Matriarchat, Cyborgs und andere Utopien

Eine Sammlung sieben möglicher Welten

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alle Utopien seien bereits wahr gemacht worden, behauptet Michaela Schweighart, die Herausgeberin des Sammelbandes "Zeitsprünge". Daher erhebe das Buch "den Anspruch, Spiegelbild der Zeit zu sein", und die sei postutopisch.

Bei einer dieser verwirklichten und vergangenen Utopien handele es sich um das Matriarchat. Ihm geht Eva Ptak-Wiesauer anhand eines kursorischen Durchgangs durch die Matriarchatsforschung seit J. J. Bachofen nach. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts haben Feministinnen das Matriarchat als eine Gesellschaft "ohne Machtunterschiede und Aggression, friedfertig, harmonisch und voller Liebe" entdeckt (beziehungsweise erfunden). Es galt ihnen als eine "andere schönere Wirklichkeit" als die des herrschenden Patriarchats. Die Autorin weist diese Darstellung jedoch als Utopie und Mythos eines "essentialistischen Feminismus" zurück, dem es nicht gelinge, sich von der eurozentristischen Denkweise in Dichotomien zu lösen. Vielmehr sei die "Dekonstruktion des Matriarchatsbegriffes" ebenso notwendig, wie die des Begriffs 'Patriarchat'. Die "utopische Leitidee" des Matriarchats sei also zu verabschieden. Stattdessen seien "geschlechtssymmetrische Gesellschaften" anzustreben.

In einem weiteren Beitrag entwirft Dagmar Fink "die Cyborg als feministische Erzählfigur", die trotz des vorangestellten weiblichen Artikels nicht weiblich sei, sondern eine "alternative Repräsentation von Geschlecht vorstellbar" mache. Anhand von Marge Piercys Roman "Er, Sie und Es", einer Cyborg-Utopie innerhalb einer Gesellschafts-Dystopie, illustriert sie ihre Vorstellung der Cyborg als Grenzgängerin, die das "Spannungsfeld" zwischen den Geschlechteroppositionen öffnet.

Andere der hier versammelten Essays zeichnen sich nicht zuletzt durch ihren besonderen Sprachwitz aus. Gerburg Treusch-Dieter etwa nähert sich in ihrem Beitrag zur "Gensaga", der Spendenfreudigkeit "gut durchbluteter Leichen" und der Nettigkeit des Internets mit derart galliger Scharfzüngigkeit, das einem das Lachen bereits irgendwo in Höhe von Magen oder Herz stecken bleibt, jedenfalls schon lange, bevor es den Hals erreicht. Vergleichsweise lustig geht es dagegen in Barbara Osseges "zünftigen Visionen" über Liebe, Sex, Fruchtbarkeit und Aids zu. So ist es den sieben Autorinnen gelungen, einen durchweg lesenswerten Band zu produzieren.

Titelbild

Michaela Schweighart (Hg.): Zeitsprünge. Sieben Essays über mögliche Welten.
Passagen Verlag, Wien 1999.
129 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3851653939

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