Montagen gegen den Bilder-Terror

Ein kleiner Streifzug durch die Geschichte künstlerischer und wissenschaftlicher Kritik an der Macht audiovisueller Kriegspropaganda: Bertolt Brecht, Elfriede Jelinek, Gerhard Paul

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer heute von „den Medien“ spricht, bezieht dabei in den seltensten Fällen das Medium der Literatur mit ein. Die Rede ist stattdessen ausschließlich von audiovisuellen Medien, wobei vorausgesetzt wird, dass vor allem das Visualisierte die größte Aufmerksamkeit des Massenpublikums auf sich zieht. Von Intellektueller Seite gibt es eine Tendenz, dies kulturpessimistisch zu beklagen, obwohl die stattfindenden Medienwechsel unserer Zeit genauso wenig rückgängig zu machen sein werden wie einstmals die Erfindung des Buchdrucks – und ebenso wie dieser auch große Chancen für die Zukunft bergen dürften.

Tatsache ist es allerdings, dass wir auf Schritt und Tritt mit so vielen Bildern konfrontiert werden, und zwar sowohl bewegten als auch unbewegten, dass es immer schwieriger wird, unsere eigene Vorstellungskraft von ihnen zu emanzipieren und überhaupt noch Ruhe und Konzentration für andere Formen der Betrachtung zu finden: „Wenn man heute auf einem größeren Flughafen wie etwa München landet“, gibt etwa Bazon Brock zu bedenken, „hat man zeitgleich siebenhundert visuelle Impulse zu verarbeiten. Da man die Augen nicht schließen kann, während man auf sein Gepäck wartet, ist man dem Terror von siebenhundert parallel geschalteten Bildbewegungen ausgesetzt. Jeder Wahrnehmungspsychologe kann bestätigen, dass das ungefähr der Belastung von Feuerüberfällen im Schützengraben entspricht.“

Die Frage, wie die Literatur auf diese mediale Übermacht visueller Alltags-‚Bombardements‘, die durch das Internet seit mindestens 15 Jahren stetig an Geschwindigkeit und Intensität gewonnen haben, überhaupt noch produktiv reagieren kann, beschäftigt Wissenschaftler verschiedenster geisteswissenschaftlicher Disziplinen. Bazon  Brock spricht sogar von einem pausenlosen „Musik- und Bildterror“, mit dem wir „zugedröhnt“ würden, wobei Leuten dieser „Gesamtterror“ auch noch als „Erfüllung ihrer geheimsten Wünsche untergeschoben werde“. Möglich sei all dies allerdings nur, weil die Medienkonsumenten diese ‚Angebote‘ auch tatsächlich nutzten. Der „Bilderkrieg“, also auch die aus diesem medialen Dispositiv hervorgegangene Kriegs-Propaganda der Massenmedien, sei heute nur noch durch die ‚Evidenzkritik‘ der Künste zu leisten – und durch ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass die allgegenwärtige Medienmaschinerie unserer Zeit allein durch uns selbst als Konsumenten weiter funktioniere, die wir aus dieser Verstrickung allerdings keinesfalls einfach ‚aussteigen‘ könnten: „Das heißt, die Führer des Bürgerkriegs als Bilderkrieg sind wir selbst, diejenigen, die es ermöglichen, was sich als Terror in der zivilen Form als Marktkrieg, Vernichtungskonkurrenz, Arbeitslosigkeit im Sinne einer Vernichtungsstrategie abspielt. Das ist weder an eine höher entwickelte, komplexer gewordene Welt noch an die Undurchdringbarkeit medientechnologischer Raffinessen gebunden, sondern ausschließlich an die Bereitschaft, eine tragende Rolle im Ideal der Widerstandsfähigkeit, der Unbeirrbarkeit, der Autonomie, des Einstehens für das, was man für richtig hält, zu spielen.“

