ZURÜCKBLÄTTERN

VORBLÄTTERN

Kleine „Buddenbrooks“? Heinrich Manns „Eugénie oder Die Bürgerzeit“ als Studienausgabe in der Bearbeitung von Holger Pils und Michael Stark

Sommer 1873: Gabriele West, eine faszinierende junge Frau, lässt sich auf einen gewagten Flirt mit ihrem Nachbarn ein. Und ihr Mann, Konsul Jürgen West, wird von ihm zu dubiosen Börsengeschäften verleitet. Nachdem der Abenteurer und Versucher wegen betrügerischer Spekulation verhaftet ist, scheint der Konsul ruiniert und die Ehe gescheitert …

In die unruhige Gegenwart der Weimarer Republik hinein erzählt Heinrich Manns Gesellschaftsroman Eugénie oder Die Bürgerzeit die Geschichte einer Krise und blickt kritisch auf die Anfänge der Gründerzeit zurück. 1928 erstmals erschienen, erinnert er an die positiven Werte des Bürgertums und an die eigene Kindheit des Autors in Lübeck. Thematisch steht der Roman den Buddenbrooks Thomas Manns nahe, versucht aber einen Gegenentwurf zu dessen tragisch-pessimistischer Perspektive. Notwendiger Verzicht und gelassenes Sich-bescheiden erscheinen als private und gesellschaftsbildende Alternative. Diese Einsicht vermittelt sich den Protagonisten spielerisch durch ein Theaterstück, verfasst von einem Dichter vor Ort, der Züge Emanuel Geibels trägt, und aufgeführt von den Protagonisten, für die es sozusagen als ‚Lehrstück‘ geschrieben ist. Im Zentrum des Rollenspiels steht die Begegnung der kapriziösen Kaiserin Eugénie und ihres im deutsch-französischen Krieg besiegten Gemahls Napoleon III. auf Schloss Wilhelmshöhe, deren Schicksal die Demütigung überfliegender Wunschbesessenheit beider bespiegelt.

Jean Améry hat den leicht lesbaren Roman, in dem nebenbei auch die Rolle des Schriftstellers als intellektueller Erzieher ironisiert wird, als eines der „zierlichsten“ Werke Heinrich Manns und als „Kleinod“ bezeichnet, „das wir entdecken oder wiederentdecken sollen“ (1971). Er ist jetzt im Rahmen der Studienausgabe von Heinrich Manns Werken erschienen – mit einem Nachwort von Holger Pils sowie einem von ihm und Michael Stark zusammengestellten Materialienanhang.

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert nicht Bücher von Mitarbeitern der Zeitschrift, Angehörigen der eigenen Universität oder aus dem Verlag LiteraturWissenschaft.de. Diese Bücher können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.

Heinrich Mann: Eugénie oder Die Bürgerzeit. Roman. Mit einem Nachwort von Holger Pils und einem Materialienanhang, zusammengestellt von Holger Pils und Michael Stark. (Heinrich Mann: Studienausgabe in Einzelbänden, hg. von Peter-Paul Schneider †. Fortgeführt von Michael Stark). Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2019. 420 Seiten, 16,00 EUR. ISBN-13: 9783596702107 Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch