Briefe an den lieben Gott voller Binsenweisheiten

Eric-Emmanuel Schmitt erzählt von einem krebskranken Jungen

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schreiben ist für Oskar wie Lametta. "Firlefanz, Schmus, Kokolores und so weiter. Schreiben ist nichts anderes als Schwindeln mit Schnörkeln drum herum. Erwachsenenkram." Oskar dagegen ist das Gegenteil: frei heraus und direkt. Dennoch setzt sich der zehnjährige Junge eines Tages hin und schreibt Briefe. Ganz ohne jeden Schnörkel schildert er darin niemand Geringerem als dem lieben Gott persönlich seine Situation: "Man nennt mich Eierkopf, ich sehe aus wie sieben, ich bin im Krankenhaus wegen meinem Krebs, und ich habe noch nie mit Dir geredet, weil ich nämlich nicht daran glaube, dass es Dich gibt."

"Oskar und die Dame in Rosa" hätte eine kleine anrührende Geschichte über das Tabuthema Tod werden können. "Wenn man im Krankenhaus sterben sagt, hört keiner richtig zu", ist die Erfahrung von Oskar. Der Junge mit dem hellwachen Verstand im kranken Körper bemerkt sehr wohl, wie seine Eltern ihre Sprachlosigkeit mit Geschenken zu überspielen suchen. Oder die Verlegenheit seines Arztes, weil weder eine Chemotherapie noch eine Operation den erwünschten Erfolg gezeigt haben. Kommentar Oskar: "Doktor Düsseldorf [...] macht ein ganz trauriges Gesicht, wie ein Weihnachtsmann, der keine Geschenke mehr im Sack hat." Nur eine der Damen vom Besuchsdienst für kranke Kinder weicht Oskars Fragen nicht aus. "Oma Rosa", wie er sie wegen ihres rosa Kittels nennt, muntert den Jungen mit Geschichten aus ihrem aufregenden Leben als einstige Catcherin auf, spricht mit ihm über die Angst und den Tod. Sie ist es, die ihm vorschlägt, seine Gedanken Gott zu schreiben. Und sie ist es, die ihm seine letzten Wochen mit der Idee, sich jeden einzelnen Tag vorzustellen, als erlebe er darin zehn Jahre, bereichert.

So macht Oskar in zwölf Tagen eine rasante innere Entwicklung durch, die er sorgfältig notiert. Er überwindet sich und spricht das Mädchen Peggy Blue endlich an, das ihm schon lange gefällt. Er macht Dummheiten, reißt zu Weihnachten aus und versöhnt sich letztlich, dank Oma Rosas Hilfe, mit seinen Eltern. Und am Ende verliert für ihn auch der Tod seinen Schrecken. Doch so rührend die Geschichte von dem erfolgreichen Bühnenautor konzipiert ist, so gelungen etwa der Kniff mit dem Schlussbrief ist, der dann von Oma Rosa stammt: Zu überzeugen vermag das Buch nicht. Nicht nur die Botschaft, die dem Leser letztlich mitgegeben wird - "Schau jeden Tag auf diese Welt, als wäre es das erste Mal" - wird viel zu aufdringlich in Szene gesetzt. Auch die allzu altklugen Kommentare Oskars sind ein Ärgernis. So weist der Zehnjährige beispielsweise den Arzt in seine medizinischen Schranken: "Sie sind nicht Gottvater. Sie können nicht über die Natur bestimmen. Sie sind nur eine Art Mechaniker. Sie müssen mal loslassen, Doktor Düsseldorf, locker werden und sich selbst nicht so wichtig nehmen, sonst werden Sie diesen Beruf nicht lange ausüben können." Dieser Monolog ist so konstruiert wie die ganze Erzählung: Zwölf Tage darf Oma Rosa mit einer Sondererlaubnis den Patienten täglich besuchen. Exakt am zwölften Tag, nach allerlei gut gemeinten Gesprächen über Gott, Glauben und Tod stirbt Oskar.

Ein gutes Buch für Kinder ist "Oskar und die Dame in Rosa" sicherlich nicht. Eher ein gut gemeintes Kinderbuch für Erwachsene, die ihre Zitatensammlung mit Binsenweisheiten und rührseligen Sprüchen á la "Der Kleine Prinz" auffüllen möchten. Nur leider erreicht Schmitt bei weitem nicht das Format eines Antoine de Saint-Exupéry.

Titelbild

Eric-Emmanuel Schmitt: Oskar und die Dame in Rosa. Meridiane. Aus aller Welt. Band 57.
Ammann Verlag, Zürich 2003.
105 Seiten, 13,80 EUR.
ISBN-10: 3250600571
ISBN-13: 9783250600572

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