Bazon Brocks Beitrag über die „Bilderkriege“ unserer Zeit findet sich im „Jelinek[Jahr]Buch“, das Pia Janke mit ihren MitarbeiterInnen vom „Elfriede Jelinek-Forschungszentrum“ in Wien 2011 herausgegeben hat. Ist doch die Literaturnobelpreisträgerin Jelinek eine der führenden Schriftstellerinnen unserer Zeit, die sich seit Langem an dem Einfluss der Medien abarbeitet und versucht, deren Darstellungsmacht dadurch literarisch und ‚postdramatisch‘ etwas entgegenzusetzen, dass sie diese ausführlich selbst ‚zur Sprache kommen‘ lässt: Jelinek versucht die Macht der Bilder und des öffentlichen Geredes darüber aus sich selbst heraus zu dekonstruieren und durch die entlarvende Montage dieses Materials ad absurdum zu führen. Brocks Beitrag, der auf Jelinek allerdings gar nicht eingeht, ist nur einer von einer Vielzahl der in dem erwähnten Band dokumentierten Aufsätze und vor allem auch Podiumsdiskussionen, die 2010 unter dem wirklich ‚schön doofen‘ österreichischen Tagungs-Titel „‚Wir sind wieder vor dem Fernseher gesessen.‘ Medien – Krieg – Kunst“ stattfanden. Darüber hinaus gibt es in dem Buch auch Texte und Äußerungen von der Schriftstellerin Kathrin Röggla zu lesen, von dem Literaturwissenschaftler und Kapitalismuskritiker Joseph Vogl, dem Kulturwissenschaftler Thomas Macho sowie der umtriebigen Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft Franziska Schößler. Schößlers Beitrag über Jelineks Stück „Die Kontrakte des Kaufmanns“ etwa findet sich in einer weiteren Sektion des Buches, die sich dem Thema „Kunst und Kapitalismus“ widmet.

Der materialreiche Band reiht sich damit in eine beachtliche Fülle von Publikationen ein, die Pia Jankes produktives Jelinek-Forschungszentrum in der letzten Zeit hervorgebracht hat: Es handelt sich dabei nicht nur um wissenschaftliche Sammelbände im engeren Sinne, sondern auch um gewissermaßen ‚polyphon‘ angelegte Dokumentationen als veritable Materialsteinbrüche, die stets auch akribische Chroniken zur aktuellen Jelinek-Rezeption in Theater, Presse und Forschung bieten und Ausschnitte von Diskussionen zum Thema wiedergeben. Dazu gehört auch der in unserer Zeitschrift bereits vorgestellte Band über Jelineks Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“, der 2010 erschienen ist und sogar eine CD miteinschloss, auf der Tagungsdiskussionen nachzuhören waren. Die Publikation von Abschriften aufgezeichneter Gespräche erhöht den Umfang solcher Publikationen natürlich automatisch, wobei es allerdings auch in der Natur der Sache liegt, dass der konkrete Informationswert der abgedruckten Unterhaltungen aufgrund der Spontanität des Geäußerten nicht immer und in allen Fällen besonders hoch zu veranschlagen ist.

Der emeritierte Wuppertaler Ästhetik-Professor und Kunstkenner Brock etwa entpuppt sich in einem Round-Table-Gespräch, das im nunmehr vorliegenden Band abgedruckt ist und von der „Rolle der Medien im Irakkrieg“ handelt, als wahrhaft kraftmeierischer Dampfplauderer, der in seiner Erregung gerne auch einmal die Sachverhalte verkürzt und allen Ernstes seine Erlebnisse als 8-jähriger Panzerfaust-Schütze im NS-„Volkssturm“ dafür ins Feld führt, dass er sich heute von den Medien nichts mehr vormachen lasse: „Wenn Sie so etwas einmal real erlebt haben, sind Sie gefeit gegen alle Behauptungen, die von den Medien ausgehen.“ Um dann gleich auf Collin Powells erlogene Propaganda-Statements als US-Minister zu sprechen zu kommen, die 2003 zum Irakkrieg führten, weil der Dikator Saddam Hussein Powells Darstellung zufolge über Depots von Massenvernichtungswaffen verfügt haben sollte. Zwar vergleicht der NS-Kindersoldaten-Veteran Brock den US-Militär-Propagandisten Powell nicht direkt mit Adolf Hitler oder Joseph Goebbels, aber die These, die er zur Erklärung der Möglichkeit einer solchen dreisten Lüge wie der Powells parat hat, schießt auch so schon weit über das Ziel der Kritik hinaus: „Hat er das geglaubt? Ich behaupte, er hat es geglaubt, weil in diesen Systemen nur jemand Karriere machen kann, der so dumm ist, dass er das offensichtlich Falsche für die Wahrheit halten kann.“

