Ein Autor und seine Darsteller, Editoren und Interpreten
Zwei weitere Bände der Max Weber-Gesamtausgabe und ein Sammelband mit Studien zu Themen von Max Weber sind erschienen
Von Dirk Kaesler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIm Zuge der Max Weber-Gesamtausgabe (MWG) sind jüngst zwei weitere Bände erschienen. Seit den ersten Bänden vor mehr als einem Vierteljahrhundert gliedert sich die MWG in drei Abteilungen: Schriften und Reden (Abteilung I), Briefe (Abteilung II) und Vorlesungen sowie Vorlesungsnachschriften (Abteilung III). Mit den beiden hier anzuzeigenden Bänden sind nun Band 24 von Abteilung I und Band 4 aus Abteilung III erschienen. Beide sind derart unterschiedlich, dass sie nicht gut miteinander verglichen werden können: Das eine ist ein Buch des vor vier Jahren emeritierten Heidelberger Soziologen Wolfgang Schluchter über Max Webers Publikationsprojekt „Wirtschaft und Gesellschaft“, das andere das Ergebnis einer beeindruckend gründlichen und selbstlosen Editionsarbeit an bislang unveröffentlichten Vorlesungsmanuskripten Max Webers. Zudem wird hier ein Sammelband annonciert aus der Feder des ursprünglich für die Edition der Schriften Max Webers zur Kulturbedeutung des Protestantismus vorgesehenen MWG-Editors, des Historikers Hartmut Lehmann.
Ein Buch über Weber unter Webers Schriften
Der 24. Band der Abteilung I der MWG ist kein Buch des Autors Max Weber. Es ist ein Buch aus der Feder seines „Darstellers“ und Herausgebers, Wolfgang Schluchter. Die Angabe des Verlags auf dem Lieferzettel war korrekt: „Max Weber Gesamtausgabe I/24 EntstehungsG (SCHLUCHTER)“. Wie es dazu kam, dass aus dieser Darstellung des Herausgebers Schluchter der 24. Band in der Abteilung I („Schriften und Reden“) der Max Weber Gesamtausgabe (MWG) werden konnte, geht aus dem Band selbst nicht hervor. Im gedruckten, sechsten Prospekt der MWG jedenfalls endete die Zählung noch mit Band 23, der als „Wirtschaft und Gesellschaft. Soziologie. Unvollendet 1919-1920“ angekündigt war. Dass der hier zu rezensierende Band in den Kontext der MWG gehört, steht außer Frage – ob er allerdings nicht korrekter im allgemeinen Programm des Verlags Mohr Siebeck untergebracht gewesen wäre, ist diskutabel.
Eine Separatpublikation hätte sich umso mehr angeboten, gibt es doch dort bereits ein Buch von Johannes Winckelmann, der sich schon vor 24 Jahren mit der gleichen Thematik auseinandersetzte, auch und gerade weil er zu völlig anderen Ergebnissen als Schluchter kam, worauf noch eingegangen wird. Es wäre also ein großes verlegerisches Verdienst gewesen, wenn anstelle dieser Monografie Schluchters ein Sammelband vorgelegt worden wäre mit qualifizierten Beiträgen, die sich bislang mit der Frage nach dem editorischen Schicksal von „Wirtschaft und Gesellschaft“ auseinandergesetzt haben. Dabei hätte der Tübinger Hausverlag der Weber’schen Schriften seit 1895 durchaus mit Schluchters autoritativer Darstellung anheben können, wirklich überzeugend wäre es jedoch gewesen, auch die alternativen Darstellungen von Johannes Winckelmann, Hiroshi Orihara, Wolfgang J. Mommsen und M. Rainer Lepsius dazuzugesellen, so dass sich die interessierte Wissenschaftsöffentlichkeit ein umfassend informiertes Bild vom Kampf um die Ordnung der hinterlassenen Manuskripte machen könnte.
Insgesamt verfolgt Schluchter mit dem hier vorzustellenden Buch zwei Ziele: Zum einen sich von der Editionsstrategie sowohl der ersten Herausgeberin von „Wirtschaft und Gesellschaft“ (Ersterscheinung 1922), Marianne Weber, als auch und vor allem von der Fassung ihres Nachfolgers in dieser Rolle, Johannes Winckelmann, zu verabschieden; zum anderen (erneut) zu begründen, warum aus dem einstigen „Hauptwerk“ Max Webers, dessen „opus magnum“ (Winckelmann), für die MWG eine Serie von mehreren Bänden gemacht wird, von denen bislang erst vier erschienen sind: „Gemeinschaften“ (MWG I/22-1) (siehe literaturkritk.de 4/2006), „Religiöse Gemeinschaften“ (MWG I/22-2), „Herrschaft“ (MWG I/22-4) (siehe literaturkritk.de 4/2006) und „Stadt“ (MWG I/22-5); weiterhin sind angekündigt „Recht“ (MWG I/22-3), ein Registerband (MWG I/22-6) und der bereits genannte Band 23 („Soziologie“). Die Entscheidung zu begründen, aus einem Werk eine Serie von Einzelbänden zu machen, ist das eigentliche Thema von Schluchters Buch. Diese bereits vor Jahrzehnten beschlossene Editionspolitik der MWG soll nochmals durch ihn abgesichert werden, indem die Entstehungsgeschichte des Sammelwerks insgesamt, als auch die von Max Webers Hauptbeitrag nachgezeichnet und anhand einschlägiger Dokumente belegt zu werden, versucht wird.
