Die Qualitäten des Populären: Ein neuer Sammelband beschäftigt sich mit Daniel Kehlmanns dialogischer Poetik, Werkpolitik und dem populären Schreiben in der Gegenwart
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass Daniel Kehlmann zu den populärsten Autoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gehört, kann mit Blick auf die Verkaufszahlen seiner Werke nicht ernsthaft bestritten werden. Ob diese Popularität allerdings etwas über die literarischen Qualitäten seiner Werke aussagt – und wenn ja: ob eher etwas Gutes oder etwas Schlechtes –; diese Frage wurde und wird in Literaturkritik und auch in der Literaturwissenschaft höchst unterschiedlich beantwortet. Das ‚Gesamtphänomen Kehlmann’ scheint in besonders ausgeprägtem Maße Wertreflexe zu provozieren, die von emphatischer Zustimmung bis zu harscher Ablehnung reichen.
In Anbetracht dieser zum Teil sehr disparaten Einschätzung von Kehlmanns Werk, seinem in der Gegenwartsliteratur singulären Erfolg sowie dem generellen Aufschwung, den die Gegenwartsliteraturforschung in den letzten Jahren genommen hat, muss es überraschen, dass die erste wissenschaftliche Tagung zu Autor und Werk erst dreizehn Jahre nach Veröffentlichung von Kehlmanns Weltbestseller Die Vermessung der Welt (2005) veranstaltet wurde. Die Ergebnisse dieser Tagung an der Universität Potsdam liegen jetzt, erweitert um einige zusätzliche Beiträge, in einem Band mit dem Titel Daniel Kehlmann und die Gegenwartsliteratur vor, der von Fabian Lampart, Michael Navratil, Iuditha Balint, Natalie Moser und Anna-Marie Humbert herausgegeben wurde.
Die verschiedenen Aufsätze des Bandes bieten einerseits Deutungen von Kehlmanns Werken – mit einem besonderen Schwerpunkt auf Kehlmanns jüngstem Roman Tyll aus dem Jahr 2017 –, verorten Kehlmann und sein Werk aber auch im größeren Kontext der Gegenwartsliteratur, ihrer Institutionen und Praktiken. Mit den im Untertitel des Bandes angezeigten Begriffen „Dialogische Poetik, Werkpolitik und Populäres Schreiben“ sind dabei drei zentrale Aspekte von Kehlmanns Werk und dessen öffentlicher Rezeption benannt. ‚Dialogische Poetik‘ verweist auf die vielfältigen intertextuellen und anderweitigen Verbindungen, die Kehlmanns Romane, Stücke, Erzählungen und Essays zu anderen künstlerischen Werken, zur Philosophie, Naturwissenschaft und Geschichte unterhalten. ‚Werkpolitik‘ bezeichnet – in Anlehnung an Steffen Martus’ Konzeption des Begriffs – ein Schreiben unter den Bedingungen der Kritik, also die vielfältigen Steuerungsstrategien der öffentlichen Wahrnehmung eines Autors, die im Falle Kehlmanns von der bemerkenswerten Gestaltung seiner Buchcover über Formen der Assoziation in internationalen Autorennetzwerken bis hin zum Auftreten als public intellectual reichen. ‚Populäres Schreiben‘ schließlich verweist auf den enormen Erfolg, den Kehlmann insbesondere mit seinen Romanen immer wieder erzielt und der mit spezifischen, von Literaturwissenschaft und Kritik teils hochgelobten, teils harsch kritisierten Schreibstrategien korrespondiert. Zugleich wird unter der Kategorie ‚Populäres Schreiben‘ aber auch über Kehlmanns Werk hinaus nach den Bedingungen und Implikationen des ‚Populären‘ in der Gegenwartsliteratur gefragt.
Erschienen ist der Band in der Reihe „Gegenwartsliteratur. Autoren und Debatten“ bei De Gruyter. Mit dieser jungen Reihe unternimmt der Verlag, der für seine hochqualitativen, für Einzelpersonen aber mitunter schwer erschwinglichen Bände bekannt ist, selbst einen Schritt in Richtung des Populären: Jenseits der verlagsüblichen, meist über Universitätslizenzen zu beziehenden Digitalisate ermöglicht ein Ladenpreis von knapp 40 € dem wirklich interessierten Leser auch eine private Anschaffung der Reihen-Bände.
Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert keine Bücher mit Beiträgen von Mitarbeitern der Zeitschrift, sowie Bücher von Mitarbeitern, Angehörigen der eigenen Universität oder aus dem Verlag LiteraturWissenschaft.de. Diese Bücher können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.
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