Eventisierung der Popliteratur: Der Sound des Jetzt

Interview zur Poetik-Dozentur in Heidelberg 2003

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Zwischen dem 28. Mai und dem 12. Juni findet an der Universität Heidelberg zum zehnten Mal die Poetik-Dozentur statt, die sich diesmal unter dem Titel "Der Sound des Jetzt" dem Phänomen Popliteratur widmet. Waren bisher Autoren wie Martin Walser oder Volker Braun in Heidelberg zu Gast, um über ihre Literatur zu sprechen, so werden sich in diesem Jahr mehrere Schriftsteller und Wissenschaftler bei verschiedenen Veranstaltungen mit dem Thema Pop und Literatur beschäftigen. Ulrich Rüdenauer unterhielt sich mit der verantwortlichen Dozentin Dr. Jutta Schlich vom Germanistischen Seminar in Heidelberg und mit Florence Feiereisen, einer der Studentinnen, die an Organisation und Planung der Poetik-Dozentur beteiligt ist.

U. R.

FRAGE: Wie kam die Idee zustande, ein Seminar zum Thema Popliteratur anzubieten - eine ja doch eher anti-akademische Strömung? Was interessiert Sie daran?

JUTTA SCHLICH: Die Idee zum Seminar kam von Florence Feiereisen, die mittlerweile bei mir ihre Magisterarbeit zum Thema geschrieben hat und die auch Stipendiatin der Poetik-Dozentur ist.

FLORENCE FEIEREISEN: Popliteratur im Uni-Kontext zu behandeln bedeutet, etwas Neues zu machen, eine Veränderung zu bewirken, über den üblichen Germanistik-Tellerrand zu schauen. Seit vielen Jahrzehnten dominieren immer die gleichen Autoren die Germanistik. Literaturwissenschaftlich eignet sich die Popliteratur jedoch hervoragend für die Uni.

FRAGE: Kommt man mit dem Thema für eine Veranstaltungsreihe nicht zu spät, nachdem "Popliteratur" im Feuilleton schon vor über einem Jahr mehr oder minder verabschiedet wurde und ja gerade auch in Heidelberg/ Mannheim mit der "Pop & Poetry"-Reihe Popliteratur bereits gut vertreten ist?

FEIEREISEN: Popliteratur wissenschaftlich anzugehen wurde aber bisher vernachlässigt. Möglicherweise lässt sich ein Thema effektiver behandeln, wenn die Euphorie der Bücherindustrie langsam abklingt. Und die Tatsache, dass die Popkultur als Spaßkultur verworfen wird, ist ja auch Grund genug, sich im wissenschaftlichen Kontext damit auseinanderzusetzen. Aufgabe des Feuilletons ist es, diese literarische Strömung zu werten. Interessant für uns Literaturwissenschaftler ist zu analysieren, was hinter der Wertung steckt.

SCHLICH: Literarische Texte von der Sprache her aufzubauen und weniger von einem Inhalt oder einer Handlung her ist ein Bedürfnis und eine Tendenz literarischer Produktion, die seit dem Beginn der Moderne um 1800 zunehmen. Das Phänomen Popliteratur ist eine marktwirtschaftliche Synthese von Verlagsmarketing und Autoreninteresse, fungiert vornehmlich als Verkaufsetikett und muss dementsprechend mit Kampagnen und Antikampagnen leben und sterben und wieder auferstehen. Demgegenüber bleibt das, was popliterarische Texte - aber nicht nur sie - in Anlehnung an Popmusik ausmacht (die Arbeit mit Sprache, die Konzentration auf deren Klang und Rhythmus, kurz: auf deren Musikalität, der gegenüber Inhalt nur einen Aspekt darstellt) in steter Weiterentwicklung begriffen. Ebenso wie sich der Farbsinn aus der allgemeinen Sehkraft heraus entwickelt hat, so verfeinerte sich das Gehör im musikalischen Sinn, der noch heute im Entstehen begriffen ist. Wenn wir uns mit der spezifischen Musikalisierung von Sprache im Zuge der Popliteratur beschäftigen, so bewegen wir uns also voll auf der Höhe der Evolution. Evolutionsgeschichtlich gesehen kommt unsere Poetik-Dozentur also nicht zu spät. Marktwirtschaftlich gesehen sind wir ebenfalls voll im Trend, macht man sich die Präsenz der jungen Autoren bei einem sozial relativ breit gestreuten Publikum bewusst, wie sie bei Lesungen auffällt.

FRAGE: Wie kam es dazu, dieses Seminar durch eine Poetik-Dozentur zu ergänzen?

SCHLICH: Weniger das Seminar wird durch eine Poetik-Dozentur ergänzt als umgekehrt die Poetik-Dozentur durch ein begleitendes Seminar. Die Idee, die diesjährige Poetik-Dozentur ausgerechnet mit Popliteraten zu bestücken und damit in gewissem Sinne zu demokratisieren, ging allerdings doch aus dem angesprochenen Seminar hervor.

FRAGE: Wie könnte man das Konzept der Veranstaltungsreihe beschreiben?

FEIEREISEN: Wir haben versucht, aus allen Popliteratur-Strömungen einen oder mehrere Repräsentanten einzuladen. Dabei versuchen wir den popimmanenten Eventcharakter sichtbar zu machen: eine lange Lese- und Partynacht soll beweisen, dass Literatur vor allem Spaß macht. Für das nötige theoretische Wissen wird es natürlich auch eine Podiumsdiskussion mit Literaturwissenschaftlern und Vertretern aus der Medienbranche sowie Vorträge zum Thema geben.

FRAGE: Was versprechen Sie sich von der Veranstaltungsreihe? Wer soll angesprochen werden - bisher war die Poetik-Dozentur in Heidelberg ja eher auf ein bildungsbürgerliches Publikum zugeschnitten?

SCHLICH: Die Veranstaltungsreihe wird diesmal sicherlich ein heterogeneres Publikum als sonst erreichen: Die Studierenden der Germanistik selbstverständlich, überhaupt alle an Sprache Interessierten, die Literarische Gesellschaft am Germanistischen Institut der Uni Heidelberg, Uni-Externe aus fast allen sozialen Bereichen und Lebenslagen ...

FEIEREISEN: Ja, wir hoffen, tatsächlich jeden willkommen heißen zu dürfen, der sich für Literatur und ihren Schnittstellenbereich mit Musik interessiert. Dabei haben wir eine zweigeteilte Zielgruppe im Sinn: diejenigen, die Popliteratur als Zuhörer der Lesungen oder Besucher der Lesenacht beiwohnen wollen, und diejenigen, die im literaturwissenschaftlichen Kontext mehr über die Charakteristika der Popliteratur erfahren wollen und eventuell sogar bereit sind, das Hauptseminar "Popliteratur" am Germanistischen Seminar aktiv mitzugestalten.

FRAGE: Warum hat man sich diesmal dafür entschieden, mehrere Autoren einzuladen?

SCHLICH: Popliteratur lebt von der Eventisierung: sei es durch den Verlag, sei es durch die Autoren selbst auf ihren Lesungen - immer ist Popliteratur ein Happening, etwas, wo etwas passiert. Ebenso wie die Texte selber weggehen von philosophischer Verquastheit hin zu Klang, Rhythmus und Bewegung von Gefühl und Verstand, so auch diese Poetik-Dozentur. Der Konzentration auf den Inhalt von Texten entspricht die Konzentration auf etwas Vereinzeltes. Der Öffnung auf die vielfältigen Aspekte von Sprache entspricht die Öffnung auf Vielfältiges, so auch auf ein ganzes Spektrum von Autoren, die sich der popliterarischen Szene zurechnen oder dieser zugerechnet werden.

FRAGE: Welche Art von Popliteratur interessiert Sie?

FEIEREISEN: Alle Texte, die über Sprachingenieurskunst und besondere Wiedererkennungseffekte verfügen. Die Hybridsprach-Experimente von Feridun Zaimoglu sehe ich als große Leistung eines "Sprachingenieurs" an, der seine Texte sorgfältig konstruiert. Auch einige Aktivisten des Social Beats spreche ich diese Eigenschaft zu. Gerade Lesern im Rhein-Neckar-Kreis möchte ich Thomas Meineckes `Tomboy´ empfehlen.

FRAGE: Auf welche Autoren freuen Sie sich besonders?

SCHLICH: Auf Alexa Hennig von Lange. Die jetzige Besetzung der Poetik-Dozentur ist in Ordnung, vor allem weil ich als Frau weibliche Identifikationsfiguren wünsche. Und das ist uns gelungen: eine paritätische Besetzung der Poetik-Dozentur mit erfolgreichen Männern und Frauen der Popliteraturszene.

FRAGE: Gibt es jemanden, den Sie sich noch als Teilnehmer an der Reihe gewünscht hätten?

FEIEREISEN: Rolf Dieter Brinkmann, aber da bin ich wohl ein paar Jahre zu spät dran. Rainald Goetz, der Schocker von Klagenfurt, wäre sicher reizvoll gewesen, aber ich denke wir werden auch ohne ihn einen repräsentativen Querschnitt in Heidelberg zu Gast haben.

VERANSTALTUNGEN IM RAHMEN DER POETIK-DOZENTUR IN HEIDELBERG:

Seminargespräch: Ralf-Rainer Rygulla und Ralf Bentz, Germanistisches Seminar, Mittwoch, 28. Mai, 16 Uhr

Eröffnungsfeier: Einführender Vortrag, anschließend Lesung mit Alexa Hennig von Lange, Alte Aula der Universität Heidelberg, Mittwoch, 28. Mai, 20 Uhr

Podiumsdiskussion zum Thema Pop und Literatur mit Kerstin Gleba, Thomas Meinecke, Eckhart Nickel, Florence Feiereisen und Hubert Winkels. Moderation: Jutta Schlich, Stadtbücherei Heidelberg, Donnerstag, 5. Juni, 20 Uhr

Lese- und Partynacht mit Thomas Meinecke, Andreas Neumeister, Kathrin Röggla und Feridun Zaimoglu, Freitag, 6. Juni, 20 Uhr

Lesung mit Elke Naters, Antiquariat Ex Libris, Mittwoch, 11. Juni, 20 Uhr

Vortrag von Eckhard Schumacher: "Jetzt, ja, nochmal. Jetzt". Rainald Goetz' Geschichte der Gegenwart. Germanistisches Seminar, Donnerstag, 12. Juni, 16 Uhr

Genauere Informationen zum Programm und zu den Teilnehmern unter:

http://www.cl.uni-heidelberg.de/poetikdozentur