Wie bedeutsam können drei Wochen sein?

Marc Petitjean betrachtet in „Das Herz“ Frida Kahlo mit den Augen seines Vaters

Von Stefanie SteibleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Steible

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So viele Bücher auch über Frida Kahlo geschrieben wurden, so besonders ist dieses. Es wurde verfasst vom Sohn des Michel Petitjean, jenes jungen französischen Künstlers, der im Jahr 1939 während ihres ersten Europa-Aufenthaltes in Paris eine kurze aber, aber intensive Liebesaffäre mit der mexikanischen Ausnahmemalerin hatte. Somit betrachtet Marc Petitjean Frida in diesem Werk mit den Augen seines Vaters. Das schafft eine spannende Perspektive. Er widmet sich vor allem der Frage, welche Bedeutung die nur kurze Affäre von drei Wochen auf das restliche Leben der beiden Protagonisten hatte.

Es wird schnell klar, dass der Begriff Affäre diese Liebe wohl nicht ausreichend beschreiben kann. Mit ihrem einprägsamen Bild „Das Herz“, das Frida Kahlo ihrem Geliebten vor der Abreise schenkt, brennt sie sich dauerhaft in das Familienleben des Autors ein. Denn dieses Bild wird später viele Jahre im Wohnzimmer der Familie Petitjean hängen. Es zeigt eine junge Frau, von einer goldenen Stange durchbohrt. Zu ihren Füßen liegt am Meeresufer ein riesiges Herz, aus dem Blut strömt.

Angesprochen auf das Bild im Wohnzimmer, bemerkte der junge Autor früh einen besonderen Respekt und die Bewunderung, die aus der Stimme seines Vaters sprach. Aber auch eine gewisse Zurückhaltung, die er rückblickend so interpretiert: „Vielleicht wollte er nicht zu viel sagen, um das Geheimnis ihrer Leidenschaft zu wahren.“ Als Kind vermochte er diese nicht zu bewerten und einzuordnen. Erst mit dem Verfassen des Buches nähert er sich dem, was die Malerin wohl mit dem Bild ausdrücken wollte.

Viele Jahre, nachdem es längst nicht mehr im Besitz der Familie Petitjean ist, erinnert sich der Autor daran und beginnt, sich in das Jahr 1939 zurückzuversetzen. Er forscht, liest, führt Gespräche und recherchiert in den Archiven. Immer stärker fasziniert von der damaligen Zeit, scheint auch ihn die Magie von Frida in seinen Bann zu ziehen, genauso wie sie es seinerzeit bei seinem Vater tat. Er erkennt, dass dieser dreiwöchige Besuch, dem die großen Kahlo-Biografien kaum Bedeutung beimessen, etwas ganz Besonderes für beide Hauptfiguren gewesen sein muss.

Das Interessante dabei ist, dass Frida Kahlo eigentlich todunglücklich mit ihrer ersten Europareise war. Enttäuscht von ihrem Einladenden André Breton, der ihren Aufenthalt aus ihrer Sicht nur ungenügend vorbereitet hat, den ständigen Streitigkeiten Bretons mit seiner Frau, in deren Verlauf Frida sich mit ihr verbündet und parallel eine Liaison beginnt, aber auch das Gehabe der selbsternannten Surrealisten und die Pariser Gesellschaft missfallen ihr zunehmend. Doch die sich aus dem Nichts entwickelnde Intensität, ja Magie, der Verbindung zu Petitjean, der Agrarökonom, Kunstkenner und Lebemann zugleich ist, wird sie dennoch den Aufenthalt für immer positiv in Erinnerung behalten lassen. Ein Teil ihres Herzens wird fortan in diesem Paris verbleiben, an dessen Horizont bereits der beginnende Zweite Weltkrieg erkennbar ist.

Vor diesem Hintergrund wirkt Frida auf die Pariser vielleicht noch mehr wie eine Kunstfigur. Hergerichtet wie eine Schauspielerin, ihren Mund mit einem sattroten Lippenstift dekorierend, unzähligen Schmuckstücken und vor allem ihren aus Zöpfen, bunten Stoffbändern und Kämmen kunstvoll aufgesteckten Haaren, verwandelt sie sich für die Welt und wird von Michel Petitjean liebevoll als „Maibaum“ bezeichnet.

Durch solche und viele andere kleine, persönliche Details, gelingt es Petitjean mit großer Genauigkeit, aber dennoch einer spürbaren Distanz, diese Liebesgeschichte aufzuarbeiten. Er verpackt sie in historische, kulturelle und politische Hintergründe, belegt sie mit Fakten, Zitaten, Fotos und Dokumenten.

So entsteht eine Hommage an das Paris dieser Zeit, eingebettet in eine Liebesgeschichte, die nicht kitschig und rosarot war und deswegen eine solche Darstellung auch nicht verdient hätte. Marc Petitjean gelingt es indes sehr gut, sie als das zu beschreiben, was sie war. Eine Liebesaffäre mit Charakter, die durch Fridas Abreise und die Rückkehr zu ihrem Ehemann ihr natürliches Ende fand, die in beiden Beteiligten aber für immer weiterlebt. Deswegen könnte das Buch auch als ein Bekenntnis zur Leidenschaft und zum Leben verstanden werden, in dem es nicht auf Dauer und Anzahl, sondern die Intensität der Beziehungen ankommt.

Titelbild

Marc Petitjean: Das Herz – Frida Kahlo. Eine Liebesaffäre in Paris, Frühling 1939.
Aus dem Französischen von Michaela Angermair.
Schirmer/Mosel Verlag, München-Bogenhausen 2021.
200 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783829609142

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