Fötus im Fokus

Erica Millars Abtreibungs-Studie kritisiert das Konzept fötaler Mutterschaft

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus rechtsradikalen und fundamentalchristlichen Kreisen ist kaum je einmal etwas Wahres über Abtreibungen zu erfahren. Vielmehr wiederholen sie die immer gleichen Lügen und Diffamierungen. Der Papst allerdings ließ sich kürzlich doch eine neue Verunglimpfung einfallen. Sie kann sogar ohne weiteres neben dem ruchlosen Wort „Babycaust“ bestehen. Er nannte ÄrztInnen, die Abtreibungen durchführen, „Auftragsmörder“, die von den Frauen „angeheuert“ würden.

In der Tageszeitung Die Welt sekundiert ihm Kathrin Spoerr mit den Worten, er sei schließlich „Papst, um Sätze wie diese zu sagen“, mit denen er sich „auf die Seite des Lebens“ stelle. Überdies kenne sie „keine einzige Frau“, die vor die Frage gestellt, ob sie den Fötus in ihrem Leib austragen soll, „ihr Ja später bereut hat, aber viele Frauen, die mit ihrem Nein ein Leben lang haderten.“

Damit ventiliert Spoerr das konservative Narrativ des mütterlichen Wesens der Frau, die sich qua Geschlecht im Grunde nichts sehnlicher wünscht als ein Kind und mit einem Schwangerschaftsabbruch gegen ihre Natur verstößt. Allerdings sagt Spoerrs Behauptung, so sie denn zutrifft, mehr über ihren eingeschränkten Bekanntenkreis aus als darüber, wie Frauen vor und nach Abteibungen tatsächlich empfinden, nämlich ebenso vielfältig und unterschiedlich wie bei allen anderen Fragen des Daseins auch. Manche empfinden Scham, andere Trauer, doch für viele Frauen ist es eine „glückbringende Entscheidung“. Denn Frauen, die eine Abtreibung bedauern, sind in der Minderheit. Vielmehr fühlt sich die Mehrheit von ihnen nach dem Eingriff befreit und erleichtert oder auch „einfach glücklich“ wie zum Beispiel Emilia Bonow, die von der australischen Sozialwissenschaftlerin Erica Millar in ihrer Untersuchung Happy Abortions zitiert wird.

Millars Arbeit liegt nun unter dem gleichen Titel in einer laut Titelblatt „gekürzten und überarbeiteten Ausgabe“ in deutscher Übersetzung vor. Näheres über die Kürzungen und Änderungen ist nicht zu erfahren. Doch vermutlich wurde die Studie auf das deutsche Publikum zugeschnitten. Darauf deutet zumindest hin, dass der Prozess gegen Kristina Hänel erwähnt und näher auf das Abtreibungsrecht der BRD eingegangen wird. Die Kürzungen dürften einige australische Spezifika beispielsweise hinsichtlich der Rechtslage betreffen. Dennoch fokussiert auch die vorliegende Ausgabe weiterhin auf „englischsprachige westliche Länder“, insbesondere auf das Heimatland der Autorin. Dabei zeichnet sie die Argumentationslinien und historischen Entwicklungen der Argumente sowohl der VerfechterInnen des Rechtes auf Abtreibung wie auch der AbtreibungsgegnerInnen präzise nach. Interessant ist hier vor allem, wie unterschiedlich von Seiten der Feministinnen, die sich für das Recht auf Abtreibung einsetzten, argumentiert wurde.

Millar hat nicht nur als erste eine gründliche Untersuchung „der mit Abtreibung verbundenen allgemeinen Gefühlslage“ von Frauen durchgeführt, sondern zugleich die gesellschaftlichen Normen untersucht, „die das Verhalten der Frauen bezüglich Abtreibung beeinflussen – insbesondere jene Normen, die bestimmte Gefühle steuern“. Um zu verstehen, „wie die Bedeutung von Abtreibung entsteht“, hat sie den „öffentlichen Diskurs“ in „Zeitungen, Literatur von Abtreibungsaktivist*innen, Parlamentsdebatten, politische Reden sowie psychologische und soziologische Studien darüber, wie Frauen Abtreibung erleben“, verfolgt und analysiert. Dies ermöglicht ihr, „die historischen und kulturellen Prozesse“ aufzudecken, „durch die bestimmte Gefühle  in die Bedeutungen eingebettet wurden, die wir Abbrüchen und abtreibenden Frauen zuschreiben“.

Bedauerlicherweise bedient sich ihre Untersuchung des in der Soziologie gerne gepflegten sperrigen Stils. Inwieweit er der Übersetzung von Stephanie Singh anzulasten ist, sei dahingestellt. Jedenfalls werden den Lesenden Sätze wie der folgende zugemutet:  „Gefühlsökonomien sind Effekte der Zirkulation, die ihrerseits individuelle Subjektivitäten und soziale Welten affizieren.“ Es lohnt sich allerdings, sich durch derlei nicht von der Lektüre abhalten zu lassen, denn Millar bietet einige erhellende Erkenntnisse, die ein neues Licht auf die Abtreibungsdebatte werfen und mit manchem weit verbreiteten Vorurteil über die Gefühlslage von Frauen, die abgetrieben haben, aufräumen.

