Von Monstern, Mutanten und Übermenschen

Georg Ruppelt stellt "Literarische Alternativen zur besten der Welten" vor

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die in der Science Fiction behandelten Themen und entworfenen Plots sind vielfältig wie in kaum einem anderen Genre. Sie reichen von space operas, in denen Weltraum-Cowboys die allerneueste new frontier noch ein wenig weiter ins bislang noch Unbekannte verschieben, bis hin zu faschistischen, marxistischen, anarchistischen, feministischen und sonstigen U- und Dystopien. Die Helden und Heldinnen der Geschichten bereisen den Mikrokosmos, Universen mit fremden Naturgesetzen oder Parallelwelten, in denen sich die Geschichte anders entwickelt hat. Die Menschheit vereint oder vernichtet sich, entwickelt sich zu einer neuen Spezies oder sie gründet Sternenimperien. Die Erde wird von Aliens besucht, die mal eher desinteressiert sind, mal eine freundliche oder feindliche Übernahme im Sinn haben. Mad scientists schaffen mal Menschalien- mal Menschtierhybride oder lassen in ihren Labors und Retorten gänzlich andere Monster und Überwesen erstehen. Rechengehirne oder Roboter übernehmen die Weltherrschaft, Mutanten und Supermänner beziehungsweise -frauen retten den Planeten vor so ziemlich jeder denkbaren Gefahr. Der Cyberspace und auch die Innenwelten der (nicht-)menschlichen ProtagonistInnen allerlei Geschlechts werden erkundet. Und gelegentlich wird selbst Gott geschaffen.

Leicht ließen sich etliche Seiten mit weiteren Aufzählungen füllen. Reichlich Stoff also für ein Buch, das von "literarischen Alternativen zur besten der Welten" berichtet, wie der ironisierende Untertitel einer Essay-Sammlung von Georg Ruppelt verspricht, die - wie der Autor im Vorwort ankündigt - "die Aufmerksamkeit auf Details in bekannten Texten lenken", "aber auch auf heute kaum noch beachtete, gleichwohl aber interessante Prosa hinweisen" wollen und insgesamt "einen starken inhaltlichen Zusammenhang aufweisen". Man bringt also ohne weiteres ein gewisses Verständnis dafür auf, wenn sich angesichts der Anlage des Buches die eine oder andere Wiederholung nicht vermeiden ließ. Doch deren schier endlos anmutende Kette ermüdet zunehmend. Es fehlt nicht viel, und man fühlte sich an Nietzsches Topos der ewigen Wiederkehr des Immergleichen erinnert.

Doch gibt es nicht nur Negatives zu vermelden. So bieten die gerade mal 16 Seiten des ersten Essays eine Fülle Informationen über "Deutschland und die Welt in der Zukunftsliteratur", von denen einige auch ausgewiesenen KennerInnen des Genres unbekannt sein dürften. Louis Sébastien Merciers 1770/1771 erschienener Roma "Das Jahr 2440" etwa gilt weithin als erste "zeitverschobene Utopie". Ein Irrtum, dem auch der Rezensent unterlag, der sich von Ruppelt gerne darüber belehren lässt, dass die erste Utopie, die nicht in fernen Landen und Inseln, sondern in der Zukunft angesiedelt war, tatsächlich bereits 1733 erschien. Verfasst hat sie Samuel Madden und ihr Titel lautete "Memoirs of the Twentieth Century". Weithin unbekannt ist auch, dass der erste deutschsprachige Zukunftsroman schon 1810 erschien. Es handelt sich um "Ini. Ein Roman aus dem Ein und zwanzigsten Jahrhundert" aus der Feder Julius von Voss'. Zu den weiteren Entdeckungen, an denen Ruppelt die Lesenden teilhaben lässt, zählt Otto Basils Satire "Wenn das der Führer wüßte" (1966). Ruppelt versteht das Interesse an dem Roman zu wecken und man nimmt sich vor, ihn bei nächster Gelegenheit zu lesen.

Zahlreiche der von Ruppelt vorgestellten Texte überraschen mit verblüffend zutreffenden 'Prophezeiungen' der UtopistInnen, etwa über den Ausbruch und anfänglichen Verlauf des Zweiten Weltkrieges in einem politisch allerdings sehr bedenklichen Büchlein aus dem Jahre 1922. Von den ebenfalls nicht seltenen Kuriosa mit denen Ruppelt aufwartet, besagt eine, dass künftig ausgerechnet aus "menschlichen Hoden" eine Substanz gewonnen werde, die den Menschen die ihnen "angeborene Aggressivität" nimmt. Heinz Slawik hat sich in seinem 1919 erschienen Roman "Erdsternfriede" diesen "Änderstoff" mit der unglaublichen Wirkung ausgedacht. Dass in der 'idealen' Gesellschaft seines Romans ' jeder Ort mit mehr als 5.000 Einwohnern "staatliche Bordelle" einrichten muss, scheint da schon besser zur Quelle des Präparats zu passen. Ebenso, dass es kein Frauenwahlrecht gibt. Nachdem ihnen von der Weltregierung eindringlich dargelegt worden war, wie nachteilig sich das Frauenstimmrecht auswirken würde, wurde den Frauen selbst die Entscheidung darüber überlassen, ob sie künftig stimmberechtigt sein wollten. Da sie allerdings gar nicht erst zur Abstimmung über diese Frage erschienen, erledigte sich das Problem von selbst. Offenbar war ihnen die vom maskulinistischen Autor dieser Männerphantasie verordnete Hodenkur nicht besonders gut bekommen.

