Individuelle Frauenfeindschaft und strukturelle Misogynie

Ein von Ute Oelmann und Ulrich Raulff herausgegebener Sammelband gruppiert „Frauen um Stefan George“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass Stefan George alle anderen überragte, zumal alle Frauen, ist unbestritten – wenn auch nur im heutzutage nicht mehr allzu großen Kreise seiner Jünger.

Versinnbildlicht wird die ,überragende Persönlichkeit des Meisters‘ nun auf dem Schmutzumschlag eines von Ute Oelmann und Ulrich Raulff herausgegebenen Sammelbandes, dessen Titel „Frauen um Stefan George“ zwar verspricht, nicht ihn, sondern sie zu thematisieren, zugleich aber signalisiert, dass er es ist, der im Zentrum (des Interesses) steht. Drei dieser Frauen gruppiert eine Collage um den über sie hinwegschauenden Mann und ,Meister‘.

Die um George drapierte weibliche Trias bilden Fine von Kahler, Erika Schwartzkopff und Ida Coblenz. Kahler wird von Barbara Picht in einem Beitrag mit dem Titel „Verliebt – verglaubt – verhofft“ vorgestellt, ihren Aufsatz zu Schwartzkopff stellt Carola Groppe unter die Überschrift „Bildung, Beruf und Wissenschaft“ und Elisabeth Höpker-Herberg legt diverse „Zeugnisse“ zum „George-Erlebnis“ der auf dem Titelblatt so versonnen dreinschauenden Ida Coblenz vor. Weitere Beiträge gelten Sabine Lepsius, die von Annette Dorgerloh als „starke Persönlichkeit“ vorgestellt wird, „die ihre Meinung offensiv vortrug und Konflikte nicht scheute“, Gertrud Kantorowicz, die als einzige Frau unter mehr als fünfzig Männern an den „Blätter[n] für die Kunst“ mitwirkte (Michael Philipp), Gertrud Simmel, die Mitherausgeberin Oelmann „im Gespräch mit Stefan George“ zeigt, oder Elisabeth Salomon, deren „Rollenzuschreibungen“ als „Philine und Diotima, Hetäre und Heldin“ Gunilla Eschenbach nachgeht.

Jürgen Egyptien erörtert die „persönlichen Beziehungen“, die „Dichtungstheorie“ und den „Weiblichkeitsentwurf“ von Margarete Susman, die aufgrund ihrer „eigenen Entscheidung“ zwar „niemals zum George-Kreis gehört[e], jedoch „Georges Werk zeitlebens mit großem Interesse und Respekt verfolgt[e]“. Egyptien stellt sie als „Figur“ vor, „die in hohem Maße über die historische und zeitgenössische Rolle der Frau und die Perspektiven der Frauenbewegung nachgedacht hat“. Als Belege nennt er etwa ihr auch heute noch ebenso bekanntes wie lesenswertes Buch über „Frauen der Romantik“, aber auch ihren eher vergessenen, 1918 gehaltenen Vortrag „Die Revolution und die Frau“ sowie das 1926 veröffentlichte Essay „Das Frauenproblem und die gegenwärtige Welt“. Insbesondere die letzten beiden Texte werden vom Autor kurz dargestellt und beleuchtet.

Doch gelten durchaus nicht alle Beiträge bestimmten Frauen. Vorangestellt sind den personenbezogenen Aufsätzen zwei Texte von Ernst Osterkamp und Jan Andres, die sich mit „Frauen im Werk Stefan Georges“ befassen (Osterkamp) beziehungsweise „Thesen zur strukturellen Misogynie des George-Kreises“ aufstellen (Andres). Die „Frauenfeindschaft“ des George-Kreises und seiner Angehörigen manifestierte sich letzterem zufolge nicht so sehr in den „individuellen Beziehungen“, welche die Herren der Runde zu Angehörigen des ,anderen Geschlechts‘ pflegten, „sondern vielmehr auf einer grundsätzlichen Ebene, die auf die Geschlechtlichkeit, das soziale Geschlecht, zielte, die dem Kreis fremd sein sollte.“ Die Belege, die Andres für seine „leitende Annahme, dass nicht die Männer des Kreises in ihrer Gesamtheit misogyn waren“ vorlegt, sind allerdings von nicht sonderlich großer Überzeugungskraft. An erster Stelle führt er beispielsweise an, dass „wichtige Kreismitglieder“ verheiratet waren. Als sei dies ein Indiz gegen Frauenfeindschaft. Das ist es natürlich mitnichten, zumal angesichts des damaligen überaus sexistischen Eherechts, das die Frau ganz in den Dienst des Mannes stellte und diesem darüber hinaus das Recht verlieh, sie zu vergewaltigen. „Statt von einer Frauenfeindschaft, die von individuellen Dispositionen ausgeht“, spricht Andreas jedoch lieber nur von einer „strukturellen Misogynie des Kreises“. Diese gab es zweifellos. Doch dass sie mit einer individuellen Misogynie seiner Mitglieder positiv korrelieren könnte und sich gerade Frauenfeinde von „Georges Reich der Kunst und Kulturpolitik“ sowie seinem „zutiefst unweibliche[n] Kultur- und Sozialmodell“, das „Frauen schlicht nicht vor[sah]“, angezogen gefühlt haben dürften, zieht Andres nicht hinreichend in Betracht. Statt dessen beschränkt er sich auf den Hinweis, deren „alltägliche Lebenspraxis mit Frauen“ habe „zum Teil erheblich anders aus[gesehen]“ als es die Ideologie des Kreises vorschrieb. Abschließend erörtert Andres, „warum die Kreismitglieder in Kauf nahmen, als misogyne Männerfreunde wahrgenommen zu werden.“ Tatsächlich scheint es allerdings keineswegs so zu sein, dass sie es bloß – billigend oder missbilligend – in Kauf genommen haben, sondern dass sie es geradezu darauf anlegten. Dies legen etwa die misogynen Ausfälle nahe, die in dem 1912 erschienenen dritten „Jahrbuch für geistige Bewegung“ unter dem Titel „verachtung des weibes“ publiziert wurden und im vorliegenden Band dem Beitrag von Mitherausgeberin Oelmann vorangestellt sind.

