Abschiebung eines Kapitalisten
Flüchtlingskrise 2.0: In Steffen Menschings Roman „Hausers Ausflug“ entlarvt sich ein Unternehmer selbst
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseLösungen können manchmal so einfach sein. Zumindest dann, wenn man für das nötige Maß an Zynismus und Skrupellosigkeit bereit ist. Zum Beispiel das lästige Problem, unliebsame Flüchtlinge wieder loszuwerden. In Steffen Menschings Roman Hausers Ausflug, der ein paar Jahre in der Zukunft spielt, hat ein findiger Berliner Unternehmer eine Idee, für die sich bald schon Lizenznehmer aus ganz Europa interessieren. Wer zurückgeführt werden soll, wird kurzerhand betäubt, in eine Aluminiumbox gesteckt und zum Flughafen gebracht – und dann samt Box über seinem Heimatland abgeworfen, sei es Syrien, Marokko oder Afghanistan. An einem Fallschirm natürlich.
Ist das menschenverachtend? David Hauser, dem in Menschings Roman ein Exklusivvertrag mit der deutschen Regierung die Taschen füllt, sieht das nicht so.
Viele Repatriierte würden die ungewöhnliche, aber sehr effektive Art der Rückführung sogar bevorzugen, behauptete Hauser vollmundig, oft genug beende man so eine sich qualvoll hinziehende Abschiebehaft, auch erspare sie den Heimkehrern peinliche Befragungen durch lokale Sicherheitskräfte, die sie gewöhnlich bei ihrer Landung in Häfen und auf Flugplätzen erwarteten. Stattdessen fielen sie wie Meteoriten vom Himmel und kehrten unauffällig in den heimatlichen Alltag zurück, manch einer so geräuschlos, dass seine Abwesenheit von keiner Behörde je registriert wurde.
Menschings Protagonist hat im Roman viel Zeit, über sein unternehmerisches Tun nachzudenken. Denn irgendjemand hat ihn selbst in eine dieser Transportboxen verfrachtet. Zu Romanbeginn krabbelt Hauser kräftig durchgeschüttelt und verwirrt aus einer seiner eigenen Aluminiumkapseln. In den Taschen des zerschlissenen Anzugs, in den man ihn gesteckt hat, entdeckt er einen syrischen Pass mit seinem Foto, ein Klapphandy und ein paar Energieriegel. Um sich herum eine menschenleere, karge Gegend. Will man ihm eine Art Lektion erteilen oder ihn einfach nur aus dem Weg räumen? Und wer steckt dahinter? Sein Geschäftspartner vielleicht? Oder sein Vater, der als aufrechter sozialistischer Schriftsteller den Kontakt zu seinem Sohn längst abgebrochen hätte, wäre er nicht auf dessen Zuwendungen angewiesen? Oder doch seine untergetauchte Schwester Mira mit ihren Antifa-Freunden?
Vor vier Jahren erntete Steffen Mensching viel Kritikerlob für seinen Roman Schermanns Augen: ein 800 Seiten starkes anspielungsreiches Epochenwerk über die Abgründe des Stalinismus, an dem der heute 63-jährige Rudolstädter Autor und Theaterintendant zehn Jahre lang geschrieben hat. Sein neuer Roman ist in vielem das genaue Gegenteil, und zwar nicht nur, weil er mit 250 Seiten Länge eher flott zu lesen ist und zum Teil Züge einer Satire trägt. Statt in der Vergangenheit spielt Hausers Ausflug, so sein Titel, in der Zukunft; statt einer Vielzahl an Schauplätzen und Figuren gibt es im neuen Werk allein die Froschperspektive des Protagonisten, der nach seinem Absturz im Nirgendwo nach Antworten sucht. Es dauert lange, bis David Hauser überhaupt auf die einzige andere Figur dieses Romans trifft, die ihn dann prompt gefangen nimmt.
Eine Gemeinsamkeit zum Vorgängerbuch gibt es aber doch, und das ist das Interesse des Autors an existenziellen Ausnahmesituationen und was diese mit Menschen anzustellen vermögen. Erzählte Schermanns Augen vom Lageralltag in einem stalinistischen Gulag, so Hausers Ausflug davon, wie ein verwöhnter, narzisstischer Geschäftsmann plötzlich ums nackte Überleben kämpfen muss. Ein Motiv, das einschlägige Hollywoodfilme freilich längst hinreichend ausgeschlachtet haben. Interessanter als die holprige Handlung, deren Spannungsqualitäten bestenfalls mäßig sind, ist die Hauptfigur selbst.
Denn wie zuletzt Jonas Lüscher in seinem Roman Kraft oder Jakob Augstein in Strömung erzählt auch Steffen Mensching davon, wie ein wenig sympathischer Vertreter des Kapitalismus an die Grenzen seines Weltbildes gebracht wird.
Hör zu, Hassan, hörte er sich sagen, oder wie du auch immer heißt, ich weiß nicht, was sie dir über mich erzählt haben, es ist mit Sicherheit nicht wahr, ich bin anders, jedenfalls nicht dein Feind, ich bin kein Ungläubiger, ich glaube an keinen Gott, ich glaube, ja, woran eigentlich? An den Lieferservice, die Freiheit von Kauf und Verkauf, Angebot und Nachfrage, das ist vielleicht mein Verhängnis, mein Vater ist Kommunist, ich wurde Konsumist, es klingt ähnlich, ist aber nicht das Gleiche.
Mit David Hauser schildert Steffen Mensching einen Unternehmer, der sich in seinen Reflexionen und Monologen fortwährend selbst entlarvt: etwa wenn er die Sexarbeiterinnen, die er sich regelmäßig nach Hause bestellt, als „Geishas“ bezeichnet oder die schwarze Haushälterin seines Vaters als „Dienerin“. Wie dieser Mann im Laufe des Romans dahin kommt, zu seiner eigenen Verwunderung für einen anderen, letztlich fremden Menschen sein Leben zu riskieren, ist durchaus lesenswert.
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