Postmoderne Friseuse schwallt alten Physikprofessor voll

Bei Lars Gustafsson herrscht künstlerische Windstille

Von Hans-Harald MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hans-Harald Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Möchten Sie zwei Stunden lang von einer durchgeknallten Friseuse vollgeschwallt werden?- Wo es das gibt? Im neuen Buch von Lars Gustafsson, "Windy erzählt": Da redet eine Friseuse aus Austin, Texas, einem alten Physikprofessor den Kopf ab, 131 Seiten lang.- Nein er kommt gar nicht zu Wort - "Monologerzählung vor stummem Partner" nennt man das.- Nein, neu ist das nicht, eher postmodern, aber gut gemacht.- Wieso die Frau durchgeknallt ist? Sehen Sie selbst! Das Buch hat noch gar nicht richtig angefangen, da zitiert die Friseuse schon Rilke, und auch später drückt sie sich oft sehr geschwollen aus - dabei behauptet sie, sie würde nur Akupunkturbücher und sowas lesen. Aber was sie sich in diesen zwei Stunden alles zusammenerzählt! Völlig zusammenhangslos und unglaublich! Als Kind hat sie angeblich Engel gesehen, als Erwachsene will sie während eines Tornados bei den Toten gewesen und wieder zurückgekehrt sein, ihr Vater soll mehrere Versicherungsdirektoren erschossen haben, und sie selbst prophezeit dem alten Physikprofessor, dem sie stundenlang die Haare schneidet, er würde den Nobelpreis kriegen! Dabei ist sie eine ganz einfache Frau, wohnt in einem Wohnmobil mit zwei Töchtern von verschiedenen Vätern - die Väter haben das Weite gesucht, verständlich.

Das Tollste ist aber, daß etwa die Hälfte des Buches von Leuten handelt, die aus einem anderen Roman von Lars Gustafsson stammen, aus "Die Sache mit dem Hund".- Wieso Windy die kennt? Fragen Sie Gustafsson! Windy weiß von der "Sache mit dem Hund" mitunter mehr als die Figuren dieses Romans, mit dessen Helden sie sogar geschlafen haben will. Vermutlich stammt sie überhaupt selbst aus diesem Roman.- Ob ich das witzig finde? Nur sehr bedingt.- Nein, langweilig ist das nicht, aber etwas anstrengend. Allerdings gibt es immer wieder witzige und auch schöne Stellen in Windys Erzählung. Zum Beispiel da, wo sie von dem alten Mann erzählt, der sie und ihre Töchter gerettet hat. Der alte Mann war Rattenfänger, bis ihn eine Ratte gebissen hat. Da bekam er schrecklich hohes Fieber, begann aber sofort, "eine außerirdische Musik zu komponieren". Nun liegt er im Bett und beobachtet die Schatten eines Baums an der Wand. "Und sie waren gar nicht wie Laubschatten sonst - es entstand eine Tiefe darin -, sie wurden zu einer Art Wald, in den er hineingehen konnte. Mit jedem Tag ging er etwas tiefer in diesen Wald hinein, er behauptete, er hätte da drinnen sogar Gestalten getroffen und mit ihnen gesprochen."- Solche Stellen gibt es häufiger.

Ja, postmodern.- Nein, ein richtiges Thema hat die Erzählung nicht. Man denkt immer, es könnte die Rückkehr aus dem Reich der Toten sein, denn dazu hat Gustafsson extra ein Motto aus Vergil herausgesucht, und am Ende des Buchs erzählt Windy, daß der alte Mann sie über einen Fluß ins Totenreich gefahren hat wie weiland Charon über den Styx.- Abgedreht? Vielleicht, aber nicht völlig, denn ganz am Schluß verabredet der alte Professor mit Windy ein ganz bodenständiges date.- Wie ich das insgesamt finde? Technisch gut - sonst schwach. Bei Gustafsson ist eine künstlerische Windstille eingetreten.

Titelbild

Lars Gustafsson: Windy erzählt. Von ihrem Leben, von den Verschwundenen und von denen, die noch da sind. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Carl Hanser Verlag, München 1999.
131 Seiten, 13,30 EUR.
ISBN-10: 3446197826

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch