„Rechtsordnung“, keine „Rechtskultur“
Ein weiterer Band der Max Weber-Gesamtausgabe ist erschienen
Von Dirk Kaesler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDas Geschenk
Im August 1923 hatte Marianne Weber, die Witwe und Nachlassverwalterin Max Webers, erneut Ärger mit dem Tübinger Verlag Mohr-Siebeck, dem Hausverlag ihres drei Jahre zuvor verstorbenen Mannes. Es ging, wie jedes Mal, ums Geld: Der Verlag zahlte ihrer Ansicht nach zu geringe Tantiemen. Marianne Weber brauchte dringend Geld, darum holte sie sich juristischen Rat und Beistand und wählte dafür einen ehemaligen Studenten ihres Mannes, Karl Löwenstein. Bereits zu Weihnachten 1920 wurde ein Ergebnis erzielt, das Marianne Weber zufrieden stellte, ein Fest wurde gefeiert, Löwenstein wollte keine Rechnung schreiben. Als Belohnung für seine Mühen übergab ihm Marianne Weber 50 Schweizer Franken, die er als Grundstock für eine Italienreise verwenden solle, und – als ihre „persönlichste Gabe“ – das hand- und maschinenschriftliche Manuskript der „Rechtssoziologie“ Max Webers. Dieser Text, so meinte sie, interessiere ihn sicher am meisten, auch schon deshalb, weil er – im Unterschied zum Manuskript der Religionssoziologie – zahlreiche handschriftliche Zusätze enthalte. Das umfangreiche Konvolut beinhaltete 138 maschinengeschriebene, handschriftlich von Max Weber bearbeitete Seiten, sechs Einlegeblätter mit Paragraphentiteln und Inhaltsübersichten von Max Webers Hand. Zu Recht ist es in der einschlägigen Literatur als „Collagenwerk“ charakterisiert worden.
Ab diesem Zeitpunkt gehörte es zum persönlichen Besitz Karl Löwensteins, der nach seiner dreijährigen aktiven Kriegsteilnahme von 1917 bis 1919 bei der Bayerischen Preiskontrollbehörde tätig war und sich danach als Rechtsanwalt in München verdingte und nebenbei ab 1931 eine Privatdozentur an der Münchner Universität innehatte. Aufgrund seiner als jüdisch definierten Herkunft wurde er 1933 ins Exil getrieben, lehrte 1934-36 Rechtswissenschaft und Politische Wissenschaft an der Yale University und anschließend am renommierten Amherst College in Amherst, Massachusetts. In den Jahren 1942-44 diente er als Berater des US-amerikanischen Generalstaatsanwalts und kehrte 1945 als juristischer Berater der US-amerikanischen Militärregierung nach Deutschland zurück. Im Rahmen eines Verfahrens nach dem Bundesentschädigungsgesetz erhielt er 1956 unter unwürdigen Umständen eine Professur an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München zugesprochen, unter der Bedingung, dass er sich für das Wintersemester 1956/57 bereits wieder beurlauben ließe und gleich anschließend seine endgültige Entlassung beantrage. Nach dieser erzwungenen Münchner „Emeritierung“ lehrte Karl Loewenstein – wie er sich seit seiner Zeit in den USA schrieb – bis 1961 in Amherst weiter und nahm gleichzeitig zahlreiche Gastprofessuren in aller Welt wahr, bis er im Juli 1973 in Heidelberg starb.
Karl Loewensteins wissenschaftliches Werk als Verfassungskomparatist und international anerkannter Kenner des ausländischen Verfassungsrechts war ganz wesentlich geprägt von den Ideen und Methoden seines ehemaligen Lehrers Max Webers, den er im Jahr 1912 in Heidelberg erstmals persönlich kennengelernt hatte. Über die Qualität seiner Beziehung schrieb er 1965, er sei mit Max Weber „acht Jahre lang bis zu dessen Tod befreundet“ gewesen, die Begegnung mit Max Weber sei „ein Wendepunkt“ seines Lebens gewesen, vom Moment des ersten Kennenlernens an sei er ihm „verfallen“ gewesen: „ich war sein Vasall geworden.“ Nach Max Webers Tod nahm Karl Loewenstein regelmäßig an Versammlungen teil, die Marianne Weber im Andenken an Max Weber veranstaltete. Sein Auftritt im Rahmen der Gedächtnisfeier an der Münchner Universität im Sommersemester 1964 zur 100. Wiederkehr des Geburtstags von Max Weber, wo er – neben seinen sehr persönlichen Erinnerungen an Max Weber – einen Vortrag über „Max Webers Beitrag zur Staatslehre in der Sicht unserer Zeit“ hielt – den er zu seinem Buch „Max Webers staatspolitische Auffassungen in der Sicht unserer Zeit“ (1965) ausbaute – markierte besonders eindrücklich diese Prägung. Seine Wertschätzung der Vorarbeiten seines verehrten Lehrers gipfelte in dem Urteil, dass „viele staatspolitische Erkenntnisse, die heute zu unserem täglichen Brot gehören, aus dem Weizen gebacken wurden, der erstmals auf Max Webers Acker gewachsen ist“.
Es ist nachvollziehbar, dass der Besitz des Originalmanuskripts von Max Webers „Rechtssoziologie“ Karl Loewenstein mit großem Stolz erfüllte. Als umso generöser muss es eingeschätzt werden, dass er im Sommer 1957 dem damaligen Privatgelehrten und Herausgeber der Max Weber`schen „Wissenschaftslehre“ (2. Auflage 1951) und von „Wirtschaft und Gesellschaft“ (4. Auflage 1956), Johannes F. Winckelmann, zwei Originalmanuskripte Max Webers als Geschenk übergab: ein Konvolut „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ und das genannte zur „Rechtssoziologie“. Es waren eben diese beiden Manuskripte, die zur Gründung des Max Weber-Archivs in München durch Winckelmann führten, woran sich eine kurvenreiche Geschichte anschloss, deren Einzelheiten hier nicht wiederholt werden müssen, da sie in einer meiner vorangegangenen Rezensionen bereits dargestellt wurden.
Die Rechtssoziologie Max Webers
Johannes Winckelmann nahm das Originalmanuskript als Vorlage für die von ihm herausgegebene „Rechtssoziologie“, die 1960 im Luchterhand Verlag erschien und 1967 eine zweite, überarbeitete Auflage erlebte. In seinen diversen Anstrengungen für eine ultimative Anlage des von ihm, im Anschluss an Marianne Weber, erzeugten Sammelwerks „Wirtschaft und Gesellschaft“ integrierte Johannes Winckelmann diese „Rechtssoziologie“ in den zweiten Teil, zum einen als Kapitel I mit dem Titel „Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen“ zum anderen als Kapitel VII mit der Überschrift „Rechtssoziologie“. In Abteilung I Band 22 der Max Weber Gesamtausgabe (MWG) erscheint soeben, unter der lapidaren Überschrift „Recht“, der Teilband 3, in dem diese beiden Texte, auf der Grundlage des Originalmanuskripts in jahrzehntelanger Arbeit neu ediert worden sind. Über die Dekonstruktion von „Wirtschaft und Gesellschaft“ ist in der laufenden Besprechungsarbeit über die MWG an dieser Stelle bereits mehrfach berichtet worden, zuerst im April 2006.
Eine überraschende Mitteilung
Mitten in das Studium des umfangreichen Bandes schickte der Verlag Mohr Siebeck einen ungewöhnlichen Brief mit einer Mitteilung, die für diese Rezension zu berücksichtigen sei: „Die Herausgeber legen Wert auf eine Berichtigung einer im Vorwort irreführenden Formulierung. Nähere Hinweise sehen Sie auf dem beiliegenden Informationsblatt.“ Auf dem angekündigten Blatt liest der aufmerksam gemachte Empfänger: „Entgegen der irreführenden Formulierung im Vorwort legen die Herausgeber Wert auf die Feststellung, dass die Edition in allen Teilen von beiden Herausgebern gemeinsam erarbeitet wurde und verantwortet wird.“
Der Rezensent fragt sich, was hinter solcher Aktion steckt. Die beiden Herausgeber dieses Bandes sind zum einen der Jurist und Soziologe Werner Gephart, Professor für Soziologie an der Universität Bonn und Direktor des dortigen „Käte Hamburger Kollegs ‚Recht als Kultur‘“, der auch als Maler „soziologischer Bilder“ der Gründerväter der Soziologie und als Autor einer „dramatischen Skizze“, in der Emile Durkheim und Max Weber ihre Rollen spielen, in Erscheinung getreten ist; nach 1990 arbeitete Gephart als Wissenschaftlicher Angestellter an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften an der Edition der Rechtssoziologie Max Webers, bevor er sich 1991 für Soziologie habilitierte und seit 1992 die Bonner Professur innehat. Der zweite Herausgeber ist sein ehemaliger Doktorand, der Soziologe Siegfried Hermes, von dem der Verlag mitteilt, dass er gegenwärtig im Wissenschaftsmanagement tätig ist. Der ursprüngliche Politikwissenschaftler Siegfried Hermes, der zuvor eine Magisterarbeit über das politische Denken bei Max Weber vorgelegt hatte, arbeitete gleichzeitig zur Editionsarbeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für den hier anzuzeigenden Band der MWG an seiner Bonner Dissertation, die sich unter dem Titel „Soziales Handeln und Struktur der Herrschaft“ mit der Darstellung des Patrimonialismus in der Herrschaftssoziologie Max Webers befasste. Mit der „irreführenden Formulierung“ im „Vorwort“ kann nur jener Passus gemeint sein, der über die Aufteilung der Editionsarbeit informiert: „Siegfried Hermes hat nicht nur die sachlichen Kontexte in den entlegensten Gebieten der vergleichenden Kultur-, Religions- und Rechtsgeschichte mit größter Sorgfalt erschlossen, sondern er ist auch der Weberschen Verknüpfung von soziologischer Kategorienbildung und historisch typologischer Analyse in systematischer Weise nachgegangen. Während Werner Gephart, der auch die Einleitung verfasste, durch viele universitätspolitische Verpflichtungen in Atem gehalten wurde, verstand es Siegfried Hermes die Editionsfäden zusammen zu halten und gegenüber der Einleitung gleichgewichtige editorische Berichte zu verfassen, in denen nicht nur der Fall der Rechtstexte verhandelt wird, sondern die Konsequenzen für das Verständnis des sich wandelnden Grundrißprojektes und der damit verbundenen Arbeitsweise an ‚Wirtschaft und Gesellschaft‘ aufgezeigt wird.“
Wer lesen kann, versteht, warum Wert auf die Feststellung gelegt wird, dass die Edition, an der beide Herausgeber mehr als zehn Jahre gearbeitet haben, in allen Teilen von beiden gemeinsam erarbeitet wurde und verantwortet wird. Wie leicht hätte man aus dem „Vorwort“ offenbar fälschlicherweise herauslesen können, dass jener Herausgeber, der die voluminöse „Einleitung“ verfasst hat, durch seine vielen universitätspolitischen Verpflichtungen derart „in Atem“ gehalten worden war, dass er seinem Mitherausgeber die eigentliche editorische Arbeit überlassen musste. Wer nachvollziehen will, was vermutlich mit den „universitätspolitischen Verpflichtungen“ gemeint sein kann, wird auf der Homepage des bereits erwähnten Bonner Forschungskollegs fündig. Dem dort genannten Thema „Recht als Kultur“, zu dem Werner Gephart bereits 2006 eine Monografie vorgelegt hat, begegnet der Leser des hier anzuzeigenden Bandes vor allem in der erstaunlich umfangreichen „Einleitung“ von insgesamt 133 Seiten hinlänglich oft, so dass darauf zurückzukommen sein wird.
