Wer nur ein Hirn und kein Herz hat, ist niemand
Ingeborg Bachmanns Testament
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseGut dreißig Jahre nach dem von Gerda Haller 1973 gedrehten Portrait Ingeborg Bachmanns liegen nun die in dem Film geäußerten Statements der österreichischen Schriftstellerin in gedruckter Form vor. Bislang waren nur drei kurze Auszüge in den von Christine Koschel und Inge von Weidenbaum 1983 unter dem Titel "Wir müssen wahre Sätze finden" herausgegebenen Gesprächen und Interviews nachzulesen. Gänzlich unveröffentlicht waren bisher die ebenfalls in das vorliegende Buch aufgenommenen Gespräche, welche die Regisseurin mit Bachmann zur Vorbereitung des Films führte. Sie umfassen - inklusive einiger Bilder - nicht mehr als 21 Druckseiten. Man darf also wohl annehmen, dass es sich nur um Auszüge handelt, zumal die Art ihrer Wiedergabe den Eindruck erweckt, als handele es sich um ein einziges Gespräch.
Dennoch ist das Buch von großem Wert - nicht nur für die Bachmannforschung, sondern überhaupt für alle an Bachmanns Schaffen Interessierten. Denn wie Hans Höller im Nachwort zu Recht bemerkt, bieten Film und Gespräche "ein konzentriertes Resümee der Themen", die Bachmann "zeitlebens" beschäftigt haben. Und dass die von Bachmann im "Gestus eines Lebensrückblicks" gehaltenen Gespräche als "Testament der Schriftstellerin" verstanden werden könnten, ist durchaus keine Übertreibung.
Erst 1983, zehn Jahre nach seiner Fertigstellung, sollte das filmische Portrait unter dem Titel "Ingeborg Bachmann in Italien" erstmals ausgestrahlt werden. Schon in der ersten Sequenz des Films bekennt die Schriftstellerin, "daß ich nicht mehr weiß, warum ich hier [in Rom] lebe". Die römische Gesellschaft habe aufgehört, sie zu interessieren. Weitaus emphatischer spricht sie - zwar nicht im Film, aber in den Gesprächen - von Polen, das sie kurz zuvor besucht hatte. Dort gehöre sie hin, denn sie sei ja eine Slawin.
Ungeachtet des Filmtitels äußert sich Bachmann nicht nur über ihr Verhältnis zu ihrer Wahlheimat (und dem kürzlich entdeckten Polen), sondern auch zu ihrer Arbeit als Schriftstellerin über das Verhältnis von Komponieren und Musik einerseits und dem Schreiben andererseits sowie darüber, was eine(n) Autor(in) ausmacht. "Ein Schriftsteller", legt Bachmann dar, könne "überhaupt nicht intelligent genug sein". Denn wer nicht "die höchste Intelligenz" besitze, sei "überhaupt kein Schriftsteller". Aber, fügt sie zunächst etwas zögerlich hinzu, wer nicht "emotiv" sei, könne "vielleicht auch kein Schriftsteller sein", um dann ganz dezidiert zu schließen: "[W]enn nicht beides zusammenkommt, nämlich die größte Intelligenz und die vehementeste Emotivität, dann wird nichts draus." Ja überhaupt: "Wer nur ein Hirn hat und kein Herz hat, ist niemand."
Aus den Gesprächen ist nun auch zu erfahren, warum die Prosaistin zuletzt keine Gedichte mehr schrieb. En passant erklärt sie in diesem Zusammenhang, sie habe seit ihrem Buch "Das dreißigste Jahr" - ihren "ersten Geschichten" - aufgehört, Gedichte zu schreiben, abgesehen von "Böhmen liegt am Meer". Was, wie man seit der Publikation verschiedener Nachlassgedichte weiß, nicht ganz zutrifft. Auch handelt es sich bei den "Geschichten" des "dreißigsten Jahres" durchaus nicht um ihre ersten, sondern nur um ihren ersten publizierten Band mit Erzählungen. Zuvor hatte sie bereits etliche Geschichten in Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht. Die erste bereits Ende Juli 1946 in der "Kärntner Illustrierten" unter dem Titel "Die Fähre". Außerdem wäre da auch noch die zu Bachmanns Lebzeiten unveröffentlicht gebliebene Jugenderzählung "Das Honditschkreuz" und das verloren gegangene Manuskript des Romans "Stadt ohne Namen" zu nennen. Scheint sie diese frühen Werke vergessen zu haben, so äußert sich Bachmann doch ausführlich zum Beginn ihres Schreibens, das eng "mit Komponieren" zusammenhing, "denn ich habe seltsamerweise zuerst zu komponieren angefangen, da war ich ein Kind". Und noch immer gilt ihr Musik "mehr als schreiben" und "mehr als alles". Daher lehnt sie die "Ausdrucksweisen" "musikalische Prosa" und "musikalische Lyrik" ab. Ungewöhnlich ausführlich äußert sich Bachmann auch zu dem 1966 veröffentlichten Gedicht "Böhmen liegt am Meer", wobei sie sowohl die Entstehung des Gedichtes offen legt als auch die Bedeutung, die es immer noch für sie hat. Mit ihm sei ihre lyrische Arbeit "endgültig zu Ende" gegangen, behauptete sie, denn nun sei "alles gesagt" gewesen. Dennoch erschienen zwei Jahre nach "Böhmen liegt am Meer" im berühmten 15. Band des von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen "Kursbuchs" mit "Enigma", "Keine Delikatessen" und "Prag Jänner 64" drei weitere Gedichte aus der Feder der Lyrikerin.
In einer der letzten Sequenzen des Films unterstreicht Bachmann, die zweimal eine Heirat mit dem homosexuellen Komponisten Hans Werner Henze ins Auge gefasst hatte, ihre prinzipielle Ablehnung der Ehe. "[V]on Anfang an" habe sie gewusst, dass sie "gegen die Ehe" sei, "gegen jede legale Beziehung", ohne allerdings ausschließen zu wollen, "daß Beziehungen, die nicht legalisiert sind, genau so tragisch und fürchterlich sein können wie die, die legalisiert sind". Und Bachmann, die im Liebes- und Geschlechterkampf mit Max Frisch nahezu tödliche Wunden davontrug, wusste nur zu genau, wovon sie sprach. Die Ehe aber kritisiert sie aus anderen Gründen als "unmögliche Institution", sie sei "unmöglich für eine Frau, die arbeitet und die denkt und selber etwas will". So weit war dieser Passus über "[d]ie Beziehung zwischen Mann und Frau" auch schon in den von Koschel und von Weidenbaum herausgegebenen Interviews und Gesprächen abgedruckt. Unterschlagen wurde von ihnen allerdings, dass Bachmann mit deutlich feministischem Impetus fortfährt: "Man muß sich dagegen wehren, daß diese Welt, die von Männern gemacht worden ist, Frauen unterdrückt, Frauen für inferior hält."
Gerda Hallers Portrait beigefügt ist eine Audio-CD, die allerdings nur Bachmanns Wortbeiträge aus dem Film, nicht aber die vorbereitenden Gespräche enthält. Zuletzt sei noch auf einen kleinen Fehler hingewiesen, der sich in den Aufdruck der CD eingeschlichen hat: Die dort annoncierten "Gespräche in Rom Juni 2003" sind natürlich 30 Jahre zurückzudatieren.