Zwodoppelviers Fahrgäste

Karen Duve lässt Taxifahren, erzählt davon und das unterhaltsam

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt wie immer zwei Seiten, von denen man auf das Ganze sehen kann. Da ist die eine: Eine fremde Stadt, ein Hotel oder ein Termin irgendwo dort, Ankunft am Bahnhof oder am Flughafen, die Zeit ist knapp, der Weg ist weit und der Geldbeutel nicht allzu schmal. Also nehmen wir ein Taxi. Das bringt uns schnell und meistens sicher ans Ziel. Dafür nehmen wir ein versifftes Auto, Fritten-, Zwiebel- oder Zigarettengeruch, durchgesessene Sitze und einen verschwatzten Taxifahrer in Kauf. Meistens ist das auch gar nicht so schlimm.

Die andere Seite: Jeden Tag durch die Stadt, die immerselben Straßen, Fahrgäste, die zickig sind, unangenehm, überheblich, verschwitzt, gehetzt, verplappert und ohne Ende langweilig. Und dann geben sie nicht einmal Trinkgeld. Das Leben von Taxifahrern ist nicht ohne Schattenseiten.

Und trotzdem: Es ist ein besonderer Job, mit einer besonderen Sicht auf das, was wir Gesellschaft nennen, auf Menschen, die mit dem Taxi durch die Weltgeschichte gefahren werden, auf eine Stadt und ihre vielen verwinkelten Ecken, in die sonst schon keiner mehr kommt. Karen Duve hat von einem Taxifahrerinnenleben erzählt. Von ihrem?

Um Taxifahrer zu werden, muss man wenig mehr können als einigermaßen gut Auto fahren, Straßen auswendig können und unerschrocken sein. Der Job eignet sich gut für Studenten (aktuell und ehemals) und für solche, die nicht einmal Lust darauf haben. Und es soll Leute geben, die diesen Job mit Bedacht wählen.

Karen Duves Heldin gehört zu denjenigen, denen nichts Besseres eingefallen ist und die es deshalb einfach versuchen. Sechs Jahre tut sie sich das an, um die Miete zahlen zu können, und am Ende muss man ihr den Lappen sogar wegnehmen, damit sie endlich davon wegkommt.

Eine Lebenskrise ist also der Grund, der "Zwodoppelvier" - wie sie meist, der Nummer ihres Taxis folgend, heißt - zum Taxifahren bringt. Aber bewältigt wird hier gar nichts, erst recht nicht die Krise. Keine Lust zu irgendetwas hat sie, keinen, mit dem sie irgendwas teilen, und niemand, auf den sie aufpassen muss, also kann sie sich die Nächte um die Ohren schlagen. Acht Stunden, zehn Stunden, zwölf Stunden - am Anfang ist alles egal, Hauptsache echtes Geld kommt dabei herum. Aber sonst ist wenig los mit der jungen Frau: In das Verhältnis mit ihrem Kollegen Dietrich gerät sie irgendwie, und bleibt über Jahre darin hängen, mit Marco und Majewski schläft sie, weil das ok ist, mit Rüdiger - Dietrichs bestem Freund - streitet sie sich, weil dessen Ansichten bei Nietzsche und Weininger stehen geblieben sind. Nach den wilden und aufregenden Anfangszeiten ereignet sich im Leben von "Zwodoppelvier" nicht mehr viel.

So wenig, dass selbst sie endlich versteht, weshalb die alten Hasen im Taxigeschäft die Anfänger derart verbissen in Augenschein nehmen: Sie neiden ihnen den Elan, mit denen sie sich aufs Geschäft stürzen, denn sie selbst haben sich derart arrangiert, dass sie jede Veränderung nur stört, selbst solche beständigen Neuerungen wie neue junge Kollegen, die schwatzhaft sind wie immer, die sich nicht auskennen, die keine Ahnung haben von den Taxigästen, die immer alles noch lernen müssen und immer anfangs alles toll finden.

Das führt zu dem merkwürdigen Paradox, dass diese Mobilitätsprofis die Stagnation schätzen und zugleich unter ihr leiden. "Zwodoppelvier" leidet sogar so sehr darunter, dass sie immer seltener fahren kann, immer später in die Zentrale kommt und immer früher aufhört. Den Absprung aber schafft sie nicht allein. Kein Ausweg, nirgends. Zwar wird gelegentlich erwähnt, dass sie schreibt. Aber nicht das Schreiben, sondern ein Schimpanse ermöglicht ihren Abgang.

Was auch sonst, denn das einzige, wofür sich die Taxiheldin interessiert, sind Primaten. Das hilft ihr nicht nur beim täglichen Leben, sondern auch beim Verständnis der Taxigäste (männlich) und der Kollegen (auch männlich). Als sie eines Tages nun in der Tat einen unangenehmen Menschen samt Schimpansen fahren muss, entführt sie das Tier in einem spontanen Einfall, fährt ihre Kiste zu Schrott und verliert ihren Taxischein - endlich. Somit kann das wirkliche Leben wieder beginnen. Oder auch: So hat die Taxigeschichte ein Ende.

Eine kleine Geschichte zumal, die freilich mit großem Geschick verfasst werden ist. Mit der Datierung der beiden Teile auf die Jahre 1984-1986 und 1989-1990 signalisiert Duve nicht zuletzt, dass sie eine wahre Geschichte erzählt. Das Ganze wird im Brustton des Authentischen und von einem Ich erzählt, dem man gerne glaubt, dass sein Vorbild die Autorin selbst ist. Sogar die anekdotenhafte Struktur des Romans, seine Aufsplittung in Einzelgeschichten, die sich immer einen Reim auf sich selbst machen wollen, ist dem Taxigenre verpflichtet. "Zwodoppelvier" selbst gibt einen Hinweis darauf: Es müssen Geschichten sein, die in wenigen Minuten erzählt werden können, denen eine Unterbrechung (Fahrgast! Tour!) nicht viel ausmacht und die immer wieder aufs Neue erzählt werden können.

Auf diese Weise spinnt Duve an doppelt tragfähigen Geschichten: Die Einzelanekdoten müssen ebenso für sich allein funktionieren, wie sie auch den gesamten Erzählstrang herstellen sollen. Damit aber entwickelt die so spröde, sachlich und trocken daherkommende Taxigeschichte eine beeindruckende Qualität, eine auch intellektuell faszinierende mélange von realistischem und modernistischem Erzählen, das der Eingängigkeit eben nicht im Wege steht.

Figurentypologie und Plot weisen ähnliche Qualitäten auf, sind die Figuren zwar offensichtlich auf dem Reißbrett entworfen (der unentdeckte Künstler, der misogyne Intellektuelle, der frauenvernaschende Journalist, der zwergenwüchsige Wissenschaftler et cetera), dennoch geben sie genau die richtige Umgebung für die Heldin ab. An ihnen kann sie sich abarbeiten, an sie kann sie sich anlehnen, anhand ihrer Schrullen wird sie sich ihrer eigenen nur noch bewusster, was für ein schönes Leben nicht wirklich zuträglich ist. Aber zum Glück kommt irgendwann der Schimpanse ins Spiel, der sie aus dem Land jenseits der Windschutzscheibe befreit.


Titelbild

Karen Duve: Taxi. Roman.
Eichborn Berlin, Berlin 2008.
314 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783821809533

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