Die diskursiven „Repräsentationen der Abtreibung spiegeln“ keineswegs die tatsächlichen Erfahrungen dieser Frauen wieder, „sondern werden durch Gendernormen bestimmt“, die in ebendiesem Diskurs zugleich „naturalisiert“ werden. „Gefühle, die Abtreibung als eine für Frauen positive und gute Erfahrung darstellen (etwa Erleichterung, Glück, Hoffnung und Dankbarkeit)“ werden weitgehend „ignoriert“. Dementsprechend hat „das vorherrschende emotionale Narrativ kaum Korrelationen zu Studien über weibliches Erleben von Abtreibungen“. Denn tatsächlich werden sie von den Frauen „überwiegend als positive und gewinnbringende Erfahrung wahrgenommen“.

Eingebettet sind die empirischen Ergebnisse von Millars Studie in ein theoretisches Konzept, demgemäß „Definitionen des Embryos und des Fötus […] stets auch die schwangere Frau [umfassen] und zwar in zwei Extremformen: entweder als eigener Körper (als autonomes Subjekt) oder, gemäß der Vorgabe der fötalen Mutterschaft, als Körper für jemand anderen (mit begrenzter oder keiner Autonomie).“ Dieses den vorherrschenden Diskurs bestimmende Konzept der fötalen Mutterschaft gründet auf einem „allumfassenden Schema, in dem weibliche Sexualität mit Fortpflanzung verbunden, Mutterschaft zum Zentrum des Frauseins erklärt und Schwangerschaft als Beziehung zwischen Müttern und deren autonomen Kindern betrachtet wird“. Bei diesen gemäß dem Konzept der fötalen Mutterschaft ‚autonomen Kindern‘ handelt es sich tatsächlich um die alles andere als autonomen Föten und Embryonen im Leib schwangerer Frauen. Wie hegemonial das Konzept fötaler Mutterschaft jedoch ist, zeigt sich beispielsweise darin, dass selbst viele Menschen, die sich für das uneingeschränkte Recht auf Abtreibung einsetzen, und ÄrztInnen, die Abtreibungen durchführen, immer wieder betonen, wie schwer schwangeren Frauen die Entscheidung für eine Abtreibung falle.

Zudem steht beim Konzept der fötalen Mutterschaft „der Fötus im Fokus der Wahrnehmung einer Schwangerschaft (oder der Abtreibung)“. Damit wird er fälschlicherweise „in eine autonome Entität verwandelt, während schwangere Frauen zu Müttern erklärt werden“. Die „kulturelle Deutungshegemonie“ der Schwangerschaft als fötale Mutterschaft könne, so hofft Millar, allerdings durch den „Gegendiskurs“ eines „rechtfertigungslosen Abtreibungsnarrativs“ gebrochen werden. Denn das „vorherrschende Narrativ“ sei „grundsätzlich abtreibungsfeindlich“ und müsse darum „aufgelöst“ werden. Erst wenn Mutterschaft nicht länger als „Inbegriff weiblichen Glücks“ gilt, könne Abtreibung „ganz unzweideutig die Entscheidung der Frau“ werden.

Zugleich warnt die Autorin davor, Freiheit auf die individuelle Entscheidungsfreiheit einer Frau für oder gegen eine Abtreibung zu reduzieren, da dies entpolitisierend sei und die gesellschaftlichen Bedingungen außer Acht lasse, unter denen die Entscheidung getroffen wird. Es gelte, für ein „umfassendes Gesetzeswerk“ kämpfen, das schwangeren Frauen, die gebären wollen, „die nötige wirtschaftliche und gesellschaftliche Unterstützung“ gibt, ihre Kinder frei von finanziellen oder sozialen Noten aufziehen zu können. Erst ein solches könne sicherstellen, „dass tatsächlich nur die unfreiwillig Schwangeren abtreiben“. Genauso müssen die gesetzlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden, dass jede Schwangere, die nicht gebären will, in ihrer Entscheidung für den Abbruch der Schwangerschaft uneingeschränkt unterstützt wird. Erste Voraussetzung hierfür ist, dass Abtreibungen in das Pflichtcurriculum des Studiums der Medizin aufgenommen werden und ausgebildete ÄrztInnen uneingeschränkt darüber informieren dürfen, dass sie Abtreibungen vornehmen. Denn erst dies stellt sicher, dass nur die Frauen gebären, die dies tatsächlich wollen.

Eine Schwangerschaft abzubrechen, sollte ein ebenso selbstverständliches Recht sein wie zu gebären. Frauen sollten es jederzeit auf möglichst einfache Weise in Anspruch nehmen können.

Titelbild

Erica Millar: Happy Abortions. Mein Bauch gehört mir – noch lange nicht.
Gekürzte und überarbeitete Ausgabe.
Übersetzt aus dem australischen Englisch von Stephanie Singh.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2018.
222 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783803136770

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