Besprechungen con amore
Der Briefwechsel von C. F. Meyer mit Hermann Lingg und Paul Heyse gibt einen Einblick in literarische Koterie
Von Karin S. Wozonig
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEinen Freund aber um eine Besprechung anzugehen, hab ich mir untersagt, ich bin zu der Ueberzeugung gekom[m]en, d[a]ß man besser thut, sich gegenseitig solche Freundschaftsdienste nicht zu gewähren. (Brief 92)
Ende 1882 kommt der Dichter Hermann Lingg (1820-1905) zu dieser Einsicht, sein Briefwechsel mit C. F. Meyer ist bis dahin jedoch ein Lehrstück in Sachen Gefälligkeitskritiken und Freunderlwirtschaft auf dem literarischen Markt des 19. Jahrhunderts. 1876 retournierte Meyer seinem Freund Lingg eine Abschrift von dessen Besprechung seines ersten Romans – der 1825 geborene Meyer trat erst spät literarisch in Erscheinung –, „mit zwei kleinen Veränderungen, die Sie kaum entdecken werden“, und ergänzt: „Setzen Sie Ihren lieben Namen darunter!“ Und: „Brauche ich zu wiederholen, wie dankbar ich Ihnen bin?“ (Brief 17) Bereits zwei Monate später nimmt Lingg Meyer beim Wort und schreibt:
Nun werde ich bald Gelegenheit haben, Sie unter den gleichen Voraussetzungen, um einen Gegendienst zu bitten, es ist für mein Drama, mein noch ungetauftes, ein Verleger gefunden u Druck soll mit Nächstem begin[n]en. (Brief 18)
Noch vor Erhalt des Werks versichert Meyer, seine Besprechung werde „so oder so, con amore“ geschrieben werden, denn die „Seele“ von Linggs Poesie sei ihm sympathisch. (Brief 22) Meyer ist offenbar von Anfang an nicht wohl bei der Sache und tatsächlich: Mit Linggs Drama Macalda hat er solche Probleme, dass er sich hilfesuchend an gleich drei Kollegen wendet, die aber, so erfahren wir aus der Erläuterung zum betreffenden Brief, zahlreiche Einwände dagegen vorbringen. Meyer konnte Linggs Werk aber nur positiv besprechen, wollte er auf ihn als einen ihm gewogenen Rezensenten und Freund nicht verzichten. Nach Abgabe seiner Rezension lässt er Lingg wissen, dass ihm „Verehrung u. Liebe“ „die Feder geführt“ hätten, er zugleich aber „nicht eine Linie“ von der Wahrheit abgewichen sei. (Brief 27) Das klingt alarmierend. Doch Lingg konnte schließlich mit dem „wohlwollenden u doch gerechten Urtheil“ zufrieden sein. (Brief 34) Meyers Rechnung ging auf; 1880 fragte Lingg beim Autor nach, „was besonders hervorgehoben, betont werden soll“ bei einer Besprechung von Meyers neuester Novelle Der Heilige. (Brief 60) Postwendend erhielt er – und nicht als einziger befreundeter Rezensent – vom Autor „Andeutungen über den Heiligen“. Eine gute Druckseite nimmt diese ausführliche Selbstinterpretation Meyers im Briefwechsel ein. Meyer skizziert die Handlungsmotivation und Figurenzeichnung und endet mit „Reichthum der Nebenfiguren. Dramatischer Gang. Großer Styl“, „Großer“ immerhin durchgestrichen. (Brief 61, Faksimile S. 318-321)
Aus Linggs Besprechung der Novelle wurde schließlich nichts. Er, der mit seinem ersten, von Emanuel Geibel protegierten und eingeleiteten Gedichtband 1853 zum Star des Münchner Dichterkreises geworden war, hatte in der Zeit seiner Freundschaft mit Meyer weder als Dramatiker noch als Novellist Erfolg und war nur noch als Verfasser von Gelegenheitsgedichten gesucht. Im Übrigen konstatierte die österreichische Lyrikerin und Kritikerin Betty Paoli 1872, sein Talent gehe seit seinem Debut „im heillosesten Krebsgange“. Paul Heyse, der zweite Korrespondenzpartner Meyers, dessen Briefe in diesen Band aufgenommen wurden, spricht von Linggs „kritiklos zusammengerafften lyrischen Nachzügler[n]“ und seinen Dramen und Novellen, die „nicht seiner besten und tiefsten Kraft“ entsprungen seien. (Brief 261)
Doch Lingg fühlte sich von den Rezensenten verkannt und ungerecht behandelt, und als ihm Meyer sinngemäß zu mehr Gelassenheit bei negativen Besprechungen riet, antwortete er:
Ich glaube daß es jedem zum Gewinne gereicht, der die Anschauungen u die Tendenz meiner Poesie in sich aufnimmt, u somit ist es mir nicht gleichgültig, ob man sie rühmt oder heruntersetzt. Was kann man denn von der Nachwelt erwarten, wenn man schon bei Lebzeiten verunglimpft u verkleinert wird? (Brief 149)
