Eine Amazone der Wirtschaftlichkeit

Charlotte Perkins Gilman ökonomischer Thesenroman „What Diantha Did“ liegt nach über 100 Jahren in deutscher Übersetzung vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Charlotte Perkins Gilman ist nicht nur hierzulande vor allem aufgrund zweier literarischer Werke bekannt. Da wäre zum einen ihre feministische Utopie Herland und zum anderen, vielleicht wichtiger noch, ihre Erzählung Die gelbe Tapete. Weniger geläufig sind hingegen ihre ökonomischen Theorien, die sie nicht nur in wissenschaftlichen Texten publizierte, sondern auch in einem Roman propagierte. Er erschien in den Jahren 1909 und 1910 als Fortsetzungsroman in Perkins Gilmans Zeitschrift The Forerunner.

Nach mehr als 100 Jahren liegt er nun erstmals auch auf Deutsch vor. Sein Titel What Diantha Did klingt in der etwas sperrigen Übersetzung Diantha oder der Wert der Hausarbeit allerdings fast wie der einer ökonomischen Untersuchung über unbezahlte Reproduktionsarbeit – und in gewisser Weise ist er das auch. Rechtfertigen mag den deutschen Titel auch, dass die titelstiftende Protagonistin ihrem Vater eben diesen Wert der Hausarbeit haarklein vorrechnet und ihm so zeigt, dass er finanziell in ihrer Schuld steht und nicht etwa umgekehrt sie in seiner, wie er dachte. Ein andermal legt sie dar, warum Haushälterinnen mehr verdienen sollten als Hilfsarbeiter und warum ihnen nicht weniger Achtung entgegenzubringen ist als Näherinnen. Auch hier hat sie eine genaue Aufrechnung parat. Kurz, Diantha betreibt die Hauswirtschaft als Wissenschaft, wie eine der Figuren einmal bewundernd und keineswegs unzutreffend feststellt.

Ob der Roman allerdings politischer als Herland ist, wie die Politikwissenschaftlerin und Innovationsforscherin Petra Schaper Rinkel in ihrem Nachwort meint, darf bezweifelt werden. Schaper Rinkel analysiert den vorliegenden Roman jedenfalls unter rein ökonomisch-soziologischen Gesichtspunkten. Hierzu rekurriert sie gerne auf gegenwärtige Intersektionalitätsdiskurse und auf Karl Marx, namentlich das gemeinsam mit Friedrich Engels verfasste Manifest der Kommunistischen Partei aus dem Jahr 1848 und die sechste der von Marx vermutlich 1845 notierten elf Thesen zur Philosophie des Junghegelianers Ludwig Feuerbach, die sie mit markanten wörtlichen Übereinstimmungen paraphrasiert, ohne es durch Anführungszeichen kenntlich zu machen. Für die literarischen Qualitäten von Perkins Gilmans Thesenroman interessiert sich die Herausgeberin hingegen wenig. Tatsächlich fällt der Text in dieser Hinsicht um einiges hinter Herland  und mehr noch hinter die im wahrsten Sinne des Wortes Wahnsinns-Geschichte Die gelbe Tapete zurück.

Bei der Titelheldin Diantha Bell handelt es sich um die Tochter eines Kaufmanns, der aufgrund mangelnder Geschäftstüchtigkeit vom Ruin bedroht ist. Denn er entwickelt ständig neue Geschäftsideen ohne Hand und Fuß, die allesamt entsprechend rasch scheitern. Seine Ehefrau versteht sich zwar prächtig auf Buchführung und könnte hilfreich intervenieren, wird allerdings ganz vom „Pflichtbewusstsein einer Mutter“ in Anspruch genommen, die sich um nichts als ihre drei Kinder und den Haushalt zu kümmern hat. Im Laufe vieler Jahre hat sie sich in ihr Schicksal gefügt. Ihre Tochter Diantha besitzt hingegen ein „feuriges junges Herz“. Gleichwohl ist sie in allen Belangen sehr umsichtig und erweist sich im Laufe der Handlung sogar als „Perfektionsitin“.