Mit der hier anzuzeigenden Monografie Schluchters wird zugleich dem Lebensinhalt des Weber-Forschers Johannes F. Winckelmann eine endgültige Absage erteilt. Dem Privatgelehrten Winckelmann (Jahrgang 1900) war es im November 1960 gelungen, mit der Unterstützung einzelner, interessierter Gelehrter an der Münchner Universität, das „Max-Weber-Archiv“ am Soziologischen Institut der Universität München zu gründen, das im Juni 1966 in „Max Weber Institut“ umbenannt wurde. Es diente als Sammel-, Forschungs- und Begegnungsstätte für die nationale und internationale Max-Weber-Forschung. Nach seinem konfliktbeladenem Ausscheiden aus dem Universitätskontext im Jahr 1975 nahm Winckelmann seine Tätigkeit als Privatgelehrter wieder auf und konzentrierte sich ganz auf die Weiterarbeit an Webers Hauptwerk „Wirtschaft und Gesellschaft“. Die Funktion und Struktur seines Instituts konnte nicht erhalten werden, allerdings boten dessen Bestände die materielle Grundlage zur Herausgabe der MWG, wobei die Bestände zwischen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Bayerischen Staatsbibliothek aufgeteilt wurden. Ab 1976 fungierte Winckelmann als Mitglied der Abteilung für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Akademie und wurde dort als wissenschaftlicher Berater bei der neu gegründeten Arbeitsstelle der Max-Weber-Gesamtausgabe als Mitherausgeber bestellt. Winckelmanns Aufgabe in seinen letzten Lebensjahren war die unermüdliche Arbeit an einer Publikation über die ultimative Gestaltung des „Lebenswerks“ von Max Weber, eben „Wirtschaft und Gesellschaft“. Buchstäblich sein Leben für diese Aufgabe aufs Spiel zu setzen, war der über 80jährige Winckelmann bereit, der am 21.11.1985 in einem Wohnstift in Bad Dürrheim starb – kurz vor Erscheinen des Buches, das posthum publiziert wurde: „Max Webers hinterlassenes Hauptwerk: Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte. Entstehung und gedanklicher Aufbau.“ (1986).
Nach jahrelangem Umwerben wurde Weber im Jahr 1908 von dem Tübinger Verleger Paul Siebeck als Herausgeber eines geplanten Sammelwerkes gewonnen, das ab 1914 unter dem Titel „Grundriß der Sozialökonomik“ firmierte. Erhebliche Verzögerungen bei der Abgabe der bei den wirtschaftswissenschaftlichen Fachkollegen bestellten Beiträge und ihn qualitativ enttäuschende Resultate motivierten Weber dazu, insgesamt mindestens zehn weitere Beiträge, teilweise mit anderen Autoren zusammen, selbst übernehmen zu wollen. Für die dritte Abteilung, die insgesamt „Wirtschaft und Gesellschaft“ überschrieben werden sollte, waren ursprünglich zwei Teile geplant: einer vom „Schriftleiter“ Max Weber selbst über „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte“ und einer von Eugen von Philippovich – seinem Lehrstuhlvorgänger in Freiburg – über den „Entwicklungsgang der wirtschafts- und sozialpolitischen Systeme und Ideale“. Im „Vorwort“ zum gesamten Unternehmen charakterisierte Weber die Zielrichtung seines eigenen Beitrags: „Ausgiebiger, als dies gewöhnlich geschieht, sind […] die Beziehungen der Wirtschaft zur Technik und ebenso zu den gesellschaftlichen Ordnungen behandelt worden. Und zwar absichtlich so, daß dadurch auch die Autonomie dieser Sphären gegenüber der Wirtschaft deutlich hervortritt: Es wurde von der Anschauung ausgegangen, daß die Entfaltung der Wirtschaft vor allem als eine besondere Teilerscheinung der allgemeinen Rationalisierung des Lebens begriffen werden müsse.“ Im Jahr 1914 erschien der erste Band des „Grundriß“. Der Erste Weltkrieg bedingte, dass der letzte von insgesamt zwölf Bänden erst 1930 veröffentlicht wurde, zehn Jahre nach Webers Tod am 14. Juni 1920. Obwohl Weber bis kurz davor geradezu besessen daran arbeitete, konnte er nur noch die ersten 180 Seiten für den Druck selbst vorbereiten. Alle „vollständigen“ Ausgaben erschienen posthum und wurden von den jeweiligen Herausgebern, zuerst Marianne Weber – zusammen mit Melchior Palyi – und ab 1956 Johannes F. Winckelmann, aus dem Nachlass komponiert und dabei – teilweise erheblich – redaktionell bearbeitet.
