Bilderrätsel

Thomas Elsaesser zu Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Hollywood-Kino

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Elsaesser zählt schon seit längerem zu den bekanntesten und renommiertesten FilmwissenschaftlerInnen nicht nur des englischsprachigen Raums. Nun hat er seinem Oeuvre ein weiteres Werk hinzugefügt. Es trägt den Titel „Hollywood heute“ und befasst sich mit „Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino“. Die meist je einzelnen Filmen geltenden Texte sind zwar als Essay ausgewiesen, können jedoch durchaus als Studien durchgehen.

Wie der Autor im Vorwort darlegt, möchte er „neue Ansätze zu einer Interpretation des Narrativen im Kino vorstellen“. Damit klingt bereits eines der Momente an, die den Band reizvoll machen: Elsaesser erprobt an den Filmen je verschiedene theoretische Zugängen und macht sich gleichwohl mit ihnen allen für eine zentrale These stark. Ihr zufolge beziehen sich „Symptome“, die üblicherweise mit Traumata wie der „Zeiterfahrung[en] des Plötzlichen und Kontingenten, Störung[en] der Erinnerung, am Körper nicht sichtbare Verletzungen“ verbunden werden, auf der „Handlungs- oder Story-Ebene“ gelegentlich zwar auf ein bereits vergangenes Geschehen, zielen „in ihrer Virulenz und vektorialen Richtung“ jedoch auf „Zustände und Situationen der Gegenwart“. Dies vermögen sie, indem die Figuren den Zuschauenden „eine Art Deterritorialisierung“ des Körpers „im Sinne der Aufhebung oder Demontage seiner traditionellen Sozialisierung für zielstrebig-lineares Handeln“ vorführen. Das besondere Interesse des Autors an der „Krise der männlichen Identität im neuen Hollywoodfilm“ manifestiert sich darin, dass die Körper, von denen hier die Rede ist, zumeist männlichen Geschlechts sind.

Das „postklassische Hollywood“, dessen Erzeugnissen Elsaesser sein Untersuchungskorpus entnimmt, zeichnet sich durch den „recht kühnen Versuch“ aus, dem Mainstream Hollywoods „neue Dimensionen der Mehrdeutigkeit und Polyvalenz abzugewinnen“. So eine weitere These des Autors. Er versteht sie zu plausibilisieren, indem er die „Doppelbödigkeit“ und die „mixed messages“ der neuen Hollywood-Poetik anhand der „mehrstimmigen Zeichen“ der oft als „Bilderrätsel einer neuen Weltordnung“ daherkommenden Filme analysiert. Gerade indem das neue Hollywood mit dem „illusionistische[n] Spektakel des alten make believe-Hollywood“ hantiere und scheinbar ausgetretenen Pfaden folge, gelinge es dem postklassischen Hollywood, sich zu erneuern.

Bei den untersuchten Filmen handelt es sich keineswegs um eher abgelegene Streifen, sondern um regelrechte Blockbuster wie etwa „Die Hard“ oder „Back to the Future“. Auch „Pulp Fiction“ zählt dazu. An diesem, wie der Autor nicht zu Unrecht meint, Film über „die Bürde des weißen Mannes, der sich des sozialproblematischen Ballasts von Männlichkeit und ‚Rasse‘ bewusst ist“, erprobt Elsaesser das interpretatorische „Zusammenspiel“ von „symptomatisch-dekonstruktivistischen Lesarten der Cultural Studies“ mit einer „‚poetologische[n]‘ Lektüre“.

Geht es in der Analyse von „Pulp Fiction“ um ‚Männlichkeit‘ und ‚Rasse‘, so in der Untersuchung des Thrillers „The Silence of the Lambs“ um Gender und (Hetero-)Sexualität. Dabei schreitet Elsaesser von einer feministischen Interpretation des Films über Foucault zu einer „Deleuze’schen Lesart“ voran. Das funktioniert allerdings nur, weil er sich im ersten Teil auf die klassische Filmtheorie Laura M. A. Mulveys aus den 1970er-Jahren bezieht und die aktuellen, durchaus Mulvey-kritischen Ansätze der feministischen Filmtheorie nicht angemessen rezipiert. Vielmehr behauptet er, sie konzentrierten sich im Anschluss an die (Mit-)Begründerin der feministischen Filmtheorie noch immer auf die Frage, warum Frauen Filme angesichts deren „sexistischer und ideologischer Grundvoraussetzung“ überhaupt genießen können. Tatsächlich wurde die frühfeministische These des notwendig ‚männlichen‘ Blicks, den die Kamera den Zuschauenden aufzwinge, bereits von Mulvey selbst in ihren „Afterthoughts on Visual Pleasure and Narrative Cinema“ (1981) und in „Pandora’s Box: Topographies of Curiosity“ (1996) überdacht. Und auch in einem Beitrag zu dem Band „Screenwise“ unterzog sie ihre Filmtheorie der 1970er-Jahre einer kritischen Revision. Darüber hinaus haben andere, nachfolgende Feministinnen ihre Theorie nicht nur infrage gestellt, sondern verworfen. So etwa Andrea B. Braidt in einem Beitrag zu dem Sammelband „Das Geschlecht, das sich (un)eins ist?“ anhand der „Alien“-Filme. Was Elsaesser einklagt, „die Schlüsselidee der feministischen Filmtheorie [zu] dekonstruieren, nämlich dass das kinematographische Bild geschlechtsspezifisch ist“, ist von Mulvey selbst und anderen Feministinnen bereits in die Wege geleitet.

Dass Elsaesser sich selbst gut auf das Geschäft der „Dekonstruktion“ versteht, beweist er in seiner Untersuchung von Roman Polanskis Film „Chinatown“, den er zunächst einer „thematisch orientierten Filmkritik“ und sodann einer dekonstruktiven Analyse unterzieht. Dass er diese „Strategie“ selbst nicht dekonstruktiv, sondern „dekonstruktivistisch“ nennt, verwundert daher umso mehr. Aber vielleicht ist der terminologische Missgriff nicht dem Autor, sondern dem ÜbersetzerInnenteam anzulasten.

Auch wenn man nicht alle Ausführungen zu „Chinatown“ unterschreiben möchte, gesteht man gerne zu, dass Elsaesser wie stets, so auch hier klug und kenntnisreich argumentiert. Doch ist er nicht ganz frei von Irrtümern. So ist die Figur Noah Cross keineswegs der „Stiefvater“ von Katherine und sie darum auch nicht seine „Stieftochter“. Vielmehr ist der inzestuöse Vergewaltiger zugleich ihr Vater und ihr Großvater, und sie seine Tochter und Enkelin.

Auch führt die Film-Handlung entgegen Elsaessers Auffassung sehr wohl zu einem Happy End. Jedenfalls für Polanskis Identifikationsfigur. Denn der Regisseur, der sich selbst kurz nach der Uraufführung des Filmes durch seine Flucht aus den USA einer Verurteilung wegen Vergewaltigung einer Minderjährigen entzog, lässt den von John Huston gespielten Noah Cross nicht nur ungeschoren mit dem Missbrauch seiner Tochter Evelyn Mulwray davonkommen, sondern liefert ihm in der Schlussszene gleich noch seine Enkelin (und zweite Tochter) aus, auf dass er das Verbrechen an ihr wiederholen kann. „[D]ie obszöne phallische Macht des Vaters [wird] voll wieder eingesetzt“, konstatiert Elsaesser. Eben.

Titelbild

Thomas Elsaesser: Hollywood heute. Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino.
Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2009.
272 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783865053015

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