Von Irrungen und Wirrungen

Zwei neue Bücher von Helmut Krausser auf einen Schlag: Sowohl der Roman „Trennungen. Verbrennungen“ sowie die Kolumnensammlung „Zur Wildnis“ sollten als Kommentare zu unserer deutschen Gegenwart gelesen werden

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nur ein Jahr nach Helmut Kraussers letztem Roman Geschehnisse während der Weltmeisterschaft erscheint bereits der nächste – was verwundert, denn der Autor ist in den letzten Jahren als Vermittler des nahezu vergessenen Komponisten Alberto Franchetti äußerst beschäftigt gewesen. Doch irgendwie scheint es ihm in den Fingern gejuckt zu haben, einen bitterbösen zeitgenössischen Gesellschaftsroman zu verfassen. Inspiriert dazu wurde er mit Sicherheit von seiner eigenen Kolumne, die drei Jahre lang im Berliner Magazin Zitty erschien und die er nun zeitgleich (wenn auch bei einem anderen Verlag in Buchform vorlegt. Die jeweils zwei- bis vierseitigen Skizzen spielen stets in der Berliner Kneipe „Zur Wildnis“, in der Krausser regelmäßig zu verkehren scheint; hauptsächlich, um Backgammon zu spielen, aber auch um den Gesprächen der verschiedenen, oft skurrilen Charaktere zu lauschen, die dort ihr Bier konsumieren. Natürlich geht es stets um Themen, die das Land bewegen: die AfD, Feminismus, den Berliner Flughafen oder die steigende Frequenz rüpelhaften Verhaltens unter Mitbürgern. Betont liebevoll zeichnet Krausser das Bild eines Biotops, das natürlich die Gesellschaft als Ganzes abbilden soll. So ist es auch gar nicht allzu relevant, ob das, was der Autor geschrieben hat, tatsächlich Alltagsbeobachtungen sind, oder ob es sich – zumindest teilweise, wie vom Verlag angedeutet – um Fiktion handelt. Auf jeden Fall machen die Kolumnen auch in gesammelter Form Sinn und ergeben so etwas wie einen Episodenroman, der äußerst unterhaltsam ist.

Der in der Folge entstandene Roman Trennungen. Verbrennungen spielt bewusst mit dem Mittel des Groschenromans bzw. seines medialen Nachfolgers, der Soap Opera, wie der Verlag auf dem Klappentext schon fast in warnender Manier erwähnt. Als wollte man den Kritikern bereits vor der Lektüre zurufen: Bitte nicht allzu ernst nehmen und dem Autor dann seine scheinbar missglückte Romankomposition unter die Nase halten! Tatsächlich erreicht zunächst die Aufteilung in 121 kurze Kapitel (in denen jeweils alternierend eine der zahlreichen Plotlinien verfolgt wird), dass es rasant zugeht und der Leser sich nicht allzu viel Gedanken um Figurenpsychologie, einen komplexen Handlungsaufbau oder sonstige literarische Feinheiten machen muss. Die Figuren wirken allesamt völlig überzeichnet und vereinen jedes nur denkbare Klischee in sich, das zu ihrem jeweiligen Stereotyp passen könnte. Da ist der gediegene Archäologie-Professor Fred Reitlinger und seine Frau Nora, bei denen zu Hause wie in einem Fontane-Roman gesprochen wird. Nora hat eine von ihrem scheinbar impotenten Ehemann geduldete, ja, geförderte Affäre mit einem intellektuell etwas minderbemittelten Hotelmanager, dessen ebenfalls eher einfach gestrickte Frau jedoch nichts davon ahnt. Reitlingers 19-jährige Tochter Alisha (komischer Name für ein Professorenkind, aber auch das macht irgendwie Sinn) sieht sich wiederum als Radikalfeministin, tappt dabei in jedes nur denkbare Fettnäpfchen. Der Sohn Ansger wiederum ist ein koksender Start-Up-Geldgeier, der sich in seinem Wahn millionenfach verschuldet hat, so dass ihm nach einem exzessiven Bordellbesuch nur noch der Selbstmord bleibt. Und so geht es munter weiter mit der Riege aus durchweg unsympathischen Figuren, die hauptsächlich ihr eigenes Wohl im Sinn haben und deren Schicksale durch völlig unrealistische Zufälle miteinander verbunden werden. Das endet in Klamauk-Szenen, hin und wieder in nachdenklichen Momenten, spannend ist es auch einigermaßen, aber die Frage muss man schon stellen: Was soll das Ganze?

Vor über 20 Jahren, als der junge Helmut Krausser nach den Romanen Melodien und Thanatos als einer der sprachmächtigsten Autoren der neuen deutschen Literatur galt, veröffentlichte er den Roman Der große Bagarozy, der wohl ganz erfolgreich war, aber die Kritiker auf den Plan rief. Krausser legte in seinen mittlerweile schon legendären Tagebüchern dar, wie sehr er dem Konzept der Vielschichtigkeit eines Textes vertraut und wie wenig deutsche Kritiker in der Lage seien, diesem zu folgen. Tatsächlich darf man Trennungen. Verbrennungen eben nicht ausschließlich als Satire auf unsere wohlbehütete aufgeklärte, politisch korrekte Gegenwart lesen, die der Roman durchaus unter anderem sein soll. Interessanter erscheint jedoch das Konstruktionsprinzip der Soap, das ihm zugrunde liegt und dank dem eine Verbindung der Oberflächlichkeit der dargestellten, fiktiven Romanfiguren und dem Drang des Publikums nach eben dieser Oberflächlichkeit in unserem medialen Alltag gelingt. Indem die Figuren alle nur denkbaren Klischees, die man mit ihrem Typus gemeinhin assoziiert, auch tatsächlich in sich vereinen, weil die mediale Repräsentation dieser Typen eben genau darauf abzielt, eine streng codierte Oberflächlichkeit zu vermitteln – man denke an Instagram oder an das auch im Roman häufig erwähnte Tinder – werden sie zu (leider) glaubwürdigen Abziehbildern unserer Gegenwart.

Man mag nun Krausser unterstellen, dass er die ungesunde Akkumulation feministischer wie ‚politisch korrekter‘ Klischees in der Figur Alisha mit misogynen Absichten inszeniert (und diese Vorwürfe werden kommen). Dem muss entgegengehalten werden, dass es gerade das Mittel dieser ironischen Überzeichnung ist, das den einen oder anderen Leser durchaus dazu verleiten könnte, das eine oder andere zu hinterfragen, was derzeit öffentlich debattiert wird. Zumal man diesen Vorwurf auch auf jede andere abgebildete Gesellschaftsgruppe übertragen könnte: das  von sich eingenommene, selbstzentrierte Bürgertum in Gestalt des Professorenehepaars, die offen zur Schau getragene, trendgerechte Promiskuität der sich selbst als „moderne Frauen“ inszenierenden Figuren Caro und Jule, aber auch die Spießigkeit der Doktoranden und ihrer Partnerinnen, die letztlich nur auf das Gegenteil, also eine bürgerlich unterdrückte Sexualität hindeutet. So ist es auch konsequent, dass das Buch mit einem interessanten Thomas Mann-Verweis endet, der vom Autor angenehm subtil eingepflegt wird.

So muss abschließend festgestellt werden, dass dieses Buch so viel mehr ist, als es darzustellen scheint, und auch wenn vor allem Freunde von Kraussers (im positiven Sinne) pathosgeladenen Romanen wie Thanatos, UC oder zuletzt auch Alles wird gut anfangs enttäuscht sein werden – es lohnt sich. Wieder einmal.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Helmut Krausser: Trennungen. Verbrennungen. Roman.
Berlin Verlag, Berlin 2019.
254 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783827013934

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Helmut Krausser: Zur Wildnis. 45 Kurze aus Berlin.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2019.
160 Seiten , 11,90 EUR.
ISBN-13: 9783803128140

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