Tinder & Trash

Paula Irmschler transportiert mit „Superbusen“ die Popliteratur aus den 90ern in die Gegenwart

Von Sascha SeilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sascha Seiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die große Ära der Popliteratur ist ja nun auch schon wieder über zwanzig Jahre her, ihre Nachwehen erstrecken sich jedoch bis heute auf die junge deutsche Literatur. Natürlich ist die Verbindung von Pop und Literatur heutzutage allerorten anzutreffen und benötigt seit langem kein kategorisierendes Label mehr. Und doch scheint es, als ob Paula Irmschlers Romandebüt den Versuch unternimmt, den Pop von Autoren wie Benjamin von Stuckrad-Barre in die Gegenwart zu führen, nun eben mit Social Media, Tinder und einem Musikgeschmack, in dem Trash stets impliziter Teil der eigenen DNA ist. Vor allem aber in steter Kenntnis der Mainstreamisierung von Gender-Theorien und mit einem steigenden Bewusstsein dafür, was die deutsche Einheit denn nun für ostdeutsche Menschen bedeutet, die heute Ende 20 sind und die DDR nur noch aus Nachwehen kennengelernt haben. Das ist einiges und klingt interessant. Aber funktioniert das auch?

Paula Irmschler ist in all diesen Gebieten eine Insiderin: Sie hat unter anderem für die leider verblichene Intro geschrieben, sie kommt aus dem Osten Deutschlands, ist Ende 20, und, glaubt man dem Text, eine klassische Slackerin – um dieses 90er-Wort mal standesgemäß zu verwenden, auch wenn es natürlich zu dem hyperaufgeklärten, postironischen Slackertum der Gegenwart nicht passen mag. Die Ich-Erzählerin, Spitzname Gisela, richtiger Name unbekannt, ist eben eine jener klassischen Popliteratur-Figuren, die hauptsächlich rumhängen, zu allem was zu sagen haben, obwohl sie nichts so richtig wissen (und sich dessen stets bewusst sind), irgendwie bei allem mitmachen, ihre Meinung über Dinge zwar irgendwie zementiert haben, aber bei näherer Betrachtung gar nicht so recht wissen, warum.

Sie stammt aus Dresden, ist aber zum Studieren nicht nach Berlin oder Hamburg gezogen, sondern nach Chemnitz, findet es dort trotz Nazis ganz heimelig, zieht aber irgendwann abrupt nach Berlin zu ihrem Freund, bekommt es über viele Monate nicht geregelt, ihr Chemnitzer WG-Zimmer zu kündigen (ist ja eh alles so billig da, fällt kaum ins Gewicht), kommt nach Chemnitz zurück, geht dort auf Demos und Gegendemos, trifft sich mit ihrer alten Clique, hängt rum, denkt an ihre Zeit mit der Frauenband Superbusen (siehe Titel), will am Ende nach Berlin zurück, Freund will sie aber nicht mehr haben, sinniert über ihr Übergewicht, über ihre Ängste und Komplexe, und dann endet das Buch irgendwie.

Den abgeklärten Tonfall der Popliteraten hat Irmschler ganz gut drauf, aber das ist ja auch nicht weiter verwunderlich, als Popjournalistin, die in Medien publiziert, wo man diesen Tonfall eben auch draufhat, was wiederum nicht zuletzt an ihren guten Freund, Kollegen und früheren Intro-Chefredakteur Linus Volkmann erinnert, der dann auch gleich einen Werbespruch für den Buchrücken beisteuern darf. Die Popjournalisten jubeln über diesen Roman, sprechen von einer Wiedergeburt der Popliteratur oder zumindest von ihrer Transportation in die Gegenwart, samt Social Media, Tinder und einem Musikgeschmack, in dem Trash stets impliziter Teil der eigenen DNA ist, ich erwähnte es bereits.

Jetzt kann man das von zwei Seiten betrachten. Entweder man begreift Pop, und somit auch die Popliteratur, als Spiegel der Gegenwart, als Medium, das den gegenwärtigen Gemütszustand der Twentysomethings transportiert, zu dem ich jetzt leider, anders als zu Stuckrad-Barres Zeiten naturgemäß wenig Bezug finde – was eine Wertung des Buches ungerecht macht, denn was haben Kritiker in den 90ern über Soloalbum hergezogen, das natürlich brillant war. Oder man begreift es als ein literarisches Werk ganz klassisch anhand seiner verschiedenen Komponenten, etwa Plot, Sprache, Stil, Figurenpsychologie, usw. Dann wäre Superbusen nicht so richtig gut. Also haben wir es hier mit Literatur für ein sehr reduziertes Zielpublikum zu tun, oder muss der Leser die Fähigkeit besitzen, zu abstrahieren? Kann man sehen, wie man will.

Titelbild

Paula Irmschler: Superbusen. Roman.
Claassen Verlag, Berlin 2020.
320 Seiten , 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783546100014

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