In nächster Nachbarschaft residiert die Witwe Warden mit ihren vier heranwachsenden beziehungsweise erwachsenen Kindern in einem „staatlichen Herrenhaus“. Doch ihr Reichtum ist trügerisch, denn sie leben von der Substanz und das Haus ist mit Hypotheken belastet. Ihr aufwändiger Lebensstil ließe sich allenfalls aufrechthalten, wenn die Hausangestellten entlassen und die Frauen selbst den Haushalt führen, vielleicht sogar einer Lohnarbeit nachgehen würden. Das aber ist in deren Lebensplan nicht vorgesehen. Vielmehr warten die Töchter darauf, einmal weggeheiratet zu werden. Überhaupt ist jegliche Arbeit nichts für sie, wenngleich sie ihrem Bruder und Herrn des Hauses Ross auch schon mal etwas zum Geburtstag häkeln oder nähen. Ross ist „mutig, kompetent, vollkommen loyal zu seiner Mutter und seinen Schwestern“ und begräbt daher sein wissenschaftliches Interesse gemeinsam mit seiner Doktorarbeit, um den Kolonialwarenhandel des verstorbenen Vaters weiterzuführen. Doch bringt er das Geschäft auf keinen grünen Zweig, vielmehr ist er damit beschäftigt, mit Mühe und Not die sich auftürmenden Schulden zu tilgen. Ein Unternehmen, das, wenn überhaupt, bestenfalls in einigen Jahren zum Abschluss kommen kann.

Ross und Diantha haben einander schon vor einiger Zeit versprochen. Dass sich der Sohn aus guter Familie und die Tochter armer Leute ineinander verliebt haben, mag wie ein abgegriffenes Klischee aus Liebesromanen anmuten und ihr Weg ins (Ehe-)Glück scheint vorgezeichnet zu sein. Üblicherweise hat der männliche Part des Paares mit kräftigem Tatendrang allerleih Hindernisse auf dem Weg zum Traualtar auszuräumen, während seine Angebetete mit ihrer unverbrüchlichen Liebe, Sehnsucht und Geduld das ihrige dazu beiträgt. Das ist im Falle von Diantha und Ross allerdings ganz anders, sonst hieße die Verfasserin des Romans nicht Perkins Gilman. Sie schickt ihre Heldin stattdessen in die weite Welt hinaus. Denn Diantha hat eine ökonomische Idee, deren Umsetzung nicht nur der Mutter einen sicheren Lebensabend gewährleisten, sondern auch die vorerst aus finanziellen Gründen unmögliche Heirat mit Ross vom Sankt Nimmerleinstag in erreichbare Nähe rücken soll.

Wie sich leicht denken lässt, erhält „die kühne Übeltäterin“ von allen Seiten Gegenwind. So versuchen ihr Vater und ihre Schwester nachdrücklich, sie von dem Vorhaben abzubringen. Auch ihrer Mutter fällt es schwer, sie gehen zu lassen. Ross wiederum würde schon seine Schwestern um nichts in der Welt arbeiten lassen und gleich gar nicht seine zukünftige Frau, denn er ist ebenso stockkonservativ wie seine gesamte Familie. Dass der gesellschaftliche Druck, nicht aus der (Geschlechter-)Rolle zu fallen, enorm auf Diantha lastet, versteht sich von selbst.

