Krimis vom Reißbrett

Michael Conelly gelingt ein intelligenter Gerichtskrimi

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gerichtskrimis wie Gerichtsfilme kranken meist an den Beschränkungen, die ihnen Raum und Ausstattung auferlegen: Ein Angeklagter, ein Verteidiger, ein Kläger, ein Richter, Geschworene. Ansonsten nur Nebenfiguren. Der Handlungsraum ist im Wesentlichen auf den Gerichtssaal beschränkt. Darüber hinaus gibt es wenig, außer dem Verbrechen und den Strategien, der dafür gebührenden Strafe zu entgehen, was dem Ganzen Spannung einzuhauchen vermag. Es sind die immerselben Dispute zwischen Ankläger und Verteidiger, es ist die immergleiche Frage nach Schuld des Beklagten und die immerwährende Reflexion darüber, wie moralisch es ist, jemanden aus der Bredouille zu helfen, der offensichtlich und tatsächlich schuldig ist. Ist also der Verteidiger nur auf das Geld seines Mandanten aus, ist er vielleicht sogar dessen Gesinnungsgenosse und profitiert damit vom Lohn des Verbrechens, wenn er ihn bestmöglich verteidigt? Oder ist er ein eminent wichtiger Teil des Rechtssystems.

In Michael Connellys Krimi "Der Mandant" werden diese Fragen selbstverständlich dauernd gestellt - von den Polizisten, denen der Strafverteidiger Mickey Haller begegnet und die den immerselben Witz über Welse und Strafverteidiger erzählen (einer von beiden suhlt im Dreck und säuft ihn, der andere ist ein Fisch, haha), um damit ein für allemal klar zu machen, dass sie Strafverteidiger mindestens so moralisch verwerflich finden wie die Verbrecher selbst. Oder vom Helden der Geschichte selbst, der sich immer wieder danach befragt, was er hier eigentlich tut und ob er das mit sich selbst verantworten kann. Er kann und er wird.

Dass dies allerdings teuer bezahlt wird, mit Zynismus, mit Langeweile, mit den vergeblichen Versuchen, die zahllosen Dealer und Prostituierten, die er verteidigt, von ihrer schrägen Bahn abzubringen, wird gleichfalls schnell erkennbar. Haller hat dabei ein Menschenbild, das überraschend sympathisch ist und in dem auch die Kleinkriminellen nur das tun, was ihnen beigebracht worden ist, und die Chancen nutzen, die sie tatsächlich haben. Das bedeutet zwar nicht, dass sie damit keine Schuld auf sich laden würden, hilft aber - wie die Musik, die sie hören - sie besser zu verstehen (und damit verteidigen zu können). Zum anderen aber hat Haller den Anspruch, einen Unschuldigen (ja, sie sind alle unschuldig) erkennen zu können, wenn er ihn sieht.

Spätestens mit dem Anspruch aber geht er kräftig baden. Louis Ross Roulet scheint einer dieser Unschuldigen zu sein, dennoch steckt sein Hals schon fast in der Schlinge. Eine Prostituierte, die er geschlagen und bedroht haben soll, schafft es, ihn ihrerseits niederzuschlagen. Die ermittelnden Polizisten nehmen den Sohn einer reichen und erfolgreichen Immobilienmaklerin fest. Alles scheint klar, eine hohe Haftstrafe wartet auf Roulet. Haller soll ihn rauspauken. Und er scheint es zu schaffen. Zu sicher sind die ermittelnden Polizisten, hier ihren Täter zu haben, zu wenig Wert legen sie auf eine gediegene Beweiskette. Wenig Überraschendes also kündigt sich an - aber wenn die Sicherheit am größten ist, sind's eben auch Überraschungen. Denn der offensichtlich Unschuldige scheint es doch nicht so sehr zu sein. Anscheinend ist seine Vergangenheit nicht so friedlich, wie er vorgibt. Und auf einmal ist Haller selbst bedroht, spätestens nachdem sein Ermittler mit seiner Pistole erschossen worden ist.

Mit dieser Wendung aber gewinnt Connellys Roman an enormer Qualität. Unter amerkanischen Krimiautoren gilt die Fähigkeit, einen plausiblen und zugleich überraschenden Plot zu entwerfen, als eines der wichtigsten Qualitätsmerkmale. Das führt gelegentlich dazu, dass die Verkettung diverser Umstände, die zur Tat und schließlich zu ihrer Aufklärung führen, auch schon wie auf dem Reißbrett entworfen erscheinen. Der Nebeneffekt ist, dass die Handlung leb- und farblos erscheinen kann. Connelly hat diesen Mangel vermeiden können. Die Grundidee, nämlich den Strafverteidiger in ein unentrinnbares Dilemma zu führen, indem der gegen seinen Mandanten ermitteln muss (was er nicht darf und aufgrund seiner Erpressbarkeit nicht kann), scheint eine solche Reißbrettidee zu sein. Es gelingt Connelly aber, diese Idee derart gekonnt umzusetzen, dass am Ende ein spannungsreicher Krimi dabei herauskommt. Dass er dabei die moraltriefende Schwarzweißsicht von "Vergessene Stimmen" (im letzten Jahr auf deutsch erschienen) vermeidet, trägt zur Qualität des Textes bei. Er wird dadurch ehrlicher und realistischer, schlichtweg besser. Natürlich gewinnen am Ende die Guten und der Bösewicht geht ins Gefängnis und nicht über Los, der Held hat Erkenntnisgewinn en masse (zum Beispiel, dass er Ex-Frau und Kind immer noch liebt und von ihnen geliebt wird). Aber solche simplen Standards kann man gelten lassen, wenn der Rest stimmt. Und das tut er.


Titelbild

Michael Connelly: Der Mandant.
Aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb.
Heyne Verlag, München 2007.
527 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783453014343

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