Über Julius Rodenberg, den verdienstvollen Herausgeber der „Deutschen Rundschau“, beschwerte sich Lingg, er habe den Essay einer seiner (Linggs) Bekannten „durchaus nicht angenom[m]en, obwohl ich selbst ihn darum ersuchte“, einen Essay, der „viel Gutes“ über ihn enthalten habe. Just diese Weigerung Rodenbergs, ein Gefälligkeitsurteil zu drucken, kommentiert Lingg mit dem empörten Ausruf „Coterie!“ (Brief 122) Es ist aber auch die Zeit, in der ein Germanist (Georg Scherer) zur Feder griff, um einem Verlag (Cotta) Einhalt zu gebieten, der mit seiner Werbung für seinen Autor Martin Greif „der öffentlichen Meinung Sand in die Augen“ streue. Cotta hatte annonciert, Greif gelte „unbedingt als der bedeutendste Lyriker unter den Lebenden“. (Erläuterung zu Brief 138)
Was man aus den Briefen Linggs an Meyer auch lernen kann: Man sollte die eigene literarische Produktion nicht zu sehr von der anderer abhängig machen. Ende 1882 schreibt Lingg, er werde sein in den 1860er Jahren erschienenes Versepos Die Völkerwanderung aus pekuniären Gründen – „Es schaut mehr dabei heraus“ – in Prosa umwandeln, sobald Felix Dahn „mit seinen Romanen aus der Völkerwanderung“ fertig sein würde. Dahn verfasste ab 1882 gleich dreizehn „Kleine Romane aus der Völkerwanderung“, der letzte erschien 1901. Lingg setzte sein Vorhaben nicht mehr um.
Das Verhältnis zwischen C. F. Meyer und dem ebenfalls von Emanuel Geibel protegierten Paul Heyse war ein ganz anderes als jenes zwischen Meyer und Lingg. Heyse erwartete und verteilte keine Gefälligkeiten und dachte nicht daran, einen Eiertanz aufzuführen, er kritisierte den aufstrebenden Kollegen aus der Schweiz vielmehr ungeniert, nicht nur direkt, sondern auch anderen gegenüber, z.B. seinem Freund Gottfried Keller:
Betrüblich war mir auch Deines Kilchberger Nachbarn neuestes Büchlein. Die prachtvolle Novelle hat er durch seinen verkünstelten Rahmen und die nach Edelrost schmeckende Schnörkelrede fast ungenießbar gemacht. (Erläuterung zu Brief 247)
Heyse hatte wie Meyer ein gutes Gespür für die Marktmechanismen, wusste, mit wem er pfleglich umgehen musste und dass es auf den zurückgezogen lebenden Meyer diesbezüglich nicht ankam. Auf der anderen Seite klingt ein wenig Neid über die Produktivität des „Dichterfürsten“ in München durch, wenn Meyer ihm schreibt: „Sie klagen über Ihren Januar, l[ieber] Freund u: schütten dabei nur so Novelle um Novelle aus dem Ärmel oder – nobler – Füllhorn.“ (Brief 221)
Das Nachwort bietet eine detailreiche Zusammenschau der Beziehungen, die sich in den Korrespondenzen abbilden. Viele Erläuterungen werden im Kontext wiederholt und der Hintergrund des Briefwechsels, das zeitgenössische Geistesleben und der literarische Markt werden verdeutlicht. Der Herausgeber Stephan Landshuter bedauert die vielen Verluste und korrumpierten Wiedergaben in gedruckten Briefausgaben und leistet an mancher Stelle auch spekulative Interpretationsarbeit in Bezug auf die Gefühlswelt der Beteiligten. Den Spuren des literarischen Diskurses im Briefwechsel mit Lingg ist das Kapitel 3.3. des Nachworts gewidmet, wobei Werke Dritter meist nur in „sehr knappen Seitenbemerkungen“ (373) erwähnt werden, während die literarischen Arbeiten Linggs und Meyers wichtige Themen der Briefe sind. Was den Briefwechsel mit Lingg besonders und „wertvoll“ (379) mache, sei der Umstand, dass die beiden befreundet waren und Meyer außer Lingg keine Freundschaft mit Schriftstellerkollegen pflegte – die Freundschaft mit Louise von François und ihren ebenso künstlerischen Fragen gewidmeten Briefwechsel erwähnt der Herausgeber nur am Rande.
Mit Bourdieu legt Landshuter die deutlichen Unterschiede des literarischen Renommees der Briefschreiber zu Lebzeiten dar und geht den Kanonisierungsmechanismen nach. Während Lingg nach seinem ersten Gedichtband sehr bald nur noch von seinem symbolischen Kapital zehrte und im Alter vor allem durch Ehrungen und eine Ordensverleihung Präsenz zeigte, regierte Heyse als Dichterfürst bis zum Nobelpreis 1910, obwohl sein Realismus zu diesem Zeitpunkt bereits unzeitgemäß wirkte. Der formal experimentierfreudigere und psychologisierende Meyer hingegen wird auch heute noch gelesen. Das Projekt der historisch-kritischen Ausgabe zollt der nachhaltigen Wirkung des literarischen Werks Tribut und die dazugehörigen Briefbände liefern einen spannenden Einblick in seine Genese.
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