Ruppelt belässt es keineswegs dabei, auf unbekannte Kleinode und Kuriosa aufmerksam zu machen, sondern bettet die Entwicklung utopischer und dystopischer Phantasien schon mal im historischen Kontext ihrer Entstehung ein. So vermutet er etwa, dass die "Angst vor einer 'Mulierokratie', einer Weiberherrschaft", die um 1900 "viele Utopisten" umgetrieben habe, sei "gewiss eine Folge der weltweit ins Licht der Öffentlichkeit tretenden Emanzipationsbewegung" gewesen. Dem kann man ohne weiteres zustimmen, denn an misogynen und antifeministischen 'Utopien' - auch von einigen Frauen - war seinerzeit wahrhaftig kein Mangel, wie etwa ein Blick in den jüngst von Detlev Münch edierter Sammelband "Die Frau der Zukunft" zeigt, dessen Herausgeber allerdings kurioserweise meint, er habe einen Band mit feministischen Utopien vorgelegt. Dass es allerdings auch schon zu dieser Zeit dezidiert feministische Utopien gab, verdeutlicht Charlotte Perkins Gilmans weder von Münch noch von Ruppelt erwähnter, dafür aber auch heute noch lesenswerter Roman "Herland" (1915), der das Frauenreich allerdings nicht in einer fernen Zukunft, sondern auf einer abgelegenen Insel ansiedelt.

Dass sich Ruppelt - ungeachtet der Absenz von Perkin Gilmans "Herland" - zwar bestens in der utopischen Literatur vergangener Jahrhunderte auskennt, und wohl auch noch das verstaubteste Exemplar in den hintersten Regalreihen abgelegener Bibliotheken aufzustöbern versteht, sich dafür aber beim Geburtsjahr von Deutschlands bekanntester und erfolgreichster Science-Fiction-Heft-Reihe vertut - "Perry Rhodan" erscheint nicht, wie der Autor meint "seit Ende der sechziger Jahre", sondern seit deren Anfang, genauer gesagt seit 1961 - ist wohl dem Umstand zu danken und anzulasten, dass er seinen Unterhalt als führender Mitarbeiter an den wissenschaftlichen Bibliotheken in Wolfenbüttel und Hamburg sowie an der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover bestritt und bestreitet.

Den umfangreichsten Abschnitt des Bandes bildet "Die Geschichte der Jahre 1901 bis 3000". Hier zitiert und referiert Ruppelt mal kürzere mal etwas längere Abschnitte aus der literarischen Science Fiction und ordnet sie chronologisch an, allerdings nicht nach dem Datum ihres Erscheinens, sondern nach dem der in ihnen geschilderten "fiktiven Ereignisse und Entwicklungen". So ist eine 80 Seiten lange - in sich natürlich nicht widerspruchsfreie - Chronologie zusammen gekommen, die zwar immer wieder mit Überraschungen aufwartet, sich allerdings schwerlich an einem Stück herunterlesen lässt. Jedenfalls scheint diese Kompilation ein Verfahren zu sein, das dem Autor sehr entgegenkommt, neigt er doch auch in anderen Texten dazu, allzu weitschweifig aus der Primärliteratur zu zitieren.

Abschließend anzumerken ist, dass ihn Science Fiction und Utopien von Frauen nicht sonderlich zu interessieren scheinen. Jedenfalls erwähnt er gerade mal eine Hand voll Titel von Autorinnen, darunter natürlich Mary Shelleys Roman "Frankenstein", den er als "einigermaßen naiv" schmäht und Kate Wilhelms Roman "Hier sangen früher Vögel", den er für "bedeutend" hält und damit doch etwas überschätzt. Dabei hätten sich zahlreiche weitere Autorinnen angeboten. Von Zeitgenossinnen seien hier nur Ursula K. LeGuin, Marge Piercy, Margaret Atwood, Tricia Sullivan, Gwyneth Jones und die unter dem Pseudonym James Tiptree jn. bekannt gewordene Alice Shelton genannt.


Titelbild

Georg Ruppelt: Nachdem Martin Luther Papst geworden war und die Alliierten den Zweiten Weltkrieg verloren hatten. Literarische Alternativen zur besten der Welten.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2007.
304 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783865250964

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