„Mehr als nur Rollenprosa“

Feridun Zaimoglu über Frauen der Nibelungensage in seinem eigenen Werk

Von Anna Christina KöbrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anna Christina Köbrich

Wer meint, in einem mediävistischen Kolloquium referierten lediglich der Altgermanistik verpflichtete Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler, der unterliegt einem Trugschluss. Jüngst begrüßte Prof. Dr. Gaby Herchert, Professorin für Mediävistik an der Universität Duisburg-Essen, im dortigen mediävistischen Kolloquium für einen Vortrag mit dem Titel „Die Frauen der Nibelungensage im Werk von Feridun Zaimoglu“ keinen geringeren als Feridun Zaimoglu selbst. 

Vorgestellt als „vom Bürgerschreck der Literaturszene zum renommierten deutschen Schriftsteller Aufgestiegener“ eröffnete Zaimoglu – Verfasser von 23 Romanen und mehr als 15 Theaterstücken, außerdem bereits Gegenstand soziolinguistischer und literaturwissenschaftlicher Forschung – seinen Vortrag mit einer kleinen Lesung aus der Geschichte der Frau. Gestikulierend und mit rau anmutender Stimme trug er ein paar Absätze der Brunhild-Episode vor, thematisierte und diskutierte anschließend Reaktionen der Literaturkritik auf seine im vergangenen März erschienene Geschichte der Frau, erläuterte Prozesse von Stoffwahl, Recherche und Schreiben, bevor er sich den Fragen der Anwesenden zu all dem stellte. 

Er gestand, es sich und den Leserinnen und Lesern „nicht leicht gemacht“ zu haben – jeder der zehn Frauenfiguren seiner Geschichte der Frau nähere er sich in einer separaten Kunstsprache an. Zaimoglus Aneignung eines jeweils spezifischen „Zungenschlags“ erfolgte mit Hilfe von Schreibversuchen. Zentrales Anliegen war es also, kein „WG-Gelaber“ zu produzieren und die Geschichten nicht „mit den kläglichen Mitteln unserer Zeit zu erzählen“, sondern die Sprache der jeweiligen Zeit anzupassen: Lediglich die für die Radikalfeministin Valerie Solanas gewählte expressive Sprache sei in der „Jetzt-Zeit“ angekommen. Brunhild, ihrerseits Königin, verlange dagegen dichtes Deutsch. Im Dienste des „Stampfenden, Unanrufenden“ dieser Episode stehe der überwiegende Verzicht auf Wörter mit mehr als drei Silben. Das rhythmische Moment und die Düsternis seien den Verhältnissen geschuldet, sie sollten Innenschau ermöglichen. Und doch missfiel manchen Kritikern der „hohe Ton“: Burkard Müller (Die Zeit), der u.a. bemerkt, dass Zaimoglu in der Geschichte der Frau – abgesehen von der Episode um Gastarbeiterin Leyla – sich lediglich persönlicher Eigenart überlasse, untermauert dies mit der strittigen These, „dass es zuletzt keine Literatur ohne persönliche Erfahrung geben kann“. Zaimoglu wiederum klagt über die Undankbarkeit der Kritiker gegenüber unpopulärer Sprache und darüber, dass ihm die „deutsche Literatursprache“ vorgeworfen wird. Er stellt fest: „Deutsch muss Gebrauchsanweisungsprosa sein, dann sind die Leute zufrieden“.

Dabei sei es ihm „sehr ernst mit der deutschen Sprache“, denn nach seiner Überzeugung könne man „mit den Mitteln der deutschen Sprache Identität und Geschlecht auf dem Papier brechen“. Die Geschichte der Frau sei somit „mehr als nur Rollenprosa“. Ob – wie in Zaimoglus Fall, dessen Sprachklaviatur sich von „Kanak Sprak“ bis zum „hohen Ton“ erstreckt – möglicherweise sprachliche Flexibilität, gepaart mit genereller Wandlungs- und Entwicklungsfähigkeit im Laufe der Jahrzehnte, kritischen Beobachtern geradezu als Sprungbrett diene, dem Autor vom einen Extrem ausgehend das andere vorzuwerfen, könnte wiederum interessante Fragestellungen für die Wissenschaft ergeben. Nicht vernachlässigt werden dürften bei all der Kritik und ihrer Diskussion allerdings lobende Worte, wie etwa von Claudia Cosmos (WDR), die gerade dem hohen Ton Anerkennung zollt: „Er kann meisterhaft Worte ineinander setzen, auch in unorthodoxer Reihenfolge, die einen gewaltigen Erzählrythmus entfachen. […] Zaimoglus Erzählkunst [schwebt] über der Zeit und stellt die Seele des Menschen dar“. Auch im Hamburger Abendblatt findet sich Anerkennung: „Zaimoglus Sprache strotzt vor Körperlichkeit und wenig zimperlicher Derbheit. […] Seinen brutalen Inhalt ummantelt der Autor mit bewundernswerter Formgewalt: Den Sprachrhythmus passt er den jeweiligen Vorbildtexten an“.