Nicht der individuellen beziehungsweise strukturellen Misogynie im George-Kreis geht Ernst Osterkamp nach, sondern derjenigen in Georges Werk. Unter der neutralen Überschrift „Frauen im Werk Stefan Georges“ hat er erwartungsgemäß wenig Gutes zu berichten. Wie der Autor darlegt, handelt es sich bei dem „Neue[n] Reich“ des ,Meisters‘ um den „poetische[n] Entwurf einer Welt, in der es keine Frauen gibt.“ Während „Frauen im Kreis geduldet“ waren – mehr aber auch nicht! – durften sie „in der poetischen Vision des Neuen Reichs keinen Platz haben“, es sei denn als „Reproduktionsheloten“. So stellt George „die Heilsgeschichte des Mannes unter den Stern der Erlösung vom ‚Weibe‘ und seiner kulturellen Leistungen schlechthin.“ In Georges „dichterische[r] Vision“ seiner „Reichsutopie“ ist „die Erlösung von der Moderne“, wie Osterkamp zeigt, „mit der Erlösung von Weiblichkeit identisch“ und das 1928 verfasste „poetische Testament“ des ,Meisters‘ ist zugleich ein „politisches Testament“, das in der „Auslöschung von Weiblichkeit“ gründet. Ohne Abstriche erkennt der Autor Georges „Geschlechtermetaphysik“ als ebenso „schrecklich“ wie „schrecklich banal“. Auch lässt er die von George-Adepten gerne vorgebrachten exkulpierenden Hinweise auf die wenigen „mildere[n] und differenzierte[n] Urteile Georges über die Ordnung der Geschlechter in Gesprächsaufzeichnungen“ nicht gelten.

Das Herausgeberinnen-Duo möchte in der den Beiträgen vorangestellten „Einführung in das Thema“ hingegen den vermeintlich „radikalen Vereinfachungen, die sein [Georges] Bild bis heute prägen“, entgegentreten und macht sich verdächtig, den notorisch frauenfeindlichen Kreis-Patriarchen vor dem Vorwurf der Misogynität retten zu wollen. Dies allerdings wäre ein verzweifelt hoffnungsloses Unterfangen. Zwar konzedieren sie, dass die George-Gedichte „Mit den frauen fremder ordnung“, „Die weltzeit die wir kennen schuf der geist“ und „Schweigt mir vom Höchsten Gut“ nicht nur „klischeehafte Elemente des Weiblichkeitsdiskurses des 18. und 19. Jahrhunderts“ fortschreiben, sondern überhaupt von einer „stark misogyne Haltung“ geprägt sind, deren „tropische[n] Gegensätze (Frau: Stoff / Mann: Geist etc.)“ es auch noch an Originalität mangelt. Dieser Art Lyrik und den „immer wieder ventilierten Äußerungen“ aus den publizierten George-Gespräche, in denen „Ablehnung und Ausgrenzung des ‚Weibes‘ aus Kultur, Wissenschaft und Staat“ dominierten, die Frauenemanzipation „verworfen“ und deren Anhängerinnen vorgeworfen werde, ihr „biologisches Schicksal verraten“ zu haben und ,entartet‘ zu sein, stehen – wenn man Oelmann und Raulff glaubt – jedoch Fakten entgegen, „die bis heute kaum zur Kenntnis genommen, geschweige denn systematisch erforscht“ worden sind. Etwa „die unbestreitbare Tatsache, dass es nicht wenige Frauen im direkten Umfeld Georges gab – und dass es sich bei ihnen fast ausnahmslos um intellektuelle Figuren handelt.“ So habe es im Umfeld Georges zwar einige „wenige Frauen“ gegeben, die „eine dienende Funktion“ hatten, doch hätten diesen „bewunderte und gefürchtete Verführerinnen“ gegenübergestanden. Die Dienerin und die Verführerin – zwei Weiblichkeitsklischees, die ungeachtet ihrer Gegenüberstellung allerdings nicht eben gegen die Misogynität des George-Kreises spricht.

Titelbild

Ulrich Raulff / Ute Oelmann (Hg.): Frauen um Stefan George.
Wallstein Verlag, Göttingen 2010.
293 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783835305137

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