Wähle deine DNS!

Axel Melzeners „Genre“ ist eine unverzichtbare Handreichung für angehende Drehbuchschreibende und ein Plädoyer für wohlüberlegte Grundsatzentscheidungen

Von Marcus NeuertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marcus Neuert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist das überhaupt genau, ein Genre? Welche praktische Bedeutung hat seine Wahl für das entstehende Werk, den zu verarbeitenden Stoff und nicht zuletzt die Wirkung auf ein Zielpublikum? Diesen Fragen geht Axel Melzener in seinem neuen Buch nach, welches in der Reihe „Praxis Film” des in Köln beheimateten Herbert von Halem Verlages erschienen ist.

Der Autor, der bereits als Jugendlicher in den Bereichen Komposition und Game Design erste Schritte in die Welt der modernen Medien wagte und später an der Filmakademie Baden-Württemberg das Drehbuchschreiben studierte, was er heute neben seiner praktischen Tätigkeit auch lehrt, hat einen entsprechend vom Bewegtbild beeinflussten Zugang zu seinem Sujet. Wer als Autor eher für Printmedien arbeitet, gehört allenfalls am Rande zu Melzeners anvisierter Zielgruppe, anders als es Titel und Untertitel auf den ersten Blick nahelegen. Dennoch stehen am Ausgangspunkt natürlich viele basistheoretische Überlegungen für alle Bereiche handwerklichen und künstlerischen Schreibens, und der ein oder andere Impuls aus seinem Werk wird auch für Autoren des Buch- und Zeitschriftenmarktes interessant sein.

So beginnt Melzener denn auch mit einem allgemeinen Teil, in welchem Begriffe definiert und ein kleiner medienhistorischer Abriss über die Entwicklung des Erzählens als solches gegeben wird. Doch im Wesentlichen versteht der Autor das Buch als eine Art Nachschlagewerk für angehende fiktionale Drehbuchschreibende und nordet dieselben ziemlich kategorisch auf ihre Aufgabe „Narrative als Industrieprodukt” zu verfassen ein. Hierfür sei das Genre eine unverzichtbare Voraussetzung: „Es ist der stille Vertrag, den der Macher mit dem Zuschauer abschließt und jenem zugesteht, dass er bekommt, wofür er bezahlt.” In gewisser Weise rechnet Melzener hierbei auch mit der Praxis deutscher Filmhochschulen ab, die sich bis heute für seinen Geschmack zu sehr darauf konzentrieren, „Studenten zu Künstlern statt Entertainern zu erziehen”. Gleichzeitig ein Publikum zufriedenzustellen und gutes Geld zu verdienen, steht also in seinem Buch eindeutig vor der Prämisse, Stoffe für potenzielle Preisverleihungen aufzubereiten.

Der lexikalische Charakter ist besonders im großen Mittelteil des Buches nachvollziehbar, in dem Melzener Genres definiert, inhaltlich und formell auf ihre Begriffstauglichkeit abklopft (es gibt auch „Genres, die keine sind” wie etwa action, welches der Autor eher als „Storyzutat” klassifiziert oder B-Movie, was eigentlich nur eine ökonomische Kategorisierung darstellt) sowie seine Unterscheidungskriterien darlegt. Hier sind es nicht weniger als zwölf Felder, aufgrund derer Gemeinsamkeiten wie Abgrenzungen plausibilisiert werden sollen wie etwa die grundsätzliche zu erzeugende Emotionalität, die typischen Konfliktfelder, Setting, Themen, Motive oder Stilmittel. Es folgt eine Übersicht über die verschiedenen Großbereiche Drama, Komödie, Crime, Abenteuer, Science Fiction, Kriegsfilm, Western, Fantasy und Horror sowie ihre gängigen Subgenres.