Die „neuen Kriege“ und die ruinösen Folgen des globalisierten Kapitalismus unserer Tage als bloße Folgen akuter Dummheit? Laut Brock schon: „Überall im Westen, bei den Banken, bei den Firmen, beim Militär, in der Regierung, muss die kritische Intelligenz künstlich abgesenkt werden, um auszuhalten, was einem in permanenter Zumutung aufgebürdet wird. Das hält man nur durch, wenn man es tatsächlich nicht durchschaut und die intellektuelle Befähigung dazu nicht hat. Diese Selektionsmechanismen greifen, sodass jemand wie Collin Powell eine von einem Sechsjährigen durchschaubare Demonstration vortragen kann, ohne dass jemand sagt: ‚Hören Sie, Sie gehören in die Grundschule und nicht in die Militärführung!‘ Auch in der Finanzwelt sind Leute tätig, die tatsächlich glaubten, dass das, was sie sagten, der Realität gerecht wurde. Die Tragödie liegt darin, dass die Hauptbeteiligten weder ein schlechtes Gewissen noch eine kriminelle Karriere, geschweigedenn ein Bewusstsein dafür haben, was sie anrichten.“

Wenn es doch so einfach wäre! Schon der Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Deutschland, von dessen Endphase Brock als kleines Kind so kritisch ‚geprägt‘ worden sein will, funktionierte ja bekanntlich beileibe nicht nur deshalb so fatal, weil alle seine Exekutoren ganz einfach blöd waren.

Elfriede Jelineks Stücke, etwa das Irak-Kriegs-‚Drama‘ „Bambiland/Babel“ von 2004, agieren da in ihrer subtilen Form der Kritik weit umsichtiger. Der Wiener Medienkunst-Professor Peter Weibel äußert in seinem Beitrag über „Performative Medien. Von der Simulation zum Fake“ in seiner Einschätzung zur Allmacht der ‚Bilderkriege‘: „In der Literatur wurden unterschiedliche Ansätze entwickelt, dem entgegenzuwirken, zum Beispiel von Peter Handke und Elfriede Jelinek. Dabei stellt sich die Frage, welche literarische Methode die bessere ist, um mit diesem Phänomen umzugehen. Ist es zielführend, wie Handke zu versuchen, eine poetische, individuelle Gegensprache zur Welt der kollektiven Sprache, der Redenschreiber zu schaffen? Oder muss man wie Jelinek diese kollektiven Bilder aufgreifen und dekonstruieren? Meines Erachtens ist die Methode von Jelinek die bessere. Die erste Variante funktioniert nicht mehr. Es ist eine schöne Vision, zu glauben, dass es gelingen kann, eine Sprachwirklichkeit zu entwerfen, die man den Ergebnissen der kollektiven Welt der Bilder und der Sprache entgegensetzen kann. Diese Vision müssen wir aufgeben.“

Die Methode ästhetischer Arbeit mit dem entlarvenden Material der Medien ist dabei nicht einmal neu: Schon in den 1920er- und 1930er-Jahren machte sich, gewissermaßen in der Nachfolge des größten Sprach- und Pressekritikers aller Zeiten, Karl Kraus, eine ganze Reihe von Künstlern daran, „die fälschende ‚Formung‘ durch die Zeitungen auseinanderzunehmen und die von der illustrierten Presse oder den Kinonachrichten gelieferten Tatsachenelemente auf eigene Rechnung neu zusammenzusetzen oder neu zu montieren“, wie es Georges Didi-Huberman in seinem Buch „Wenn die Bilder Position beziehen“ beschreibt. Dazu zählten ebenso die Dadaisten wie etwa auch der „radikale Filmverband“, von dessen Experiment, vorhandenes Bildmaterial zu einer eigenen Wochenschau zusammenzustellen, Siegfried Kracauer 1931 berichtete und das der Zensur zum Opfer fiel. Schon damals wurde also deutlich, dass eine Kritik der Medien durch die aufklärerische oder auch satirische Neuanordnung ihrer ureigenen Hervorbringungen ganz besondere Effekte der ideologischen Dekonstruktion zu erzeugen vermochte.

