Über Ehebruch, Eifersucht und Verwandtes

Zwei Skizzen von Uwe Johnson und Max Frisch in einem Band

Von Céline LetaweRSS-Newsfeed neuer Artikel von Céline Letawe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Reihe „Bibliothek Suhrkamp“, die sogenannte „Bibliothek der Klassiker der Moderne“, wurde im Jahre 1951 gegründet und zählt heute mehr als 1.500 Bände, in denen die bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts vertreten sind. Max Frischs „Skizze eines Unglücks“ und Uwe Johnsons „Skizze eines Verunglückten“ wurden in den 1980er-Jahren beide schon in dieser Reihe veröffentlicht. Nun erscheinen die zwei Texte zum ersten Mal zusammen in einem Band.

Diese Veröffentlichung ist von besonderer Bedeutung: Als Johnsons „Skizze eines Verunglückten“ 1982 in der „Bibliothek Suhrkamp“ einzeln erschien, war sie aus ihrem eigentlichen Kontext gerissen und wurde demzufolge von vielen als bloßes autobiografisches Dokument behandelt. Dass der Text autobiographische Elemente enthält, steht außer Frage; problematisch ist allerdings, dass das Hauptaugenmerk auf diese Elemente den Text stark reduziert. Die „Skizze eines Verunglückten“ war schon 1981 als ein Geschenk zum 70. Geburtstag des Freundes Max Frisch in der Festschrift „Begegnungen“ erschienen, von Johnson ursprünglich als „ein Spiel für Max Frisch“ und „eine Variation über ein Frischsches Thema“ gedacht. Sie war Johnsons literarische Antwort auf Frischs „Skizze eines Unglücks“ (die er aus dem von ihm lektorierten „Tagebuch 1966-1971“ des Schweizers schon vor deren Veröffentlichung kannte) und die Fortsetzung eines Gesprächs „über Ehebruch, Eifersucht und Verwandtes“, das im Januar 1975 durch das Manuskript von „Montauk“ ausgelöst worden war.

Beide „Skizzen“ können als unglückliche Mann-Frau-Geschichten bezeichnet werden. In beiden geht es um die Verunsicherung des Mannes durch die Frau. Frischs „Skizze eines Unglücks“ schildert, wie ein Liebespaar mit dem Auto durch Südfrankreich reist und die Frau dabei ihren Begleiter mit ihren vielen Fragen („Bist du sicher?“) immer mehr verunsichert. Kurz vor Montpellier besteht der Mann trotz gefährlicher Situation auf seiner Vorfahrt und es kommt zu einem Unfall – die Frau stirbt, der Mann überlebt. Obwohl er juristisch gesehen „keinerlei Schuld“ trägt, wird er sein Schuldgefühl nicht los, so dass er schließlich Selbstmord begeht.

In Johnsons „Skizze eines Verunglückten“ wird ein Mann ins Zentrum gerückt, der nach vierzehn Jahren Ehe erfährt, dass seine Frau ihn schon vor der Eheschließung und auch später jahrelang betrogen hat. Sein Bild von Partnerschaft und Partnerin zerbricht – und somit auch seine Identität, die ganz und gar an seine Ehefrau gebunden war. Der Mann bringt die Frau schließlich um, wird „[d]es Totschlags schuldig“ gesprochen und muss fast zehn Jahre im Gefängnis bleiben, wo er mehrmals versucht, Selbstmord zu begehen. Nach seiner Entlassung empfindet er sein Leben nur noch als ein „Ableben“.

Die Parallelen und Kontraste zwischen den beiden Texten sind auffällig. Johnsons „Skizze“ ist aber nicht nur mit Frischs „Skizze“, sondern auch mit anderen Texten des Schweizers intertextuell verwoben: Der Frisch-Leser wird unterschiedliche Zitate (Bildnisverbot, Ich-Geschichten), thematische Bezüge (etwa den Mord an der Frau) und Übernahmen von Formmerkmalen (männliche Perspektive, Konjunktivform) aus „Stiller“, „Mein Name sei Gantenbein“, „Tagebuch 1966-1971“ und vielen anderen Texten finden. Johnsons „Skizze eines Verunglückten“ kann schließlich im Sinne Genettes als ein „Pastiche“, das heißt eine spielerische Nachahmung sowohl der thematischen als auch der formalen Manier, von Frischs ganzem Œuvre betrachtet werden.

Der neue Band schließt mit einem dreißigseitigen Nachwort, in dem der bekannte Johnson-Forscher Norbert Mecklenburg Inhalt und Entstehungsgeschichte der beiden „Männergeschichten“ sehr genau bespricht und sich insbesondere für das in Johnsons „Skizze“ dargelegte Ehe-Ideal interessiert. Er kommentiert auch mehrere der Zitate, mit denen der Protagonist Hinterhand dieses Ideal untermauert. Und wie Mecklenburg feststellt, erschöpft sich „[d]er zentrale Themenkomplex Ehe/Ehebruch […] in der Skizze eines Verunglückten […] nicht in den intertextuellen und persönlichen Beziehungen zu Max Frisch“: Texte von Plato, Johann Wolfgang von Goethe, Maxim Gorki, Ernst Bloch, Marie Luise Kaschnitz und anderen werden von Hinterhand herangezogen, um das eigene Ideal zu stützen – wobei es manchmal nicht ohne gewaltsame Sinnentstellung abgeht. Hinterhand kann nämlich nur durch eine bestimmte Selektion und ein besonderes „rhetorisches Manöver“ recht behalten. Anhand von einigen gut ausgewählten Beispielen zeigt Mecklenburg die Komplexität von Johnsons Text.

Zu bemängeln wäre hier vielleicht nur, dass Norbert Mecklenburg, der sich seit über 25 Jahren mit Johnsons Werk befasst und schon 1997 in seinem Sammelband „Die Erzählkunst Uwe Johnsons“ eine sehr anregende Untersuchung über Johnsons „Skizze“ als „intertextuelle[s] Versteckspiel“ geliefert hatte, sich erwartungsgemäß auf Johnsons Text konzentriert – was wiederum sein ästhetisches Urteil widerzuspiegeln scheint (Johnsons „Skizze“ würde Frischs „Skizze“ seiner Meinung nach „weit überbieten“). Mit seiner Bemerkung, „[d]ie vorliegende Publikation hätte Johnson und Frisch Freude gemacht“, kann man indes nur einverstanden sein. Johnsons Text wird durch diesen neuen Band auch endlich in angemessener Weise Rechnung getragen.

Titelbild

Uwe Johnson / Max Frisch: Skizze eines Unglücks/Skizze eines Verunglückten.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
135 Seiten, 11,80 EUR.
ISBN-13: 9783518224434

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