Besonders interessant wird es, wenn Melzener darlegt, auf welche Art und Weise sich die zunächst in Reinform vorgestellten Genres mischen lassen und welche Effekte für ein Zielpublikum sich dadurch erreichen lassen. Das Buch bietet anhand praktischer und weithin bekannter Beispiele aus der Filmgeschichte eine Fülle von Analysen, die einer handwerklichen Grundausbildung angehender Drehbuchschreibender sehr entgegenkommen dürfte. Als Beispiel sei hier der Film Fluch der Karibik von 2003 genannt, der für Melzener geschickt zwischen Abenteuer, Comedy und Horror changiert: „Diese Kinoumsetzung einer Disney-Themenparkattraktion hauchte dem Piratenfilm nach langem Siechtum neues Leben ein”. Mit Überschneidungs-Diagrammen zeigt Melzener anschaulich, welche Elemente reines und welche vermischtes Genre darstellen: das Genre Abenteuer thematisiert die Schatzsuche und ist mit dem Genre Comedy über das sogenannte odd couple-Motiv, also dem Auftritt zweier ungleicher Partner, verbunden; die Comedy selbst steuert in Reinkulktur die ironische Filterung des Gesamtgeschehens bei. Mit dem Horrorgenre, das identitätsstiftend mit Monstern und Flüchen aufwartet ist die Comedy durch das Ziel, einen mainstreamorientierten Blockbuster zu kreieren verknüpft, das Horrorgenre selbst mit dem Bereich des Abenteuers über die Schnittmenge Geheimnis.

Dabei kommt sich der Autor allerdings mitunter auch selbst ins Gehege. Postuliert er etwa noch eben reichlich axiomatisch: „Es ist nicht damit getan, Versatzstücke in einen Mixer zu werfen und einmal gut durchzuquirlen”, so fragt er im Kapitel über Genrehybride im Serienbereich auf einmal salopp: „Wie wäre es mal, Krimi mit Western oder Fantasy in einen Topf zu werfen und gut umzurühren?”

Dass sich Melzener daneben immer wieder zu wertenden Seitenhieben vor allem auf die heimische Film- und Serienindustrie hinreißen lässt, wirkt mitunter etwas befremdlich; er kann letztlich nicht erklären, weshalb eine komplette Durchamerikanisierung europäischer Filmkulturen abgesehen von einem rein kommerziellen Aspekt so wünschenswert sein soll.

Warum etwa deutsche Genreproduktionen immer noch eher die Ausnahme sind, erklärt sich Melzener nicht zuletzt durch die im Gegensatz zum angelsächsischen Filmbetrieb ausgesprochen weitverbreitete staatskulturelle Filmförderung. „Für etwas, das Fanartikel kaufende Man-Babies erreicht, ist man sich hier zu fein, stattdessen versucht man 60-jährige Akademiker zu erreichen, die sowieso nicht ins Kino gehen.” Ganz abgesehen davon, dass dies eine pauschalisierende Unterstellung ist, muss im Umkehrschluss jedoch auch die Frage erlaubt sein, weshalb dieses Publikum gegebenenfalls nicht ins Kino geht. Die Antwort darauf könnte lauten, dass dort eben meist nur Produktionen auf sie warten, die auf eben jene Fanartikel kaufenden Man-Babies zugeschnitten sind.

Doch bei aller Kritik an Melzeners Affinität zum vermeintlich Verkaufbaren und seinem Hang zu Binsenweisheiten, die diese Grundannahme dann teilweise wieder in Frage stellen („Was sicherlich auch mehr gebraucht wird, ist Mut: der Mut der Entscheider, Geschichten zuzulassen, und Mut der Autoren, sie zu schreiben”) ist dem Autor ein handwerklich vielseitig und als Fallbeispiel-Lexikon nutzbares Werk über einen wesentlichen Aspekt des Drehbuchschreibens gelungen: „Die Wahl des Genres beeinflusst so ziemlich alle anderen Aspekte einer Geschichte, es ist der Nukleus.” Haben Drehbuchschreibende sich einmal für die Wahl der DNS ihrer Geschichte entschieden, fällt es ungleich leichter, Konventionen zu bedienen oder auch mit ihnen zu spielen.

Titelbild

Axel Melzener: Genre. Ein Leitfaden für Autoren.
Herbert von Halem Verlag, Köln 2022.
268 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783744520379

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