht zu unterschätzende Hypothek. Nur allzu oft enthalten Nachfolgewerke Anleihen aus dem Erstling und geraten dadurch ungewollt zu Selbstzitaten. Für Dagmar Leupold gilt dies in besonderem Maße. Seitdem sie für "Edmond. Geschichte einer Sehnsucht" (1992) den aspekte-Literaturpreis für das beste Prosadebüt des Jahres erhielt, versucht sie vergeblich diesen Erfolg zu wiederholen. "Ende der Saison" ist nach "Edmond" und "Federgewicht" (1995) ihr dritter Roman. Mit ihm wendet sie sich wieder der literarischen Großform zu, nachdem sie mit "Destillate" (1996) kurzfristig ins Genre der Kurzprosa gewechselt war.

"Ende der Saison" führt den Leser in den italienischen Ort Monticiano. Dort geht soeben die Tourismus-Saison zu Ende. Das Wetter ist unbeständig, und heftige Regenfälle vertreiben die letzten Reste des Sommers. In der Bar der Familie Lippi trifft man sich, um Gespräche über Banalitäten des Alltags zu führen, über die Gastritis der Großmutter, über Erbschaft, Steuern, die Politik der Regierung sowie den merkwürdigen Deutschen, der seit kurzem auf dem nahen Monte Siepi in einem Zelt wohnt und wegen seiner schulterlangen roten Haare und seines einnehmenden Lachens nur 'Il Santo' genannt wird. Doch nicht allein wegen seiner befremdlichen Lebensweise und seines auffälligen Äußeren liefert Santo den Einheimischen Gesprächsstoff. Seiner erotischen Anziehungskraft erliegen nach und nach die Frauen des Ortes, die Bibliothekarin Cinzia und die Kindergärtnerin Sara ebenso wie Donatella, die siebzehnjährige Tochter der Lippis. In Gaia, ihrer siebenjährigen Schwester, weckt der fremde Mann eine unbändige Neugier. Sie verfolgt Santo und seine Verhältnisse mit großem Interesse, bis sie eines Tages ihn und Donatella beim Liebesspiel in den Mauern einer alten Kirche beobachtet. Als Santo schließlich auf seine Kindheitsfreundin Irene Sanft trifft, die sich auf einer Reise durch die Toskana befindet, verschwindet er scheinbar ebenso zufällig, wie er gekommen war.

Dagmar Leupold wartet in "Ende der Saison" mit wenig Überraschendem auf, unterscheiden sich die Ingredienzen ihres neuen Romans doch nur unwesentlich von denen ihrer früheren. Wie schon in "Edmond" und "Federgewicht" erzählt die Autorin auch hier weniger von Außergewöhnlichem als von Alltäglichem. Ihr Thema ist das Beziehungsgeflecht zwischen den Geschlechtern, ein Geflecht, das gleichermaßen von Attraktion und Zurückweisung, von Hoffnungen und Enttäuschungen bestimmt wird. Im Mittelpunkt des Geschehens steht ein fremder Mann, den der Name, den ihm die Einheimischen zugedacht haben, lächerlich und mystisch zugleich erscheinen läßt. Mit Edmond, dem Protagonisten des gleichnamigen Romans, teilt Santo nicht nur die auf Frauen geradezu zwingend wirkende erotische Attraktivität seiner Fremdheit, sondern auch die Fähigkeit, ein begonnenes Liebesverhältnis abrupt zu beenden. Die Rolle der kleinen Buddha-Figur, die in "Edmond" den Erzählvorgang amüsiert, mahnend oder kritisierend begleitete, übernimmt in "Ende der Saison" in gewisser Weise ein Computervirus. Unvermittelt bricht es in den Text des Romans ein, durchsetzt ihn mit befremdlichen Schriftfonts und noch befremdlicheren Satzfragmenten. Was in "Edmond" aber als originelles Element der Reflexion der Autorin über ihr eigenes Schreiben beeindruckte, wirkt hier nur aufgesetzt. Seiner Natur entsprechend kann das Virus nur eine Aneinanderreihung von Phrasen, Platitüden und Gedankensplittern liefern, die sich einer sinnvollen Zuordnung zum Inhalt des Romans widersetzen. Dabei hätte der Roman solcher Kapriolen gar nicht einmal bedurft. Er besitzt seine Stärken dort, wo seit jeher die Stärken der Autorin liegen, in der subtilen Darstellung erotischer Begegnungen.

Titelbild

Dagmar Leupold: Ende der Saison.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1999.
224 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3100441044

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch