Literatur total
Felicitas Hoppes Heidelberger Poetik-Vorlesung
Von Hannes Krauss
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNicht nur in Frankfurt, Essen oder Hildesheim gibt es mittlerweile Poetik-Dozenturen, sondern auch an der Universität Heidelberg. Seit 1993 hatten dort so unterschiedliche Autor*innen wie Brigitte Kronauer, Louis Begley, Michael Rutschky, Lutz Seiler, Eckart Henscheid, Alexa Hennig von Lange, Wilhelm Genazino, Ulla Berkéwicz, Volker Braun, Martin Walser und andere Gelegenheit, den Studierenden zu erklären, was sie unter Literatur verstehen und was das Schreiben für sie bedeutet.
Die aktuellen Heidelberger Poetikvorlesungen erscheinen jetzt in gedruckter Form; bislang liegen Vorlesungen von Frank Witzel, Maxim Biller und die von Felicitas Hoppe vor. Im August 2018 hat sie unter der provokanten Überschrift Kröne dich selbst – sonst krönt dich keiner! über sich und ihre Bücher gesprochen. Wer von dieser Autorin, deren literarisches Werk mit metafiktionalen Abschweifungen gespickt ist, noch eine theoretische Steigerung erhofft, wird zunächst enttäuscht. Auf den ersten Blick handeln ihre Vorlesungen von Altbekanntem: von Fakten und Fiktion, von Erinnerung und Selbstfindung, vom Reisen und vom (Nach)Erzählen. Wer Hoppes Bücher kennt, ahnt allerdings, dass sich hinter vordergründig Einfachem mehr verbirgt. Und in der Tat, beinahe im Plauderton entfaltet die Autorin eine Poetik, in der sie ihre (reale und imaginierte) Biographie sowie Historie und kulturelle Überlieferungen sichtet, seziert und die Bruchstücke zu einer radikalen Version ästhetischer Weltaneignung neu zusammenfügt:
In meinem Werk […] wimmelt es von historischen Gestalten, die […] der Autorin als Masken, Kostüme und Sprachrohr dienen, als Stellvertreterfiguren, mit denen sie sich anhand von Geschichten aus der Geschichte persönlichen Ausdruck und damit einen Kommentar zu ihrer eigenen Gegenwart zu verschaffen versucht. Es sind also weder ‚Pigafetta’ noch ‚Johanna’, die in Hoppes Texten sprechen, sondern es ist die Autorin selbst, indem sie sie ihren eigenen Zwecken unterordnet. Ein literarisches Verfahren, das zum Versteckspiel neigt und vom Leser große Beweglichkeit verlangt.
Nicht nur das. Es verlangt auch, vieles, was man über den Unterschied zwischen Figuren, Erzähler und Autor gelernt hat, zu vergessen. Hoppe räumt ein,
eine Autorität gesucht zu haben, die von sich behaupten konnte, mich besser zu kennen, als ich mich selbst, […] einen Biographen. Und da er weit und breit nicht zu finden war, entschloss ich mich schließlich, ihn selbst zu spielen: wohlgemerkt, kein Du und kein Ihr, sondern eine dritte, um nicht zu sagen: eine ‚überdritte’ Person.
Nicht nur bei literaturwissenschaftlich geschulten Lesern stiftet Hoppe damit Verwirrung, aber so gelingt es ihr, den Schriftstellerberuf zu entmystifizieren und gleichzeitig die Literatur als Erkenntnisform zu propagieren. Schreiben (und Lesen) ermöglichten ihr als genuiner Träumerin – so die Selbsteinschätzung – das Überleben in einer rationalen Welt, in der die „Wirklichkeit literarischer Texte“ zum „Schutzraum“ wird. An den Romanen Hoppe und Johanna, am unlängst erschienenen Buch Prawda und am Nibelungen-Projekt, an dem sie seit einiger Zeit arbeitet, illustriert sie dieses Konzept.
Hoppes Literaturverständnis ist kompromisslos und von einem fast vormodernen Totalitätsanspruch, aber ihre Selbst-Reflexionen sind nicht im Geringsten pathetisch (im Unterschied zur Literaturkritik, die für ihre Texte Begriffe wie „poetisches Prosawunder“ oder „literarische Himmelfahrt“ bemüht). Anders als der selbstbewusste Titel vermuten lässt, sind die Vorlesungen eher zurückhaltend sowie selbstkritisch und haben auch keine Scheu, Lejeunes Autobiographischen Pakt neben Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf zu stellen. Ganz ohne Koketterie lädt Felicitas Hoppe ein zum Besuch ihrer Werkstatt, in der sie das Schreiben als Handwerk pflegt, vergleichbar beispielsweise mit dem Nähen. Die Vorlesungen taugen als Lesehilfe für ihre bisherigen Bücher und machen neugierig auf künftige.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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