Auch Bertolt Brecht setzte, ähnlich wie Ernst Friedrich mit seiner von ihm besonders gelobten, wirklich grauenhaften Weltkriegsdokumentation „Krieg dem Kriege“ (1924), auf die Verwendung von Kriegsfotos, um anhand dieses Materials ‚Position zu beziehen‘ und Kritik an der Propaganda seiner Zeit zu üben. So führte auch Brecht ein „Arbeitsjournal“, in das er alltäglich Fotos „von größter Heterogenität“ einklebte, wie Didi-Huberman berichtet. Als eine Art fotografische „Fermate“ zu diesem langjährigen Tagebuch- und Montageprojekt publizierte Brecht schließlich 1955 seine „Kriegsfibel“ als „Abc-Buch des Krieges“ im Eulenspiegel-Verlag, nachdem es bezeichnenderweise bereits verschiedene Verleger abgelehnt hatten und auch das Ost-Berliner „Amt für Literatur“ zunächst zu viele „pazifistische Tendenzen“ darin ausgemacht hatte. Das Buch ist heute fast vergessen, und von daher ist Didi-Hubermans eingehende Analyse, die im Wilhelm Fink Verlag erschienen ist, dringend zu empfehlen. Handele es sich doch bei Brechts „Abc-Fibel“ um „ein Elementarbuch des visuellen Gedächtnisses“: Man müsse es „aufschlagen und sich selbst mit den Bildern konfrontieren, damit seine anamnetische Arbeit überhaupt eine Chance bekommt, uns zu erreichen“. Als Anamnese, also als Aufzeichnung einer eigenen Leidensgeschichte, begreift Didi-Huberman Brechts „Kriegsfibel“ auch deshalb, weil sie zweifelsohne mit dem Schmerz desjenigen Exilanten erstellt worden sei, der nach dem Zweiten Weltkrieg „feststellen musste, dass die Überlebenden eines Krieges sich arrangieren, um sehr schnell zu vergessen, wem und was sie ihr Überleben und den, wenn auch sehr relativen, Friedenszustand verdankten“.

Heute ist die Arbeit mit den Bildern, die „Geschichte machten“, längst zu einer kardinalen Disziplin auch der Historiografie avanciert, einer Wissenschaft, welche die Fotos als analysierbare Quellen viel zu lange ignorierte. Der Medienhistoriker Gerhard Paul, einer der regesten Publizisten zum Thema Bildgeschichte unserer Tage, spricht in seinem neuesten, reichhaltig illustrierten Band „Bilder, die Geschichte schrieben. 1900 bis heute“ von dem 20. Jahrhundert als dem „Jahrhundert der Bilder“ und einem regelrechten „Bilder-Tsunami“, der uns seither heimsuche: „Nie zuvor haben sich die Zahl und der Status der Bilder so rasant verändert wie in den letzten Jahrzehnten“, stellt Paul bereits in seinem Vorwort über die sogenannten „Medienikonen des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts“ fest: „Sie dringen heute in alle Segmente unseres Alltags ein. Mit Hilfe von Bildern werden Nachrichten vermittelt; Infografiken sind aus Printmedien nicht mehr wegzudenken; Geschichtsbücher mutieren zu Bildbänden; bildgebende Verfahren prägen die medizinische Diagnostik; das Fernsehen wandelt sich zum hundertkanäligen Unterhaltungsmedium; Großbildleinwände werben für die neuesten Produkte oder senden ‚Breaking News’; Handys versenden Kurzfilme fast schon in Echtzeit.“ Längst seien Bilder also auch zu „militärische Waffen“ geworden, „mit deren Hilfe Kriege geführt werden, und kommerzielle Waren, mit denen Milliarden verdient werden“.

Paul selbst hat zuletzt bereits zwei monumentale „Bilderatlas“-Bände zum „Jahrhundert der Bilder“ vorgelegt, aus denen er nunmehr für den vorliegenden Band „33 Medienikonen aus den Bereichen Fotografie, Werbung und Bildender Kunst“ ausgewählt hat, die von ausgewiesenen Wissenschaftlern analysiert werden – sozusagen ein ‚Best of‘ aus den beiden früheren Büchern. Paul hat sich mittlerweile so erfolgreich als Historiker des „pictorial turns“ beziehungsweise der „Visual History“ profiliert, dass seine Publikationen selbst zu einem Geschäft geworden zu sein scheinen, dessen Ausschlachtung sich zumindest für den Verlag Vandenhoek & Ruprecht rechnen wird: Hochglanzbände wie der vorliegende, mit 196 größtenteils farbigen Abbildungen, sind nicht eben billig zu produzieren. Von daher will eine solche Publikation gut kalkuliert sein, zumal die ausführlichere Version des Projekts ja ebenfalls lieferbar bleibt.

Grundsätzlich ist daran auch gar nichts auszusetzen: Paul schreibt stets kenntnisreich und hat einen klaren Stil, mit dem er äußerst komplexe Sachverhalte auch einem breiteren Publikum kritisch zu vermitteln vermag. Nicht von Ungefähr wurde bereits sein instruktives Buch „Bilder des Krieges / Krieg der Bilder“ als „international bestes Sachbuch in der Kategorie ‚Zeitgeschichte‘“ im Jahr 2005 ausgezeichnet, und auch „Das Jahrhundert der  Bilder“ landete 2009 auf Platz eins der „Sachbuchbestenliste“. Derzeit wird Paul als veritabler Pionier der „Visual History“ mit einer „opus magnum“-Förderung der „Fitz Thyssen Stiftung“ und der „VolkswagenStiftung“ zwecks Verfassung einer großangelegten Studie mit dem Titel „Das visuelle Zeitalter“ für zwei Jahre von seiner Lehrverpflichtung in Flensburg freigestellt, wie man einer Pressemeldung seiner Universität entnehmen kann.

Ungeachtet dieser großen Verdienste um die Vermittlung historischen Wissens stellen sich auch kritische Fragen angesichts seines neuesten Buches, die sich angesichts der ‚konsumierbareren‘ Verknappung des Bandes noch einmal deutlicher aufdrängen als noch bei der Lektüre der ausführlichen Ur-Version des Projekts. Das kommentierte ‚Zapping‘ durch die „Medienikonen“ des 20. und 21. Jahrhunderts bringt es schließlich wie von alleine mit sich, dass das berühmte Foto des Torhauses von Auschwitz-Birkenau (erläutert von Christoph Hamann) und die „Mushroom Clouds“ des „atomaren Holocaust“ – so Paul wörtlich im Titel seiner eigenen Analyse zum Atombombenabwurf über Hiroshima und zur späteren Rezeption von dessen Dokumentation – ganz selbstverständlich neben der „Sexikone“ Marylin Monroe (Elisabeth Bronfen), dem VW-„Käfer“-Automodell als „Ikone des Wirtschaftswunders“ (Erhard Schütz), neben Madonna (Jan-Oliver Decker) und sogar der Videospielfigur Lara Croft (Astrid Deuber-Mankowsky) stehen: Hat diese ungerührte ‚Beliebigkeit‘ der Auswahl, die sich tatsächlich dem schlichten Bekanntheitsgrad unterschiedlichster „Medienikonen“ des vergangenen Jahrhunderts verdankt und es aus dieser Perspektive des Herausgebers wohl nahelegte, die Shoah und fröhliche ‘Pop-Phänomene’ in gewisser Weise ‘gleichberechtigt’ nebeneinanderzustellen, nicht doch auch etwas von einer pietätlosen Rumpelkiste für ‚Bilderbuchfans‘?

Die Selbstverständlichkeit, mit der heute alles mit allem verglichen und gleichgesetzt wird, müsste doch wohl gerade in einem Buch, dass die Macht der Bilder im 20. Jahrhundert zum Thema hat, etwas kritischer reflektiert werden. Zumindest sollte es einem mit allen Wassern der Ideologiekrietik gewaschenen Historiker wie Gerhard Paul, der seinen Walter Benjamin am Schnürchen hat und sich in einer Vielzahl von Publikationen ausführlich mit dem Nationalsozialismus und der Shoah auseinadersetzte, nicht unterlaufen, die im Umkreis der deutschen Friedensbewegung zu Beginn der 1980er-Jahre so gerne verwendete Phrase eines „atomaren Holocausts“ unkritisch zu tradieren. Vermochte es diese Formulierung doch seinerzeit, die Deutschen zum ‘ersten’ potentiellen Opfervolk eines Verbrechens zu stilisieren, das sie ursprünglich selbst begangen hatten und dessen singuläre Ausmaße sie dennoch weiter verleugneten.

Titelbild

Gerhard Paul (Hg.): Bilder, die Geschichte schreiben. 1900 bis heute.
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011.
296 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783525300244

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Pia Janke (Hg.): Jelinek(Jahr)Buch. Elfriede Jelinek-Forschungszentrum 2011.
Praesens Verlag, Wien 2011.
377 Seiten, 28,20 EUR.
ISBN-13: 9783706904476

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Titelbild

Georges Didi-Huberman: Wenn die Bilder Position beziehen.
Übersetzt aus dem Französischen von Markus Sedlaczek.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2011.
304 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783770548415

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