Ein Hauptwerk der Soziologie wurde mehrfach konstruiert
Diese Zusammenhänge muss man kennen, um zu verstehen, was im Rahmen der MWG mit dem ehemaligen Buch WuG geschehen ist. Was bislang mit diesem Titel in einem Band (Erstausgabe 1921/22 bei Mohr-Siebeck; Studienausgabe 1972 bei Mohr-Siebeck), in zwei Bänden (2. bis 4. Auflage 1925 bis 1956 bei Mohr-Siebeck; Studienausgabe 1964 bei Kiepenheuer & Witsch) oder in drei Bänden („Gesamtausgabe“ 5. Aufl. 1976 bei Mohr-Siebeck) auf den Regalen steht, wird nunmehr in seine einzelnen Schichten und Abschnitte zerlegt und „historisch-kritisch“ aufbereitet.
Dabei stellen sich einige grundsätzliche Probleme, auf die Schluchter detailliert eingeht: Max Weber hatte den (bisherigen) Teil II von WuG – den „älteren“ – bis zum Jahr 1913 niedergeschrieben und war nicht mehr zu dessen endgültiger Überarbeitung gekommen; den (bisherigen) Teil I – den „jüngeren“ – verfasste er in den Jahren 1918-1920 und redigierte einen Teil davon bis in das Stadium der Druckfahnen. Webers Absicht insgesamt war es, die Stoffmassen aller von ihm bearbeiteten Themen für WuG zu verwenden, zu ordnen und umzuschreiben. Der historisch ältere Teil II bestand in der bisherigen Fassung aus neun Kapiteln, die sich folgendermaßen überschreiben lassen, – falls man dabei die (anachronistisch-heutige) Spezialisierung soziologischer „Teilgebiete“ zugrunde legen möchte:
Wirtschaftssoziologie (Kap. II, Kap. III, Kap. VI)
Soziologie sozialer und politischer Aggregate (Kap. IV)
Religionssoziologie (Kap. V)
Rechtssoziologie (Kap. I, Kap. VII)
Politische Soziologie (Kap. VIII, Kap. IX).
Beim Versuch, die Ergebnisse seiner über Jahrzehnte angehäuften, universalhistorischen vergleichenden Untersuchungen systematisch zusammenzufassen und in den Rahmen einer sozialökonomischen Theorie einzuordnen, verfasste Weber Teil I von WuG, der zu den bekanntesten und wirkungsvollsten Texten Webers gehört und zumeist unter der von Marianne Weber gewählten Bezeichnung „Soziologische Kategorienlehre“ behandelt wird, für die Weber selbst jedoch den Titel „Allgemeine Soziologie“ vorgezogen hätte.
Das ehemalige Buch WuG, das in zahllosen Übersetzungen als ein Hauptwerk der internationalen Soziologie firmiert, wird seit Begründung des Unternehmens der MWG im Jahr 1976 als Bände 22 und 23 in der „Abteilung I“ angekündigt. Diese Dekonstruktion wird von den derzeit dafür verantwortlichen Herausgebern (Horst Baier, Gangolf Hübinger, M. Rainer Lepsius, Wolfgang Schluchter) in ihren „Allgemeinen Hinweisen“, die jedem der Teilbände vorangeschickt wird, ausführlich erläutert. Ihr Vorgehen begründen sie vor allem mit dem Hinweis, dass – außer quantitativ unbedeutenden Resten – weder Manuskript noch Druckfahnen vorliegen, von Weber selbst „keine letztgültige Disposition überliefert [sei], und die im Nachlaß vorhandenen Texte befanden sich in einem zum Teil fragmentarischen Zustand.“
Seit dem Jahr 1920 gab es also viele Konstruktionsmöglichkeiten der bisherigen Herausgeber, die diese – mit den jeweils besten Absichten – nutzten. Bereits bisher hatten die Herausgeber der MWG mit ihrer Vorgehensweise eine zumindest dialektisch zu nennende Absicht verfolgt: „Durch die Publikation der nachgelassenen Texte zu ‚Wirtschaft und Gesellschaft‘ in verschiedenen, thematisch homogenen Bänden soll nicht der Eindruck erweckt werden, es handele sich um eine Sammlung von unverbundenen Texten, gewissermaßen um Darstellungen von ‚speziellen Soziologien‘. Auch wenn einige Texte den Charakter umfangreicher Monographien annahmen, so waren sie doch von Weber im Zusammenhang seines Projekts ‚Wirtschaft und Gesellschaft‘ entworfen.“ Mit der nun vorliegenden Darstellung des Herausgebers Schluchter, der in den überaus verwirrend geordneten Fußnoten hinreichend Gelegenheiten findet, auf seine eigenen Arbeiten hinzuweisen, kann man nachlesen, mit welchen historischen und sachlichen Argumenten die Dekonstruktion eines der bisherigen „Hauptwerke“ der Soziologie begründet wird. In der Quintessenz lauten die Argumente programmatisch so: „Es handelt sich vielmehr um Texte unterschiedlicher Provenienz zu einem Projekt, das unvollendet blieb und in der Zeit von 1910 bis 1920 seine Gestalt mehrmals veränderte. Wir sehen uns also keinem Buch, sondern einem Projekt in mehreren Fassungen gegenüber, von denen aufgrund der Überlieferungslage heute allerdings nur noch die neue von der alten Fassung eindeutig unterschieden werden kann.“
Dem Schluchter’schen „Vorwort“ und seiner daran anschließenden 130seitigen Monografie hinzugegeben ist eine Vielzahl von Dokumenten, die die diversen Stadien der allmählichen Entstehung des „Handbuches/Grundrisses der politischen Ökonomie/Sozialökonomik“ widerspiegeln und vor allem die energische Stimme des „Schriftleiters“ Max Weber und seiner Korrekturen in den Beiträgen seiner Kollegen erkennen lassen. Niemand, der sich mit Webers (angeblichem) „Hauptwerk“ in wissenschaftlicher Manier auseinandersetzen will, wird an der Darstellung Schluchters vorbeikommen, – auch wenn er sie unter den Schriften Webers suchen muss. Insgesamt stellt sich für den fachkundigen Beobachter der laufenden Arbeiten an der MWG allmählich die Frage, welche Verbindlichkeit die ursprünglichen Editionsregeln, wie sie in jedem Band seit Erscheinen des ersten Bandes im Jahr 1984 unverändert abgedruckt werden, nach dem Tod von Wolfgang J. Mommsen (2004) noch haben. Musste für Band I/1 schon notiert werden, dass das bis dato geltende „Chronologieprinzip“, wie es in den Editionsregeln formuliert ist, durchbrochen wurde (siehe literaturkritik.de 2/2010), so muss nun festgehalten werden, dass nicht einmal der erste Satz aus den Editionsregeln mehr absolute Gültigkeit hat, der da lautet: „In der Max Weber-Gesamtausgabe werden die veröffentlichten und die nachgelassenen Texte und Briefe Max Webers mit Ausnahme seiner Exzerpte, Marginalien, Anstreichungen oder redaktionellen Eingriffe in die Texte anderer wiedergegeben.“ Von der Aufnahme der Darstellungen anderer Autoren, die damit kanonisiert werden sollen, war bislang nicht die Rede.
Arbeiterfrage, Arbeiterbewegung und Sozialismus: Viele Stichwortzettel und eine Vorlesungsnachschrift
Mit dem soeben erschienenen Band zu den Vorlesungen Webers über „Arbeiterfrage und Arbeiterbewegung“ stellt Rita Aldenhoff-Hübinger, Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, erneut ihre Meisterschaft als Herausgeberin der Schriften Webers unter Beweis. Wie schon mit dem Band über „Agrarrecht, Agrargeschichte, Agrarpolitik“ (MWG III/5 vgl.siehe: literaturkritik.de 08/2008) bedeutet allein die Entzifferung der handschriftlichen Notizen Webers eine kaum zu überschätzende Leistung für die Weber-Forschung. Wiederum sei die Leserschaft, die noch nie mit einem der Manuskripte Webers zu tun hatte, wenigstens auf die Seiten 72 und 73 verwiesen: Links sieht man die Transkription, rechts die Originalvorlage Webers. Es liegt keineswegs am schwachen Druckbild der faksimilierten Reproduktion, es liegt vor allem an Webers unzumutbarer Schrift und seinen sehr persönlichen Abkürzungen, Schwierigkeiten damit zu haben, aus „Arb.Fr.“ so ohne weiteres „Arbeiterfrage“ zu machen. Schon in seiner Zeit als Referendar beim Berliner Kammergericht, in der er bei Zeugenvernehmungen ausgiebig Protokoll führen musste, verschlechterte sich Webers Handschrift „zu so hieroglyphenhafter Unleserlichkeit“, dass verschiedentlich Zeugenvernehmungen wiederholt werden mussten, was den Protokollanten Weber bald von diesen lästigen Pflichten befreite.
Dabei ist wahrlich nicht nur die Dechiffrierungsleistung der Herausgeberin zu loben, bei der sie auf die bewährte Mithilfe der Düsseldorfer Arbeitsstelle der MWG, allen voran Manfred Schön, setzen konnte. Wissenschaftlich wesentlich beeindruckender ist erneut die Leistung, die sich in der sorgsamen Kommentierung, Annotation und den zahlreichen, notwendigen Korrekturen der Weber’schen Ausführungen niederschlägt. Man kann nur hoffen, dass solch selbstlose Arbeit, bei der die Person, die sie geleistet hat, vollkommen hinter das Werk eines anderen tritt, das es zu edieren gilt, vom Wissenschaftssystem honoriert wird. Diese Editorin jedenfalls hebt sich mit ihren bisherigen Arbeitsergebnissen wohltuend von jenen Entwicklungen ab, bei denen es gelegentlich so zu sein scheint, als ob die Auseinandersetzung mit den Arbeiten Webers eher der Selbststilisierung seiner Darsteller dient als der ernst gemeinten Vermittlung dessen, was Weber selbst zu sagen suchte.
Was findet sich nun im hier anzuzeigenden Band? Es handelt sich um die Edition der Manuskripte einer Vorlesung, die Weber einmal unter der Ankündigung „Die deutsche Arbeiterfrage in Stadt und Land“, ein anderes Mal als „Arbeiterfrage und Arbeiterbewegung“ in Freiburg (1895) und danach in Heidelberg (1898) jeweils im Sommersemester angeboten und gelesen hat. Die Manuskripte befinden sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin. Zugefügt ist zudem eine Nachschrift von unbekannter Hand der Freiburger Vorlesung, in der ein erkennbar fleißiger Hörer die teilweise improvisierten Ausführungen Webers in wohlformulierte, vollständig ausgeführte Sätze umwandelte. Diese „Kladde“, deren faksimiliertes Titelblatt dem Band beigegeben wurde, weist eine überaus sorgfältige, geradezu kindliche Handschrift aus und wurde 1988 von Max Weber-Schäfer, einem der vier Adoptivkinder Marianne Webers, aus deren Nachlass in der Bayerischen Staatsbibliothek München deponiert.
Diese Nachschrift, die selbstverständlich nicht als Text Max Webers gelten kann, belegt zusammen mit den Vorlesungsnotizen, dass es Weber im Kern einerseits um die Entwicklung der Arbeiterfrage in sozialhistorischer Hinsicht zu tun war und andererseits um eine Analyse der Arbeiterbewegungen und des Kommunismus in historisch-systematischer Perspektive. Die Arbeiterfrage erfasste Weber als das Zusammenwirken von Arbeitsverfassungen und sozialen Bewegungen. Insgesamt gliedert sich die Vorlesung in zwei Kapitel: Im ersten Kapitel, in dem es um die „Vergangenheit der Arbeiterfrage“ geht, untersucht Weber die Grundtypen der Arbeitsverfassung unter Betonung seiner idealtypischen Unterscheidung von „freier“ und „unfreier“ Arbeit. Dabei behandelt er zunächst die jeweilige konkrete Ausprägung und Entwicklung im Altertum und im Mittelalter, daran anschließend die Entstehung und Entwicklung der freien Lohnarbeiterschaft in Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Im anschließenden Kapitel „Arbeiterbewegung“ setzt Weber sich vergleichend mit der Dogmengeschichte und den Theoretikern des Sozialismus in Deutschland, Frankreich und England auseinander sowie mit den von ihnen begründeten oder geprägten Arbeiterbewegungen und Parteien. Dabei schlägt er einen großen gedanklichen Bogen vom Bund der Kommunisten über die Allgemeine Deutsche Arbeiterverbrüderung, über Ferdinand Lassalle und die deutsche Sozialdemokratie, die Erste Internationale und den Anarchismus bis hin zur internationalen Entwicklung der Gewerkvereine seiner Gegenwart. Vor allem Webers intensive Auseinandersetzungen mit den Frühsozialisten, dem Werk von Karl Marx und dem Sozialismus als Gesellschaftslehre dokumentieren eindrucksvoll, wie informiert und kritisch der junge Ordinarius für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft sich mit dieser Ideenwelt auseinandersetzte.
In seiner Vorlesung über die Arbeiterfrage stehen seine Beschäftigung mit den Entwicklungstendenzen der Proletarisierung der Arbeiterschaft und der Entpersönlichung der Herrschaft im modernen, rationalen Betriebskapitalismus im Zentrum. Gerade Webers ausführliche Behandlung der gewerkschaftlichen und politischen Bewegungen und Organisationen belegen sein leidenschaftliches Interesse an der Selbstmobilisierung der Lohnarbeiterschaft in der Moderne. Sie bestätigt erneut, wie skeptisch Weber gegenüber jeder patriarchalischen Bevormundung der Arbeiterschaft eingestellt war, wie sie nicht zuletzt auch im Verein für Socialpolitik immer wieder propagiert wurde.
Doch der Band bietet, vor allem in der ausführlichen „Einleitung“ der Herausgeberin, sehr viel mehr als die makellose Reproduktion der Weber’schen Notizen. Nach einer knappen, allgemeinen Charakterisierung der Vorlesungen findet sich ein überaus informativer Abschnitt über die generelle Behandlung der Arbeiterfrage und Arbeiterbewegung in der akademischen Lehre. Diesem Abschnitt folgt ein umfangreicher Abschnitt, der sich in Bezug auf Webers Lehre zur Arbeiterfrage mit seinen Studenten in Freiburg und Heidelberg auseinandersetzt, der Anlage seiner Vorlesungen, seinem kritisch-produktiven Umgang mit Karl Marx und dessen Werk, Webers gesellschaftspolitischem „Leitbild“ und den Bezügen zu den späten Vorlesungen Webers.
Insgesamt dokumentiert die Edition seiner Vorlesungen zu Arbeiterfrage und Arbeiterbewegung erneut, welch engagierter und gewissenhafter akademischer Lehrer und Betreuer von Doktoranden Weber war. Der Herausgeberin hat die Gemeinde der internationalen Weber-Forschung für die akribische Aufbereitung der Manuskripte, die hoch informative Einleitung, die präzisen Editorischen Vorbemerkungen, das Verzeichnis aller Personen, die in den Manuskripten Webers und der erwähnten Vorlesungs-Nachschrift erwähnt werden, das erläuternde Glossar, das Verzeichnis der von Weber zitierten Literatur, die Register und ein chronologisches Verzeichnis aller Vorlesungen Webers im Zeitraum 1892 bis 1920 großen Dank abzustatten. Zu erwähnen ist zudem, dass der komplette Text dieses Bandes als PDF-Datei auf einer beigelegten CD-ROM zu Suchzwecken beigefügt ist.
Resteverwertung aus einem gescheiterten Unternehmen
Nicht seines Inhalts wegen ist jenes Bändchen sonderlich bedeutsam, das insgesamt zehn Studien des Neuzeithistorikers Hartmut Lehmann zu Themen von Max Weber sammelt. Es ist seine indirekte Botschaft, die bemerkenswert ist. Sie lautet: Ein großes Forschungsvorhaben, das fast zehn Jahre lang mit nicht unerheblichen öffentlichen Mitteln finanziell ermöglicht wurde, ist gescheitert. Doch bevor darauf kursorisch eingegangen wird, zuerst ein paar knappe Andeutungen zum Inhalt des Büchleins selbst.
Vier der zusammengestellten Texte geben Vorträge wieder, die Lehmann im Zeitraum von 2004 bis 2007 an unterschiedlichen Orten gehalten hat, sieben der Texte wurden bereits in diversen Sammelbänden und einem Ausstellungskatalog im gleichen Zeitraum veröffentlicht, nur drei Texte wurden bislang nicht publiziert. Alle Texte kreisen einigermaßen mäandernd um ein Thema: die „Entzauberung der Welt“, wie sie Weber am prägnantesten sowohl in der Druckfassung seiner legendären Rede über „Wissenschaft als Beruf“ von 1919 als auch in der Endfassung seines berühmten Textes über „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ von 1920 formuliert hat. Die klassische, immer wieder zitierte Passage aus der Rede lautet: „Es ist das Schicksal unserer Zeit, mit der ihr eigenen Rationalisierung und Intellektualisierung, vor allem: Entzauberung der Welt, daß gerade die letzten und sublimsten Werte zurückgetreten sind aus der Öffentlichkeit […]“. Lehmann kreist in mehrfachen, einigermaßen redundanten Variationen um dieses Thema, indem er beispielsweise nachzuweisen sucht, dass Weber diesen Begriff möglicherweise vom niederländischen Theologen Balthasar Bekker (1634-1698) übernommen hat, zum anderen, dass „today’s Weber scholars in the social sciences“ mit dem Begriff des re-enchantment, den Weber nie verwendet habe, ein fehlgeleitetes und uninformiertes Interesse an Weber verfolgen würden. Dabei kritisiert er vor allem mehrfach Wolfgang Schluchter, beispielsweise wegen seiner These, dass Weber der Begriff der „Entzauberung der Welt“ bereits vor 1913 vertraut gewesen sei, dieser dafür aber keine empirischen Belege präsentiere. Schon aus dem knappen Zitat wird deutlich, dass einige der hier zusammengestellten Beiträge – insgesamt vier – unverändert in englischer Sprache abgedruckt werden. Um nicht zu unfreundlich über diese Kompilation wilder Spekulationen, rechthaberischer Korrekturen, unbelegter Behauptungen, erheblicher Wiederholungen und nur noch erheiternder Ausflüge in banale Alltagsansichten („Die bekanntesten bekennenden Christen unter den Fußballspielern sind derzeit vielleicht die Brasilianer Zé Roberto und Lucio von Bayern München“) urteilen zu müssen, sei der Blick auf eine ganz andere Botschaft dieses elften Bandes in der von Hartmut Lehmann selbst herausgegebenen Reihe „Bausteine zu einer Europäischen Religionsgeschichte im Zeitalter der Säkularisierung“ gelenkt.
Die Botschaft bezieht sich nämlich darauf, dass mit diesem Sammelbändchen der ehemals designierte Herausgeber der beiden einschlägigen Bände über die Kulturbedeutung des Protestantismus im Rahmen der MWG nun endgültig die Vorratskammer seiner Forschungen der vergangenen Jahrzehnte leergeräumt zu haben scheint. Im oben bereits erwähnten, sechsten Prospekt der MWG steht er noch als Editor von Band I/9 („Asketischer Protestantismus und Kapitalismus. Schriften und Reden 1904-1911) und von Band I/18 („Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus / Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. Schriften 1904-1920). In der aktuellen Internet-Ausgabe der Ankündigung des Verlags findet sich der Name von Wolfgang Schluchter als Herausgeber dieser beiden Bände, mit dem Zusatz „In Planung“. Was steckt dahinter?
