Alles nur Gottes Wille
Joyce Carol Oates’ Roman „Der Schlächter“ schildert (nicht nur) historische Gewaltverhältnisse
Von Werner Jung
Mit ungeheurer Beharrlichkeit legt die produktive US-amerikanische Schriftstellerin Joyce Carol Oates (Jg. 1938) ein um das andere Jahr einen neuen Roman oder Prosaband vor. Nun ist der im amerikanischen Original 2024 erschienene Roman „Butcher“ unter dem deutschen Titel „Der Schlächter“ herausgekommen.
Man kann diesen Roman mit Fug und Recht einen historischen nennen, denn Oates erzählt darin die Geschichte des (fiktiven) Arztes Dr. Silas Weir, der seit 1853 als „Leiter der Staatlichen Heilanstalt für weibliche Geisteskranke in Trenton, New Jersey“ sein fürchterliches Unwesen betrieben hat und erst nach einem Aufstand der Patientinnen und von zwei Krankenschwestern wenn auch nicht unbedingt zum Einsehen, so doch zumindest zum Rückzug von der Leitung gezwungen worden ist. Oates’ Konstruktion ihres Romans sieht so aus, dass sie mit der Herausgeberfiktion beginnt, wonach der Sohn von Silas Weir, der schließlich noch selbst als Erzählstimme vorkommt, das Tagebuch seines Vaters, angereichert mit weiteren Stimmen, veröffentlicht. Dabei werden die Leserinnen und Leser mit einer bedrückenden wie – ob ihrer irritierend offen und freizügig dargestellten Gewalttätigkeit im Klinikalltag – schockierend abstoßenden Geschichte konfrontiert. Lesbar ist diese zugleich als Psycho- wie darüber hinaus Soziogramm eines Menschen, eines rundum mittelmäßigen Arztes, der in seiner Hybris, gespeist aus Großmannssucht und einer tiefen Imprägnierung durch eine hypertrophe calvinistische Ideologie, glaubt wesentliche Beiträge zur Weiterentwicklung der Chirurgie, der Psychiatrie und der Gynäkologie geleistet zu haben – dadurch, dass er bestialische Experimente an ihm anvertrauten Heiminsassinnen vornimmt, Experimente, die sich schließlich – ohne dass ihm seitens der Verwaltung oder anderer offizieller Instanzen Schranken gesetzt werden – zu einer Maßlosigkeit und geradezu rauschhaften Gewaltorgie steigern. Bis sich schließlich die geschundenen, überlebt habenden Kreaturen, angeführt von zwei Schwestern, die Dr. Silas Weir zur Assistenz gezwungen hat, in einem Aufstand selbst befreien und – mindestens dies – die Gewaltherrschaft in der Klinik (vorübergehend?) beenden.
Der Subtext dieser Erzählung – und das macht sie so ungeheuer aktuell – lässt an gegenwärtige amerikanische Zustände denken (Stichworte: Macht der Evangelikalen, brutale Unterdrückung Andersdenkender, Trumpismus all over), scheinen doch immer wieder gesellschaftliche Verhältnisse auf, die – ins historische Gewand gekleidet – rassistische Ideologien verbreiten (irische Einwanderer werden ebenso wie Indigene als „Ungeziefer“ bezeichnet), rundum frauenfeindlich sind (weibliche Genitalien etwa werden „Dreckloch“ genannt) und dies alles religiös zu bemänteln wissen, für die alles Sexuelle als schmutzig gilt und in denen – dem Positivismus geschuldet – medizinischer Fortschritt um jeden Preis, also um jedes menschliche Opfer bei fragwürdigsten Versuchsanordnungen, notwendig und gerechtfertigt ist.
Und im Hintergrund, den Oates’ Roman auf faszinierende Weise einmal grell und fürchterlich inszeniert, dann aber auch wieder subtil bloß anzudeuten versteht, regiert der Wahnsinn unterdrückter Gefühle, aufgeschobener Leidenschaften und unbefriedigter Bedürfnisse einerseits, vertuschter und verschwiegener Verbrechen andererseits. Der mentale Zustand des Einzelnen und zugleich der Gesamtgesellschaft in den USA – nicht nur in der Mitte des 19. Jahrhunderts!
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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