„Schwester von dem ersten Licht“

Der Band „Goethes Monde“ geht einem der Hauptbilder des Dichters nach

Von André SchinkelRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schinkel

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Man darf, man muss sie ihnen zugestehen, den Gewaltigen: dass sie eine bleiche Seite haben, auf der das unermüdliche arbeitende Uhrwerk abgeschaltet wird und doch auch in sie bereits wieder der heimliche Motor für einen neuen Anlauf gelegt ist. Angesichts des Großkanons an Œuvre, das Johann Wolfgang Goethe hinterlassen hat und damit nun schon Generationen beschäftigt, mag der Mond wie eine Insel im Treiben wirken, die Funktion eines verlässlichen Begleiters übernehmen – in ihm, seiner Ambivalenz, spiegelt sich der Widerspruch zwischen der Unbeirrbarkeit eines der letzten universalen Geister des Kontinents und der Lust, zur Ruhe zu kommen.

„Füllest wieder Busch und Tal / Still mit Nebelglanz, / Lösest endlich auch einmal / Meine Seele ganz“ – im Werk des Weimarer Dichters wimmelt es von Monden. Sei es als Gesell’ in der Nacht, in seliger Vermischung als Geliebte („Schwester von dem ersten Licht“) oder Tröster im Alter: zuweilen scheint eine verlässliche Bindung zum Nachttrabanten dem Mann sinniger als aufs Menschliche zu vertrauen. Es mag darin die Tatsache Gestalt finden, dass die Dichter in ihrer Besonderheit, die Auserwähltheit und Verdammtheit zugleich ist, letztlich Einsamlinge sind.

In Goethes auserwähltem Fall ist der Mond bereitwillig all das und zudem eine Art Liebessermon der platonischen Art – in seinen Briefen und Notizen an Charlotte von Stein ist er der Bote der jeweiligen Befindlichkeit, derjenige, der beiden Liebenden zugewandt ist, über den miteinander kommuniziert werden kann, der die Stimmung richtet und hält. Und er begleitet den Dichter bis an das Ende seines unter anderem auch durchgestandenen Werks: in der späten Engführung der Dornburger Gedichte wie in der „Klassischen Walpurgisnacht“ im zweiten Teil des „Faust“.

Der Mond macht dabei in der Sicht Goethes eine vermessen gesagt ‚homerische‘ Wandlung durch, die der Verdunklung des Gemüts des ‚Bestseller-Helden‘ Werther etwa reziprok gesetzt ist: von der zunächst dämonischen, verlockenden Kraft, die von ihm ausgeht, verändert er sich zum südlichen Mond, indem er dem reifenden Dichter zunehmend als „Nachtsonne“ erscheint. Dem liegt wohl auch die Erfahrung des Südens zugrunde, die am Ende des vierten Lebensjahrzehnts eine grundlegende Krise des Menschen und Staatsmanns Goethe meistern half.

Unter der Herausgeberschaft des ausgewiesenen Goethe- und Hoffmannsthal-Spezialisten Mathias Mayer, Ordinarius an der Augsburger Universität, werden in „Goethes Monde“, das im Jubiläums-Programm der Insel-Bibliothek erscheint, Werk- und Briefstellen, Tagebuchskizzen und Zeichnungen des Meisters in einer Art kombiniert, die sowohl zum Verweilen als auch zum Weitertreiben verführt, je nachdem. Die Auswahl der Stellen in Verbindung zu den teils allfällig bekannten zeichnerischen Versuchen ist dabei zuweilen atemberaubend, sie füllt das gegebene Format des nun 100-jährigen Insel-Büchleins auf eine mustergültige Art und Weise vollends aus.

Titelbild

Mathias Mayer (Hg.): Goethes Monde. Texte und Zeichnungen.
Insel Verlag, Berlin 2012.
78 Seiten, 13,95 EUR.
ISBN-13: 9783458193517

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