An dieser Stelle soll der nicht so informierten Wissenschaftsöffentlichkeit wenigstens angedeutet werden, welche Zufälligkeiten und Machtkämpfe hinter den Kulissen der MWG ihre zuweilen entscheidenden Rollen spielen. In aller gebotenen Kürze sei hier eine knappe und immer noch einigermaßen diskrete Rekapitulation der kurvenreichen – und keineswegs abgeschlossenen – Geschichte der weltweit berühmtesten Texte Webers im Rahmen der MWG geboten. Dass die Herausgabe der diversen Texte Webers zum Thema „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ (PE) aus dem Zeitraum 1904/06 bis 1920 zu den wahrscheinlich bedeutendsten Aufgaben im Rahmen der MWG gehört, wird kaum zu bestreiten sein. Und so fiel es auch dem interessierten Publikum auf, als im Jahr 2004, in dem sich das Ersterscheinen dieser Texte zum 100. Mal jährte, zwar eine vollständige Ausgabe der einschlägigen Texte im Verlag C.H. Beck erschienen war, jedoch keiner der seit 1974 angekündigten beiden Bände im Rahmen der MWG präsentiert wurde.
Warum das so war erklärt sich aus einer einigermaßen kurvenreichen Entwicklung seit den frühen 1980er-Jahren. Damals nämlich war der Tübinger Soziologe Walter M. Sprondel (Jahrgang 1938) seitens der damaligen Hauptherausgeber designiert worden für eben die Aufgabe der Herausgeberschaft. Qualifiziert hatte sich Sprondel für diese Aufgabe nicht zuletzt durch seine jahrelangen Weber-Forschungen und die Mitherausgabe des einschlägigen Bandes zu „Studien zur Protestantismus-Kapitalismus-These Max Webers“ im Suhrkamp-Verlag aus dem Jahre 1973. Sprondel, ebenso wie sein Tübinger Soziologie-Kollege und Mitherausgeber Constans Seyfarth (Jahrgang 1941) – beides ehemalige Wissenschaftliche Mitarbeiter von Johannes Winckelmann in München – jedoch fielen bei den beiden Hauptherausgebern, Horst Baier und Wolfgang J. Mommsen, wegen angeblich mangelnder historischer Qualifikation in Ungnade. Die Winckelmann-Schüler wurden ausgeladen, an ihrer Stelle bekam ein Studienfreund Mommsens aus dem Schülerkreis von Theodor Schieder, Hartmut Lehmann, die ehrenvolle Aufgabe der Edition der PE übertragen. Was war die spezifische Qualifikation des Spezialisten für historische Pietismus-Forschung für eine Weber-Edition, außer seiner Freundschaft mit einem der MWG-Herausgeber?
Lehmann, Autor einer Kölner Habilitationsschrift über „Pietismus und weltliche Ordnung in Württemberg vom 17. bis zum 20. Jahrhundert“ von 1967, hatte im Jahr 1972 in der „Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte“ einen kleinen Aufsatz publiziert, in dem er nachzuweisen versuchte, dass Max Weber sich mit einer Nebenbemerkung in der PE über den Pietismus im württembergischen Calw – wo Lehmann in die Schule gegangen ist – gründlich geirrt hatte, weswegen er Weber „inadäquates Quellenstudium“ attestierte. Diese grundsätzlich kritische und historistische Position Lehmanns zu Weber schien Mommsen als hervorragend geeignet, seinem Freund aus gemeinsamen Kölner Assistentenzeiten die Monumentalaufgabe der Herausgeberschaft der PE im Rahmen der MWG zu übertragen. Lehmann, damals von seinem Lehrstuhl an der Universität Kiel beurlaubt, da er das Amt des Gründungsdirektors des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Washington D.C. übernommen hatte – das er von 1987 bis 1993 innehatte – war wenig angetan von dieser Anforderung seines Freundes. Statt sich selbst an die Arbeit zu machen, bat er einen Doktoranden, sich dieser Aufgabe von Kiel aus anzunehmen. Finanziert wurde das Vorhaben durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die generell den Löwenanteil der Finanzierung der Editionsarbeiten an der MWG bis zum heutigen Tag getragen hat. Als Lehmann nach seiner Washington-Zeit, während der er im Jahr 1990 zusammen mit dem Weber-Forscher Guenther Roth eine internationale Konferenz über die PE an seinem DHI organisierte – aus der ein wichtiger Sammelband über die PE bei Cambridge University Press hervorging – nicht mehr nach Kiel zurück kam, sondern im Jahr 1993 direkt nach Göttingen ging, wechselten auch die Weber-Arbeitsstelle und der Mitarbeiter dorthin. Im Rahmen des berühmten Max Planck Instituts für Geschichte, dessen Direktor Lehmann geworden war, konnte man sich, später finanziert durch die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), ganz der Fortsetzung der mühseligen Editionsarbeit an der PE widmen.