Zaimoglus Lieblingsfigur aus der Nibelungensage sei Brunhild. Für seine gleichnamige Figur in der Geschichte der Frau recherchierte er aufwendig, um logische Fehler zu vermeiden. Auf andere Dichtungen als das Nibelungenlied wollte er sich nicht berufen, er bewegte sich „in der einen Sage“, um dann zu seiner eigenen Geschichte zu kommen. In seiner Geschichte der Frau spricht Ich-Erzählerin Brunhild von sich als „kraftkühne[r] Kriegerin“. Dass sie von König Gunter festgehalten und vergewaltigt wurde, „stinkt“ Zaimoglu – die Königin, als „tumbe Barbarin“ verleumdet, Macht und Kraft beraubt, sei ihm zufolge genau das nicht, sondern eine „Kriegergöttin“. Zaimoglu beklagt, dass die Verfasser der Geschichte des Nibelungenliedes sich nicht weiter mit der Figur Brunhilds beschäftigt hätten. Er sieht in einer derartig konstruierten, begrenzten Geschichte die Verschriftlichung von durch Männer weitergegebenen Lügen. Hinweise darauf sieht er generell in der Plausibilität einer Geschichte – Unpassendes wurde getilgt. Im Blick auf seine Brunhild-Episode und den Umgang mit der Nibelungensage bemerkte Zaimoglu, dass er Siegfried, den Drachentöter, ernst zu nehmen suchte, statt ihn bloß zu demontieren. Auf die Rückfrage, ob Gunter – der in Zaimoglus Brunhild-Episode unübersehbar die Frau als dem Manne unterlegen betrachtet – etwa mit stärkerer Machtposition ausgestattet und somit als Figur insgesamt aufgewertet wurde, um einen klaren Gegenpart zur kriegerischen Frauenfigur Brunhilds darzustellen, entgegnete Zaimoglu, dass der Vergewaltiger Gunter im Original ebenfalls „nicht nur eine Flasche“, sondern mächtig sei.

In Zaimoglus Dichtung sollen mit den zur Geltung kommenden Perspektiven der Frauenfiguren auch die überlieferten Lügen der Männer getilgt werden – dies sei in Brunhilds Fall die Frage nach ihrer Rache. Doch: Die Figuren als „ätherische Ideenbehälter anzusehen“ sei falsch. Dem sucht Zaimoglu entgegenzuwirken, indem er sich an die „Logik der Geschichte“ halte sowie „Mythos und Geschichte sehr ernst“ nehme. Neben dieser Logik als einer Art Gerüst entdeckte er „kleine, hineingewobene Geschichten“. Und dass die Nibelungensage so viele Geschichten erzählt, gefällt ihm sehr. Dennoch sei Literatur Zaimoglu zufolge eine Illusion, wie auch das Leben aus Illusionen bestehe – „alle glauben Unterschiedliches“. Da Taten schon immer gedeutet oder auch missdeutet wurden, fragt er, was Brunhild davon abhalten sollte, ganz im Sinne einer Selbstermächtigung das Wort zu ergreifen: „Ihr habt mich gedeutet und es ist Schluss, dass ihr meine Geschichte erzählt. Ich erzähle jetzt meine Geschichte“.

Als nächstes wird Zaimoglu eigenen Angaben zufolge etwas zum Dritten Reich vorlegen – er bereite sich „auf das gefährlichste Buch [seiner] Karriere vor“. Seine Recherche hierfür dauere bereits seit acht Monaten an, angestrebt wird eine Veröffentlichung im Herbst 2021. Wie waghalsig ein solches Buch tatsächlich daherkommen wird und ob es gar Diskussionen ähnlich der Debatte um Takis Würgers im Januar 2019 erschienenen Roman Stella entfachen wird, dürfte sich um den Zeitpunkt der Frankfurter Buchmesse 2021 herausstellen.

 

https://www.zeit.de/2019/12/die-geschichte-der-frau-feridun-zaimoglu/seite-2 [24.11.19]

https://www.abendblatt.de/kultur-live/buecher/article216530891/Feridun-Zaimoglu-ueber-Die-Geschichte-der-Frau.html [24.11.19]

https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/buecher/buch-der-woche/die-geschichte-der-frau-100.html [24.11.19]

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen