Den Körper als nicht-konstruiert konstruieren

Feministische Film- und TV-Wissenschaften in einem Sammelband von Monika Bernold, Andrea B. Braidt und Claudia Preschl

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Während der 70er Jahre nahm Laura Mulvey für die feministische Filmtheorie eine Rolle ein, die mit derjenigen Judith Butlers für die Gender-Theorie der 90er Jahre vergleichbar ist. In dem von Monika Bernold, Andrea B. Braidt und Claudia Preschl herausgegebenen Sammelband "Screenwise" wirft die am Londoner Birkbeck College lehrende Film- und Medienwissenschaftlerin nun einen Blick zurück und unterzieht die von ihr wesentlich mitgeprägte feministische Filmtheorie der 70er einer "Re-Vision".

Mulvey war eine der Vortragenden einer internationalen Konferenz zu Standorten und Szenarien heutiger feministischer Film- und TV-Wissenschaften, die 2003 in Wien eine Bestandsaufnahme aktueller Ansätze in diesem Wissenschaftsbereich unternahm und deren Vorträge nun in dem vorliegenden Band nachzulesen sind, der 25 Beiträge von 23 Autorinnen versammelt. Die Herausgeberinnen haben das Buch in die vier Schwerpunkte unterteilt: "Visuelle Praxen von Feminismus, Gender, Politik und Sex", "Feministische Positionen zum Frühen Kino. Der Wunsch nach einem Gegenkino", "Diskursive und imaginäre Räume des Fernsehens" und "Gender und Genre in den Filmwissenschaften".

Der erhellendste Beitrag des ersten Teils stammt zweifellos aus der Feder Andrea Seiers, die das Verhältnis beleuchtet, in dem die aktuell innerhalb der Gender Studies vorgenommenen Analysen filmischer Geschlechterinszenierungen zu den inzwischen klassisch gewordenen Ansätzen der feministischen Filmtheorie stehen. Von besonderem Interesse ist ihr Hinweis auf ein bestimmtes Manko gegenwärtiger feministischer Filmtheorie: Der analytische Blick auf den Unterschied zwischen der kulturtechnologischen Konzeption von Performativität und ihrer medienspezifischen Ausformulierung, moniert die Autorin, ist verloren gegangen. Geschlechterinszenierungen in Film und Fotografie werden zwar als Belege für die These der Performativität von Geschlechtsidentität herangezogen, doch wird ihre "mediale Performativität" dabei meist unzureichend von der Geschlechterperformativität unterschieden, wenn sie nicht gar ganz "unterschlagen" wird. Statt sich darauf zu beschränken, Geschlechterperformativität "mit der filmischen Inszenierung zu 'belegen'", unterscheidet Seier auf instruktive Weise drei sich in Filmen überlagernde "Ebenen" der Performativität: die mediale Performativität, die ästhetische Performativität und die Gender-Performativität, wobei die medienspezifische Performativität des Films der Autorin zufolge eine "strukturelle Ähnlichkeit" mit der von Judith Butler theoretisierten "Verschränkung" von Präsenz und Repräsentation erkennen lässt. Eine "medientheoretische Reformulierung" von Butlers Thesen zur Gender-Performativität darf Seier zufolge die medialen und ästhetischen Performativitäten nicht in einer "übergeordneten" Gender-Performativität "aufgehen" lassen. Stattdessen schlägt sie vor, die drei Ebenen zunächst zu trennen, um erst in einem zweiten Schritt die Aufmerksamkeit auf "das jeweils spezifische Ineinandergreifen" der verschiedenen Performativitätsebenen zu richten. Anhand des "legendäre[n] Vorspann[s]" von Quentin Tarantinos Film "Jackie Brown" zeigt Seier abschließend, "inwiefern die Konzeption der Gender-Performativität für eine Analyse filmischer Geschlechterinszenierungen produktiv gemacht werden kann".

Auch in den feministischen Film- und Medienwissenschaften rückt der Körper zunehmend ins Zentrum des Interesses. Hedwig Wagner etwa sieht die Herausforderung der Medientheorie an die feministische Filmtheorie darin, ihn, den Körper, neu zu denken. Die Herausforderung annehmend diskutiert sie die Ansätze von Elisabeth List, Marie-Luise Angerer und Sybille Krämer, wobei sie zu manch kritisch-griffiger Formulierung findet; etwa wenn sie feststellt, List konstruiere den Körper als nicht-konstruiert. Anhand der Theorien der drei in unterschiedlichen Disziplinen tätigen Feministinnen zeigt Wagner, dass der Körper von einer "physischen Evidenz" zu einer "psychischen Größe" geworden ist. Abschließend plädiert sie "für eine Erklärung des medialisierten Körpers im Sinne einer Erklärung der entfalteten Wirkung von Medientechnik und Medienkultur".

Drei Diagonalen verbinden die Texte des dem Fernsehen gewidmeten Teils. Die erste, legt Monika Bernold in der Einleitung zu diesem Abschnitt dar, betrifft das Publikum, die zweite Probleme der Intermedialität, und die dritte berührt die Frage, was Feminismus im Hinblick auf das Fernsehen bedeuten kann.

Die sich augenzwinkernd "altmodische Feministin" nennende Mitherausgeberin des European Journal of Cultural Studies Joke Hermes verbindet die drei Ebenen, indem sie ZuschauerInnen-Reakionen in Internet-Diskussionsforen auf die postfeministischen Fernseh-Serien "Ally McBeal" und "Sex and the City" untersucht. Ihr besonderes Augenmerk richtet sie dabei auf "Jump the Shark", eine Webseite, auf der diskutiert wird, aufgrund welcher Szenen, Inhalte, Entwicklungen etc. eine Serie für die jeweilige DiskutantIn 'abgesoffen' ist - oder eben auch nicht. Die dort kontinuierlich geführten Diskussionen legen Hermes zufolge nahe, dass sich die "Reglementierung" des Fernsehens und seiner Ästhetik von den früheren Assoziationen mit Passivität und Weiblichkeit hin zu einem "weiter gefassten Schlachtfeld" entwickeln. Den "anspruchsvollen feministischen Idealen der 1980er Jahre" werde das allerdings nicht gerecht. Vielmehr sei es um den Feminismus schlecht bestellt, wenn dessen Ideale damit endeten, dass "Individualität und Stärke an die Stelle des Geschlechts getreten sind", was nicht sehr viel mehr bedeute als "einen Schritt weg von früheren Assoziationen von Weiblichkeit mit Passivität und Emotionalität".

In ihrem Beitrag "Wasteland TV / Ödland Fernsehen" erklärt Susanne Lummerding, dass "Butlers Argumentation für die Aufhebung der begrifflichen Unterscheidung von 'biologischem' und 'kulturellem' 'Geschlecht' (sex und gender) ein anti-essentialistisches Verständnis 'sexueller' Differenz nicht ausreichend zu begründen vermag", und versucht diesem Mangel abzuhelfen. Geschlechtszugehörigkeit (Gender) fasst sie hierzu überzeugend als "soziosymbolische Konstruktion", während sie die Kategorie Geschlecht (sex) als "'nicht-signifikante' Differenz" und als "Manifestation des 'Verfehlens" von Sprache" bestimmt. Erstere, führt Lummerding aus, "wäre die Einschreibung dieses 'Verfehlens" auf einer soziosymbolischen Ebene, während Geschlecht bzw. 'sexuelle" Differenzierung das Subjekt als Scheitern von Subjektivierung (im Sinne eines abgeschlossenen Prozesses) konstituiert". Die Differenz sei notwendig, "um die Unmöglichkeit von 'Kohärenz" zu verdecken und somit eine Subjektposition zu ermöglichen". Das alles klingt zwar sehr interessant, ist aber in der von Lummerding dargebotenen Kürze argumentativ nicht unbedingt nachvollziehbar (ebenso wenig wie ihre - innerhalb der Zitate unverändert übernommene - eigenwillige Setzung der einfachen und doppelten Anführungszeichen). Da bleibt wohl die angekündigte ausführlichere Darlegung in der Habilitationsschrift abzuwarten. Die aber könnte vielversprechend werden.

Titelbild

Screenwise: Film, Fernsehen, Feminismus.
Herausgegeben von Monika Bernold, Andrea Braidt und Claudia Preschl.
Schüren Verlag, Marburg 2004.
240 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3894723874

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