Das nur sehr allmähliche Vorankommen bei der Editionsarbeit wurde ab 1996 immer stärker überschattet durch die anhaltenden Querelen um das zukünftige Schicksal des MPI für Geschichte. Das ehemalige Kaiser-Wilhelm-Institut für deutsche Geschichte, das sich von 1917 bis 1941 unter der Leitung von Paul Fridolin Kehr mit vier Aufgabenstellungen befasst hatte – die historisch-statistische Beschreibung der Kirche des Alten Reiches (Germania Sacra), die Edition der Briefe Kaiser Wilhelms I., die Bearbeitung der Korrespondenz Karls V. und die Durchforstung ausländischer Archive nach Materialien zur deutschen Geschichte – war 1956 als Max-Planck-Institut für Geschichte vor allem durch die Initiative des Historikers Hermann Heimpel wiederbegründet worden. Es war vor allem dem Präsidium der MPG klar, dass mit der zufälligerweise gleichzeitig bevorstehenden Emeritierung beider Direktoren, Otto Gerhard Oexle (Mittelalter) und Hartmut Lehmann (Neuzeit), die beide 2004 in den Ruhestand gehen würden, eine Grundsatzentscheidung über das weitere Schicksal dieses Instituts anstand. Ohne an dieser Stelle auf die Details der ganzen Geschichte eingehen zu wollen, die unter erheblicher, nationaler wie internationaler, medialer Begleitung und Kommentierung verlief – und bei der es eine geraume Zeit so aussah, als ob durch die Berufung des ehemaligen Mommsen-Schülers, Jürgen Osterhammel, nicht nur eine zukunftweisende Ausrichtung des MPI auf eine historisch fundierte Weltgeschichtsschreibung möglich geworden wäre, sondern der als Weber-Forscher auch das Unternehmen der Edition der PE in Göttingen zum Abschluss gefördert hätte – sei wenigstens das Ergebnis festgehalten: Am Ende wurde das MPI für Geschichte 2006 geschlossen und im Jahr 2007 ein MPI zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften ins Leben gerufen, das derzeit von den beiden Sozialwissenschaftlern Steven Vertovec und Peter van der Veer geleitet wird. Die historische Grundlagenforschung in der Geschichtswissenschaft aber hatte mit dieser Entscheidung des Präsidiums der MPG ihr renommiertes Göttinger Haus verloren.
Dieser Ausgang und die bitteren Kämpfe, die unter den Historikern selbst, zwischen Historikern und Sozialwissenschaftlern und zwischen diversen MP-Instituten, die ebenfalls um ihre Zukunft bangten, ausgetragen wurden, bedeuteten in jedem Fall auch die Beendigung des Editionsunternehmens der PE durch Lehmann und seinen Mitarbeiter. Letzterer hatte noch mit einer Entfristungsklage gegen die MPG das Forschungsvorhaben – und sein eigenes wissenschaftliches Weiterkommen – zu retten versucht. Am Ende des Rechtsstreits war das Institut aufgelöst, damit entfiel die Arbeitsgrundlage. Die Materialien, an denen seit 1991 gearbeitet worden war, wurden nach München gebracht, in die Redaktion der MWG zu der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Dort setzt nun die Evangelische Theologin und Musikwissenschaftlerin, Ursula Bube, die Editionsarbeit an den beiden Bänden der MWG fort, unter der Betreuung des Soziologen Wolfgang Schluchter.
Warum jedoch hatte Hartmut Lehmann, nach seiner Emeritierung im Jahr 2004, die Editionsarbeit, basierend auch auf den Ergebnissen der jahrelangen Forschung seines Bearbeiters, nicht fortgesetzt? Er wäre als Emeritus im Editorengremium nicht alleine gewesen: Von den derzeit insgesamt vier Hauptherausgebern sind drei bereits vor Jahren aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. Es lag nicht an Lehmann, sondern am Herausgebergremium. Ihm hatte Lehmann im Jahr 2005 einen ersten Entwurf seiner „Einleitung“ – in jedem Band der MWG von entscheidender Bedeutung – vorgelegt. Angesichts der Qualität dieses Textes und mit Blick auf die hervorgehobene Bedeutung der PE im Rahmen des Weber’schen Gesamtœuvres beschlossen die Hauptherausgeber – unter denen mittlerweile sein Freund Wolfgang J. Mommsen durch dessen Tod fehlte – ihn endgültig von der Herausgeberschaft zu entbinden. Die Einschätzung wurde kolportiert, Lehmann habe von Anfang an kein wirkliches Interesse an dem ganzen Weber-Unternehmen gehabt, zudem sei ihm diese Aufgabe über den Kopf gewachsen. Das hier anzuzeigende Bändchen macht die damalige Entscheidung nicht vollkommen unplausibel, es dokumentiert insgesamt das traurige Ende eines gescheiterten Unternehmens. Es weist zugleich darauf hin, wie erbittert der Kampf um Max Weber zuweilen ausgetragen wird. Die Geschichte der MWG, die schon bislang viel Geld und Lebenszeit von den daran Arbeitenden gebunden hat, bleibt auch weiterhin spannend, zumindest in der – insgesamt immer kleiner werdenden – Nische der internationalen Max-Weber-Forschung.
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