Der Jurist Max Weber
In dem hier anzuzeigenden Band werden jene zwei Manuskripte Max Webers editorisch aufbereitet, die als Geschenke von Karl Loewenstein an das Max Weber-Archiv genannt worden sind, und die beide für das von Max Weber nie abgeschlossene Großvorhaben des „Grundriß der Sozialökonomik“ vorgesehen waren: der als „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ überschriebene Text aus den Jahren 1907/09 und jenes Textkonvolut, das als „Rechtssoziologie“ überliefert ist, das aus den Jahren 1913/14 stammt. Durch seine Kanonisierung als eines Klassikers der Soziologie ist inzwischen weitgehend in Vergessenheit geraten, dass Max Weber nicht nur von seiner akademischen Ausbildung her Jurist war, sondern Zeit seines Lebens in Begrifflichkeit, Methoden und Funden – man könnte hinzufügen: vom Habitus – erheblich von juristischem Denken geprägt war. Dies zu zeigen, war auch schon die wesentliche Absicht der Herausgeber des ersten Bandes der MWG gewesen, Gerhard Dilcher und Susanne Lepsius, bei deren Edition der Dissertations-/Habilitationsschrift Max Webers.
Nicht nur seine frühen rechtsvergleichenden und rechtshistorischen Arbeiten, sondern auch seine zahlreichen Beiträge zur Rechtssoziologie mit ihrem interkulturellen und diachronen Vorgehen harrten und harren immer noch einer aktualisierten Neuentdeckung durch die juristischen Disziplinen. Ob die hier anzuzeigende Edition daran etwas ändern kann, muss sich erst zeigen, die Herausgeber jedenfalls erhoffen sich unzweifelhaft nicht nur einen Beitrag für die Nische der immer spezialisierteren internationalen Max Weber-Forschung, sondern auch einen Impuls für eine Erforschung des Zusammenhangs von Globalisierung und Rechtsentwicklung. Der Text Webers ermögliche es, so verkünden sie, „aus einer Vielzahl verzweigtester Rechtsgeschichten eine große, alles bündelnde Metaerzählung über den juridischen Rationalismus im Okzident zu verfassen, die sich nur in universalhistorischer Perspektive und mit Blick auf die Weltkulturen des Rechts erzählen lässt“.
Als Sohn des Dr. jur. utr. Max Weber sen. (1836-1897) studierte auch Max Weber jun. im Hauptfach Jurisprudenz, nacheinander an den Universitäten Heidelberg (1882/83 bei Ernst Immanuel Bekker, Otto Karlowa, Carl Friedrich Rudolf Heinze, Hermann Friedrich Schulze), Berlin (1884/85 bei Georg Beseler, Ludwig Aegidi, Rudolf von Gneist, Heinrich Brunner, Otto von Gierke) und Göttingen (1885/86 bei Ferdinand Frensdorff). Seine Spezialthemen waren die Agrar- und Wirtschaftsgeschichte der Antike, einschließlich des frühen Mittelalters, das moderne Handelsrecht und die Handelsrechtsgeschichte. Nach dem Ersten Juristischen Staatsexamen, das er in Celle im Mai 1886 absolvierte, kehrte er zurück ins Elternhaus in Charlottenburg um an der Universität Berlin seine Universitätsstudien fortzusetzen. Nach Beendigung seiner Referendarzeit bei Justizbehörden in Rixdorf, Berlin und Charlottenburg, sowie beim Berliner Geheimen Justizrat August von Simson schloss er seine juristische Ausbildung mit dem Assessor-Examen ab und wurde in Berlin als Rechtsanwalt zugelassen. Im August 1889 wurde der Kammergerichtsreferendar Max Weber mit „magna cum laude“ bei Levin Goldschmidt und Rudolf von Gneist über die „Entwickelung des Solidarhaftprinzips und des Sondervermögens der offenen Handelsgesellschaft aus den Haushalts- und Gewerbegemeinschaften in den italienischen Städten“ zum – wie sein Vater – Dr. jur. utr. promoviert. Die formal bei der Juristischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin eingereichte Dissertationsschrift bildete das dritte Kapitel der größeren Arbeit „Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter. Nach südeuropäischen Quellen.“ (1889).