Von all dem lässt sie sich jedoch nicht beirren. Denn sie ist es, die die Handlung – und somit nicht nur die eigene Emanzipation – vorantreibt. Als Ross sie aufzuhalten versucht und ihr vorhält „Du gehörst mir. […] Du hast dich mir versprochen. Du kannst mich nicht verlassen. Keiner von uns ist frei – niemals“, entwindet sie sich ihm mit den Worten „Wir sind beide frei, zu tun, was wir für richtig halten, Ross, immer!“

Als ersten Schritt ihres groß angelegten Planes verdingt sich Diantha in einem anderen Ort bei einem Ehepaar als Haushälterin. Sie erledigt die Arbeit zu dessen größter Zufriedenheit, scheint den Eheleuten aber doch etwas merkwürdig, weil sie sich allerlei Besonderheiten ausbedingt, etwa außer Haus zu wohnen und nachmittags frei zu haben. Natürlich arbeitet sie dennoch zehn Stunden täglich. Ihre Tüchtigkeit ist bald in aller Munde und die Freundinnen der Frau, für die sie den Haushalt führt, reißen sich um sie. Doch trotz hervorragender Angebote bleibt sie ganz ihrem Plan gemäß die vertraglich vereinbarten sechs Monate. Denn sie gibt „Mädchenabende“, zu denen sie andere Haushälterinnen einlädt. In der Regel sind es arme und ungebildete junge Frauen, die wegen ihrer mehr schlecht als recht verrichteten Arbeit wenig von ihren Arbeitgeberinnen geliebt werden. Diantha aber versteht es, die meisten von ihnen zu besseren Haushälterinnen heranzubilden.

Schon bald wird sie vom Kulturverein der herrschaftlichen Damen des Ortes gebeten, einen Vortrag über „Die wahre Natur der Hauswirtschaft“ zu halten. Das tut sie und vertritt dabei eben jene Thesen, die aus den theoretischen Werken Perkin Gilmans bekannt sind, und propagiert „kooperative Haushalte“ als Lösung des „häuslichen Problems“. Die meisten der anwesenden Frauen sehen voller Empörung Haus, Heim und Familie gefährdet, woraufhin sich der Verein auflöst. Genauer gesagt, gründen die „wachen und verantwortungsvollen“ unter den Frauen einen Neuen Frauenverein.

Diantha arbeitet unterdessen weiterhin zielstrebig darauf hin, ihre Vorstellungen zu verwirklichen, denen gemäß „Hausarbeit aufhören muss eine häusliche Dienstleistung zu sein“ und stattdessen eine „globale Dienstleistung“ werden muss. Hierzu sucht sie die fähigsten ihrer Kolleginnen aus und befreit sie durch Bildung von ihrer „vollkommenen Unwissenheit und Hilflosigkeit“. Damit versetzt sie diese in die Lage, sich zu organisieren. Aber nicht etwa gewerkschaftlich, sondern in einer Art selbstständiger unternehmerischer Kooperative, die weit besser wirtschaftet als es den vereinzelten familiäre Haushalten möglich wäre.

Man bemerkt schnell die mit dem Roman verfolgte Absicht – und ist nicht verstimmt. Oder doch nicht allzu sehr. Die „junge Amazone der Wirtschaftlichkeit“ hätte sicher nicht gar so sehr idealisiert werden müssen. Auch hätten die gelegentlich etwas langatmig-detaillierten Beschreibungen der Wirtschaftlichkeit ihres Unternehmens und der Buchführung durchaus kürzer und weniger trocken ausfallen dürfen.

Ob es aber das übliche Happy End in Liebesdingen zu feiern gibt, soll erst die Lektüre des Buches selbst verraten. Ross jedenfalls vertritt die Meinung, „kein Mann, der ein Mann ist, würde eine Frau heiraten und sie ein Unternehmen leiten lassen“. Diantha wiederum mag ihren ökonomischen „Traum“ nicht für eine Ehe aufgeben. Nun, vielleicht ändert er seine Haltung ja noch. Sie die ihre aber ganz sicher nicht.

Titelbild

Charlotte Perkins Gilman: Diantha oder der Wert der Hausarbeit. Roman.
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Petra Schaper Rinkel.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Margot Fischer.
Mandelbaum Verlag, Wien 2017.
223 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783854765479

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