1892 habilitierte sich Weber mit einer Arbeit über „Die römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staats- und Privatrecht“ (1891) an der Universität Berlin für Römisches (Staats- und Privat-)Recht und – mit dem gesamten Text seiner Geschichte der Handelsgesellschaften – für Handelsrecht. Neben seiner Anwaltstätigkeit beim Berliner Kammergericht vertrat Weber seit dem Sommersemester 1892 als Privatdozent den erkrankten Levin Goldschmidt, wodurch ihm 1893 eine außerordentliche Professur für Handelsrecht und Deutsches Recht an der Berliner Universität übertragen wurde. Vor allem durch die wissenschaftliche und politische Anerkennung seiner Auswertung der von ihm nicht selbst durchgeführten Landarbeiter-Enquête für den „Verein für Socialpolitik“ erhielt Weber im gleichen Jahr einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg.
Diese Berufung des 29-jährigen Juristen Max Weber muss noch keineswegs als Orientierungswechsel von der Jurisprudenz zur Nationalökonomie interpretiert werden, beteiligte sich Weber doch in seiner Freiburger Zeit durchgängig auch am Lehrprogramm der dortigen Juristischen Fakultät. Erst seine Berufung 1896 auf die Professur für Nationalökonomie und Finanzwissenschaften an der Universität Heidelberg beendete die juristische Tätigkeit Max Webers, der sich ab dann der Nationalökonomie und später, insbesondere in seiner Zeit an den Universitäten Wien und München ab 1918, der Gesellschaftswissenschaft zuwandte.
Dessen ungeachtet betätigte Max Weber sich jedoch zeit seines Lebens mehrfach als Anwalt und juristischer Berater, sowohl in eigenen Anliegen als auch für ihm nahestehende Personen – was die Herausgeber des hier anzuzeigenden Bandes in die sehr zugespitzte Formel gießen: „Nur Freunde des Hauses Weber vermochten von der praktisch-juristischen Begabung zu profitieren […] während andere Weber als Verleumder in Beleidigungsprozessen fürchten lernten.“ Diese harsche Charakterisierung erstaunt ein wenig: Wer an die juristischen und gerichtlichen Auseinandersetzungen Max Webers beispielsweise mit Arnold Ruge, Julius Ferdinand Wollf, Otto Bandmann, Adolf Koch, und in Sachen Otto und Frieda Gross, Franziska Gräfin zu Reventlow und Ernst Toller denkt, würde von Max Weber als einem zwar überaus streitbaren Kläger und vehementen Verteidiger in diesen Ehrenhändeln sprechen, aber nicht gleich von einem „Verleumder“. Jeder, der ihn persönlich angriff, oder gar andere in ihrer Ehre zu beschädigen suchte, musste mit Max Webers vehementer Angriffs- und Verteidigungslust rechnen, ohne dass er dabei die Angreifer „verleumdete“.
Schon die zahlreichen Weber`schen Studien zur Agrar-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Antike und des Mittelalters verdeutlichen, dass der Jurist Max Weber sich nicht auf vorgegebenen Bahnen bewegen wollte. Sein juristisches Studium hatte er derart angelegt, dass er sich zum Zeitpunkt der Promotion sowohl im römischen als auch im deutschen Recht gleichermaßen gut auskannte, was ihn von Anfang zwischen die Lager der sich damals heftig befehdenden „Germanisten“ und „Romanisten“ stellte. Diese Arbeiten sind vor allem aus rechtsvergleichender und rechtshistorischer Sicht von unverändert aktuellem Interesse, auch wenn manche sachlichen Details und der damalige Diskussionsstand naturgemäß als überholt bewertet werden müssen. Viele der in diesen Arbeiten enthaltenen Beobachtungen und Anregungen Webers, seine methodologische Vorgehensweise und sein durchgehendes Interesse an universalhistorischen Strukturvergleichen machen diese juristisch geprägten frühen Arbeiten noch heute zu lohnender Lektüre.
Der zweite Korpus der auch heute noch bedeutsamen Arbeiten Max Webers betreffen seine Ausführungen zur „Rechtssoziologie“, wie sie vor allem in den bisherigen Kapiteln I und VII des torsoartigen Werks „Wirtschaft und Gesellschaft“ gesammelt waren und wie sie nun im hier anzuzeigenden Band neu ediert und ausführlich kommentiert präsentiert werden. Bei seinem Versuch, dem wechselseitigen Verhältnis von Recht und Sozialordnung nachzugehen, betrachtete Weber das Recht als ein zentrales Medium der Organisation gesellschaftlicher Ordnung. Durchgängig verstand Weber das Recht als entscheidenden Faktor historischer und gesellschaftlicher Wirklichkeit, und immer ging es ihm um die Analyse der wechselseitigen, prozesshaften Beziehungen von Wirtschaft, Herrschaft, Gesellschaft, Recht und Religion. Für seinen Entwurf einer systematischen Rechtssoziologie betrachtete Weber es als vordringliche Aufgabe, dem Rechtsbegriff eine soziologische Bedeutung zu geben und ihn von den rein juristischen Inhalten zu unterscheiden. Weber betonte vor allem die empirische Geltung von Rechtsnormen und ging dabei vor allem den „Motiven der Fügsamkeit gegenüber dem Rechtssatz“ nach, die jeder garantierten (Rechts)Ordnung zugrunde liegen und somit „Garanten“ der (empirischen) Rechtsgeltung sind. Für diese Garantien betonte Weber die Wichtigkeit eines (nicht nur staatlichen) „Zwangsapparates“, als geregelte Form des Rechtszwangs.
Recht aus soziologischer Sicht
Auch zu Max Webers Zeiten verstand sich die Jurisprudenz als eine dogmatische Normwissenschaft. In seinem Bemühen um eine soziologische Perspektive auf das Recht definierte Max Weber dieses als „Komplex von faktischen Bestimmungsgründen realen menschlichen Handelns“, der durch einen eigens dafür gebildeten Apparat erzwungen wird und in diesem Sinne „Geltung“ hat. Diese soziologische Interpretation von „Geltung“ meint einzig die Chance, das heißt die Wahrscheinlichkeit der Beachtung im Einzelfall, unabhängig von den „Motiven“ für deren Beachtung. Dieser Rechtszwang sei im Laufe der historischen Entwicklung immer mehr zu einem „Monopol der Staatsanstalt“ geworden. Weber wies ausdrücklich darauf hin, dass die „Geltung“ eines Rechtssatzes oder einer Rechtsordnung in diesem Sinne keineswegs nur deswegen erreicht wird, weil es diesen Zwangsapparat gebe: In der Mehrzahl der Fälle würden sehr viel mehr utilitaristische, ethische oder subjektiv konventionelle Motive den Ausschlag für die „Fügsamkeit“ liefern. Das Moment der Berechenbarkeit und Verlässlichkeit der Rechtsordnung, die nicht nur durch den politischen Zwangsapparat, sondern auch durch andere sozial relevante Einrichtungen gesichert werde, sei gerade für eine für die Zukunft disponierende Wirtschaft von größter Bedeutung.
Für Max Weber waren es wesentlich vier Themenbereiche, um die seine Rechtssoziologie kreiste: (1) „die Wege und Schicksale der Rationalisierung des Rechts“, dazu gehört seine historische Darstellung der Entwicklung neuer Rechtsregeln, von den magisch-irrationalen bis zu den „rationalen“ Techniken. Der historische Prozess der Rationalisierung des Rechts beinhaltet als Teilaspekt den der „Säkularisierung“ der Rechtssatzung, des Rechtsdenkens und der Rechtspflege, (2) die gesellschaftlichen Träger dieser Entwicklung von der zunftmäßigen Rechtslehre bis zur „rationalen“ juristischen Universitätsbildung, (3) die gesellschaftlichen Gruppen, deren (materielle) Interessen durch diese Entwicklung in besonderer Weise berücksichtigt werden, und (4) die „Einwirkung der politischen Herrschaftsform auf die formalen Qualitäten des Rechts“, vor allem jener Prozess von der patrimonialfürstlichen Satzung über die ständische und patriarchale Rechtsschöpfung und -pflege zum revolutionär geschaffenen Naturrecht – alles als Vorstufe zur Ausbildung der modernen Staatsanstalt mit ihrem „modernen“ Recht.
Die Rekonstruktion des Collagenwerkes
Nicht zuletzt die vielfältigen Bemühungen deutscher Rechtssoziologen, vor allem Stefan Breuer, Werner Gephart, Manfred Rehbinder, Klaus-Peter Tieck und Hubert Treiber, und einiger nichtdeutscher Wissenschaftler, wie Harold J. Berman, Regis A. Factor, Realino Marra, Charles J. Reid, Pierangelo Schiera, Stephen P. Turner, dienten in den zurückliegenden Jahrzehnten der Weiterführung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Max Webers Rechtssoziologie. So bekannt jedoch alle diese Texte und ihre Interpretation auch bislang waren, die Historisch-Kritische Edition im Rahmen der MWG stellte unzweifelhaft ein zentrales Desiderat der Max Weber-Forschung dar.
Wie bereits angedeutet, hatte sie es mit einem umfangreichen und komplexen Textbestand zu tun, der von Weber nicht mehr vollendet wurde. Wer sich einen Eindruck von der technischen Herausforderung der Edition dieses unvollendeten Manuskripts machen möchte, möge das Faksimile einer Seite ansehen, wie es auf Seite 160 des hier anzuzeigenden Bandes zu finden ist: Nicht nur, dass das Originalmanuskript drei verschiedene Schreibmaschinentypen aufweist – Max Weber stand in den Jahren 1911 bis 1914 die Hilfe sowohl eines „Maschinenschreibers“ als auch einer „Tippmamsell“ zur Verfügung – sondern sowohl die zahllosen handschriftlichen Eintragungen als auch die von ihm eingesetzte „Allongentechnik“, also an den Blatträndern angeklebte Zettel, lassen es als gerechtfertigt erscheinen, wenn die Herausgeber von einer „Archäologie“ des Manuskripts sprechen. Aus dieser Vorlage einen gedruckten Text gemacht zu haben, ist ein Verdienst, das sie sich mit Marianne Weber und Johannes Winckelmann teilen können.
Über den Entstehungszusammenhang liefert das – immer noch nicht vollständig erschlossene – Briefwerk, insbesondere jedoch die Verlagskorrespondenz, ein komplexes Bild: Zwischen dem Stoffverteilungsplan von 1909/10 des „Handbuchs der politischen Ökonomie“ und dem 1914 publizierten Werkplan vom „Grundriß der Sozialökonomik“, dessen zentraler Bestandteil Webers Beitrag über „Wirtschaft und Gesellschaft“ werden sollte, sind Textbestände zu verorten, die jeweils auf unterschiedlichen Kompositionsideen fußen. Die Bedeutung der Edition des Bandes „Recht“ liegt – wie die beiden Herausgeber nachdrücklich betonen – einerseits darin, dass ein inhaltlich zentrales Werkstück des gelernten Juristen Max Weber im Spannungsfeld von Rechtsdogmatik, universaler Rechtsgeschichte und Kritik der zeitgenössischen Rechtssoziologie sichtbar mache, wie eine Soziologie des Rechts als vergleichende „Kultursoziologie“ des Rechts im Prozess der Rationalisierung anzulegen sei.
Neben dieser inhaltlichen Bedeutung, die in der Sachkommentierung von den ägyptischen Inhaberschuldverschreibungen über das Römische Recht zu den religiös geprägten „Rechtskulturen“ Chinas, Indiens und des Islams reicht, liefere der Textbestand des Bandes grundsätzliche Aufschlüsse über die Arbeitsweise Webers und die Genese von Webers Grundrißbeitrag insgesamt. Dass die Ergebnisse der Bonner Arbeitsstelle der MWG um Werner Gephart und Siegfried Hermes in den zurückliegenden Jahren diesem Anspruch gerecht geworden sind, und damit vor allem den juristischen Denker Max Weber scharf konturiert haben, lässt sich unschwer feststellen. Werner Gephart hat sowohl in seiner Monografie über das Recht im soziologischen Diskurs der Moderne (1993) als auch in einem Sammelband seiner verstreuten Texte zur multi- und transdisziplinären Ausrichtung Max Webers (1998) betont, dass ihm an der Profilierung Max Webers als eines „Kulturwissenschaftlers“ gelegen ist, dem erst gegen Ende seines Lebens ein „Bekenntnis zur Soziologie als seiner Wissenschaft“ zu attestieren sei. Dass Werner Gephart und sein Mitherausgeber Siegfried Hermes dadurch in nicht unerhebliche Kontroversen mit dem Heidelberger Soziologen Wolfgang Schluchter, einem der Hauptherausgeber der MWG, geraten waren – wie vor allem einige Aufsätze von Siegfried Hermes der letzten Jahre zeigten – sei wenigstens angemerkt. Max Weber als einen Gelehrten zu präsentieren, der „dem juristischen Diskurs methodologisch und forschungspraktisch stärker verhaftet [bleibt], als er zugeben will oder kann“, wie Siegfried Hermes bereits 2006 geschrieben hatte, sagt nicht allen zu, die Max Weber ausschließlich als Soziologen stilisieren wollen.
Wie der Max Weber-Forscher Stefan Breuer in seiner Rezension des hier anzuzeigenden Bandes in der „Neuen Zürcher Zeitung“ anmerkte, ist das monumentale Werk der Rechtssoziologie Max Weber von der bisherigen Rechtssoziologie bis heute kaum ausgeschöpft worden. Max Webers Untersuchungen jener historischen Konstellationen, die die Entstehung des okzidentalen rationalen Rechtssystem bedingten, zeichneten sich aus durch ihren erstaunlichen Anschauungsreichtum und ihre Kraft, historisches Material auf den Begriff zu bringen. Vor allem die Analysen der Kodifikationen der frühen Neuzeit, des Naturrechts in seinen formalen und materialen Erscheinungsformen sowie des modernen Rechts, seien es, die auch heute für die sozialwissenschaftliche Erforschung des Rechts von großer Bedeutung seien.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass vor allem die editorischen Berichte und die sorgfältigen Kommentierungen einen überaus beeindruckenden Reichtum an Informationen und Anregungen bieten, der zu intensiver Weiterforschung sowohl für juristische als auch soziologische Fragestellungen geradezu einlädt. Für die Max Weber-Forschung im engeren Sinn bietet der Band den Ausgangspunkt für die Weiterführung der laufenden Diskussionen über das Verhältnis der verschiedenen historischen Schichten des Gesamtwerks Max Webers. In den „Allgemeinen Hinweisen“ der Hauptherausgeber der MWG – im hier zu besprechenden Band erstmals ergänzt um einen Hinweis auf Wolfgang Schluchters Band I/24 im Rahmen der MWG – und vor allem in Wolfgang Schluchters Texten war immer betont worden, dass auch die frühen Teile von „Wirtschaft und Gesellschaft“, zu denen die „Rechtssoziologie“ teilweise zählt, bereits von jener Begrifflichkeit bestimmt gewesen seien, wie sie Max Weber in seinem methodologisch bedeutsamen Aufsatz „Ueber einige Kategorien der verstehenden Soziologie“ formuliert hatte, den er zwar erst 1913 in der Zeitschrift „Logos“ publizierte, dessen Kategorien er jedoch bereits um 1900 konzipiert hätte. Unbestritten dabei war immer, dass manche Teile der sogenannten „Rechtssoziologie“ darunter einzuordnen sind, fraglich war jedoch zugleich, welche hierzu zu zählen sind und warum, und wann die anderen entstanden sind.
Die Editorischen Berichte im hier anzuzeigenden Band geben dazu nun vermutlich definitive Auskünfte. Ihnen zufolge lässt sich die von Wolfgang Schluchter bislang vertretene Annahme durchaus gut belegt in Frage stellen: Durch die Rekonstruktion der Archäologie der einzelnen Passagen wird sehr deutlich, dass gerade die älteren Textschichten, vor allem der Text „Die Wirtschaft und die Ordnungen“ und der zweite Paragraph der „Rechtssoziologie“ sehr viel weniger von der Begrifflichkeit des Logos-Aufsatzes geprägt sind, – vor allem die für Max Weber später so typischen Kategorien des „Einverständnishandelns“ und des „Verbandshandelns“ fehlen vollkommen. Erst nach 1913/14 scheint Max Weber seine später entwickelte Begrifflichkeit in die bereits geschriebenen Manuskripte der „Rechtssoziologie“ eingearbeitet zu haben, so dass nichts (mehr) dafür spricht, dass der Logos-Aufsatz und die in ihm ausgebreitete Begrifflichkeit bereits vor Beginn der Arbeiten am „Grundriß der Sozialökonomik“ konzipiert gewesen war. Umgekehrt muss es gewesen sein: Max Weber vertiefte sich in die Berge seines Untersuchungsmaterials über die Rechtsordnungen der Menschheitsgeschichte und hatte ab etwa 1913 das wachsende Bedürfnis, diese Materialberge mit Hilfe eindeutiger Begrifflichkeit zu ordnen, wofür er den Logos-Aufsatz von 1913 und noch später seine berühmten „Soziologischen Grundbegriffe“ von 1920 schrieb.
Ob allerdings der Verfasser der hypertrophierten „Einleitung“ gut beraten war, nicht nur langatmige Nacherzählungen der Weber`schen Texte zu präsentieren, sondern zudem seine sehr eigenen Vorstellungen von „Recht als Kultur“ auf Max Weber zu projizieren, kann in Frage gestellt werden. Schon im Ankündigungstext des Verlags war postuliert worden, dass Max Weber sich aus einem „juridischen Zentrismus der normativen Welt“ gelöst habe und eine Art „weltrechtsgeschichtlicher“ Deutung im kulturvergleichenden Sinne verfolgt habe, die ihn heute für eine Debatte über den Zusammenhang von Globalisierung und Rechtsanalyse besonders aktuell erscheinen lasse. Mit seinen rechtssoziologischen Texten habe Max Weber längst die Idee eines „Legal Pluralism“ antizipiert, der die Vielfalt der normativen Ordnungen betone, und mit dem Ausscheren aus dem okzidentalen Entwicklungspfad des Rechts in die „Entwicklungsbedingungen des Rechts“ den Erkenntnishorizont für andere „Rechtskulturen“, ihre Interferenzen und Hybridisierungen geöffnet, für die uns heute die Kategorien noch durchaus zu fehlen schienen. Auch dieser Herausgeber scheint der Verlockung erlegen zu sein, seine persönlichen Vorstellung posthum auf den (vermeintlichen) Vor-Denker Max Weber zu übertragen. Er unterstellt Max Weber weniger die Absicht eine „Rechtssoziologie“ im Sinn gehabt zu haben, sondern eine „vergleichende Kultursoziologie des Rechts“, mit deren Hilfe man im aktuellen „Kampf der Rechtskulturen“ ein hilfreiches Deutungsmittel an der Hand habe. Vermutlich ein wenig zu sehr von den Vorstellungen Emile Durkheims über Strafe und Verbrechen beeinflusst, womit sich Gephart ursprünglich beschäftigte, präsentiert dieser Herausgeber einen Max Weber, wie er ihn gern und wohl lieber gehabt hätte. Sehr viel zweckdienlicher wäre es vermutlich gewesen, wenn er der juristisch nicht so bewanderten Leserschaft eine Anleitung zum besseren Verständnis der Weber`schen Rechtstypologie am Ende des Paragraphen 1 angeboten hätte, wie sie beispielsweise von dem Hannover`schen Rechtssoziologen und Max Weber-Kenner Hubert Treiber (2002; 2008) ausgearbeitet worden ist. Die üblicherweise vorgestellte Konstruktion der idealtypischen Gegensatzpaare „formal“ vs. „material“ und „rational“ vs. „irrational“ vernachlässigt die Weber`schen Differenzierungen, durch die es zu komplizierten Mischformen solcher simplen Dichotomien gekommen ist.
Wenn Werner Gephart in der Selbstbeschreibung des bereits erwähnten Forschungskollegs „Recht als Kultur“ formuliert: „Was aber ‚Kultur‘ sei, ist selbst umstritten: ein Text, eine sinnstiftende Bestimmung, eine Handlungsform im Spannungsfeld von Vereinheitlichung und Vielfalt der Kulturen? Literatur, Film und Architektur erzählen über diese Verfassung des Rechts, deren Verneinung in den Regimen des Unrechts vor Augen führt, welche Kostbarkeit und welche Errungenschaft das Recht im Zivilisationsprozess darstellt“, so ist es gewiss nicht völlig abwegig, zu vermuten, dass Max Weber über dieses Geschwurbel nur den Kopf geschüttelt hätte. Bei ihm ist von Rechtskultur an keiner Stelle die Rede, er warf vielmehr einen nüchternen und sachlichen Blick auf die Rechtsordnung, und zwar aus soziologischer Sicht: Diese „fragt: was innerhalb einer Gemeinschaft faktisch um deswillen geschieht, weil die Chance besteht, daß am Gemeinschaftshandeln beteiligte Menschen, darunter insbesondere solche, in deren Händen ein sozial relevantes Maß von faktischem Einfluß auf dieses Gemeinschaftshandeln liegt, bestimmte Ordnungen als geltend subjektiv ansehen und praktisch behandeln, also ihr eigenes Handeln an ihnen orientieren.“
Dass Max Weber den Begriff „Kultur“ durchgehend zu verwenden wusste, jedoch ausschließlich dort, wo es ihm angemessen erschien, wird kein Kenner seines Werkes leugnen wollen. Besonders markant ist sicherlich das famose Diktum zur Eröffnung der „Vorbemerkung“ [zu den Gesammelten Aufsätzen zur Religionssoziologie], wo er sich selbst als „Sohn der modernen europäischen Kulturwelt“ präsentiert, die unzähligen Passagen über Kultur und Kulturen, bürgerliche Kultur, kapitalistische Kultur, Kulturanalyse, Kulturbedeutsamkeit, Kulturbedeutung, Kulturbedingungen, Kulturerscheinungen, Kulturgemeinschaft, Kulturgüter, Kulturideale, Kulturinteressen, Kulturkreise, Kulturleben, Kulturwissenschaft zeigen eindrücklich, dass dieser deutsche Gelehrte, der von der „innerweltlichen Selbstvervollkommnung zum Kulturmenschen“ schrieb, dem Kulturbegriff eine eminente Bedeutung zuwies. Wenn er ihn im Zusammenhang mit dem Recht absichtsvoll nicht verwendet, sollte man das respektieren.
Ungeachtet aller geübten Sorgfalt von Herausgebern und der Münchner Zentralredaktion findet der aufmerksame Leser dann doch Korrekturbedürftiges, so etwa wenn die Heidelberger Burschenschaft Max Webers – wie seit Marianne Webers Falschschreibung – unverdrossen, als „Alemannen“ geschrieben wird (anstatt Allemannen); das Wiener „Café Landmann“ seit seiner Gründung am 1. Oktober 1873 „Café Landtmann“ heißt; der Chefredakteur der „Dresdner Neuesten Nachrichten“, gegen den Max Weber prozessierte, hieß Julius Ferdinand Wollf und nicht Wolff; was es mit der Aussage, dass Weber keine „Regionalsoziologien“ propagieren wollte, auf sich hat, ist mysteriös; ebenso rätselhaft und unerklärt bleibt, wieso die Zählung der Fußnoten in der „Einleitung“ insgesamt fünfmal neu anhebt, erstmals nach den ersten 96 Fußnoten, dann erneut nach weiteren 100, 101, 92 und 104 Fußnoten.
Erwähnte Texte
Karl Loewenstein: Max Webers staatspolitische Auffassungen in der Sicht unserer Zeit. 88 S. Frankfurt am Main / Bonn: Athenäum Verlag 1965.
Max Weber: Rechtssoziologie, aus dem Manuskript herausgegeben und eingeleitet von Johannes Winckelmann. 1. Auflage 1960; 2. überarbeitete Auflage. 452 S. Neuwied am Rhein / Berlin: Luchterhand Verlag 1967. (= Soziologische Texte, Band 2. Herausgegeben von Heinz Maus und Friedrich Fürstenberg)
Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, hrsg. v. J. Winckelmann, Tübingen: Mohr Siebeck [EA 1921/22] 5. Auflage 1976.
Stefan Breuer / Hubert Treiber, Hrsg., Zur Rechtssoziologie Max Webers. Interpretation, Kritik, Weiterentwicklung. Opladen: Westdeutscher Verlag 1984.
Manfred Rehbinder / Klaus-Peter Tieck, Hrsg., Max Weber als Rechtssoziologe. Berlin: Duncker & Humblot 1987.
Werner Gephart: Strafe und Verbrechen. Die Theorie Emile Durkheims. Opladen: Leske + Budrich 1990.
Werner Gephart: Gesellschaftstheorie und Recht. Das Recht im soziologischen Diskurs der Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1993.
Werner Gephart: Handeln und Kultur. Vielfalt und Einheit der Kulturwissenschaften im Werk Max Webers. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1998.
Werner Gephart: Gründerväter. Soziologische Bilder mit Deutungen von Alois Hahn u.a. Opladen: Leske + Budrich 1998.
Werner Gephart: Recht als Kultur. Zur kultursoziologischen Analyse des Rechts. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 2006.
Siegfried Hermes: Soziales Handeln und Struktur der Herrschaft. Max Webers verstehende historische Soziologie am Beispiel des Patrimonialismus. 265 S. Berlin: Duncker & Humblot 2003.
Siegfried Hermes: Das Staat als „Anstalt“. Max Webers soziologische Begriffsbildung im Kontext der Rechts- und Staatswissenschaften. – In: Klaus Lichtblau, Hrsg.: Max Webers „Grundbegriffe“. Kategorien der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung. Wiesbaden: VS Verlag 2006, S. 184-216.
Siegfried Hermes: Vom Aufbau der sozialen Welt. Zur Genese, Genealogie und Kategorienlehre von Max Webers Soziologie des Rechts. – In: Rechtstheorie 38 (2007), S. 419-449.
Bernhard Quensel / Hubert Treiber: Das „Ideal“ konstruktiver Jurisprudenz als Methode. Zur „logischen“ Struktur von Max Webers Idealtypik. – In: Rechtstheorie 33 (2002), S. 91-124.
Hubert Treiber: Max Weber and Eugen Ehrlich. On the Janus-headed Construction of Weber’s Ideal Type in the Sociology of Law. – In: Max Weber Studies 8.2 (2008), pp. 225-246.
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