Ein Fest der Langeweile (Stanišic I)

Was Saša Stanišic in seinem Roman „Vor dem Fest“ mit sprachlichem Glitzer aufzufangen versucht, bleibt langweilig bis zum Ende

Von Pia SoldanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pia Soldan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist die Langeweile, die wir brauchen. Aber wer sind wir? Wir, die wir Geschichten erzählen von denen, die die Glocken läuten. Oder wir, die wir die malen, die durch die Nacht laufen, mit Schwarz auf schwarzem Grund. Vielleicht wir, die wir den erschießen, der sich weigert, uns die Zigaretten zu geben. Oder auch wir, die wir morgen ein Fest feiern. Die wir morgen das Mädchen Anna verbrennen. Und Anna? Langweilt sich noch im Gedanken an den Scheiterhaufen.

Die absonderliche, wohl moderne, Struktur von „Vor dem Fest“ macht Saša Stanišićs Roman nicht wirklich zu etwas, das gebraucht wird, auch nicht die scheinbare Zufälligkeit der Chronologie dieses Textes. Auch die Experimente mit dem in Teilen handschriftlich faksimilierten Kapitel oder den eingeschobenen frühneuhochdeutschen Passagen über das Dorf im 16. Jahrhundert helfen Stanišić nicht, einen schlüssigen Plot zu entwickeln. Und schöner wird der Text dadurch auch nicht. In Wendungen, die eine Anhäufung von sich gegenseitig ausschließenden Sinnebenen eröffnen, zeichnet der Autor ein Dorf in einer unendlich langweiligen Nacht. Was tut der Wind nicht so alles, wenn es nichts anderes gibt, das als Subjekt der Erzählung fungieren kann: Er „summt die Motordrehzahl, wummert einen dumpfen Beat, trägt heran einen Duft, von Trauben süß“ – und das alles auch noch gleichzeitig.

Wer hier auftritt, spielt seinen eigenen Part. Ähnlich wie in Eva Menasses „Quasikristalle“ bekommen Stanišićs Figuren eigene Kapitel, in denen sie teilweise selbst zu Wort kommen, meistens aber aus der Perspektive des bedrohlichen Wir geschildert werden. Doch während Menasse ihre Figuren brutal dem Dogma Authentizität unterwirft, verzichtet Stanišić darauf, dem Leser glaubwürdige Charaktere anzubieten. So könnte die Behauptung merkwürdig klingen, die Fähe, die als instinkthaftes Tier über den ganzen Text hinweg immer wieder Auftritte erhält, werde zu einer glaubhaften Romanfigur. Doch ausgerechnet sie erscheint noch am plausibelsten.

Die Fähe ist nur ein Beispiel dafür, wie die Figuren dieses Romans zu Wesen in einer neuen Welt und ihre jeweiligen Plätze darin zur Selbstverständlichkeit werden. Auf strukturelle Hierarchien unter den Textelementen wird weitgehend verzichtet, die einzelnen Passagen werden nebeneinander gestellt. In ihren Schnittmengen entsteht im Bewusstsein des Lesenden eine Gesellschaft. Frau Schwermuth erzählt ihrem Sohn ein Märchen und der kann es mitnehmen zu seiner Ausbildungsstätte oben auf dem Glockenturm. Der alte Glöckner überlässt dem Jungen nach und nach das Feld. Dann kann aber doch niemand läuten, weil ja irgendwer – man ahnt die beiden reimenden Fremden – die Glocken zum Flussufer brachte. Nachdem sie Anna gerettet haben. Die Herrn Schramm gerettet hat. Und im Fluss steht dann Frau Kranz und malt das Dorf als Gruppe im Fluss stehender Figuren. Irgendwie hängt hier alles zusammen, doch auch die Langeweile ist hier strukturell mit angelegt.

Sie langweilen sich, die Dorfbewohner, wie sie da so stehen mit nassen Füßen. Und sie haben sich schon vorher so sehr gelangweilt, manchmal bis hinein in die Depression und den Wunsch nach Suizid. Viele sind auch gestorben. Der Fährmann. Die Hornissenmännchen. Anna wird morgen verbrannt. Es geht um den Tod. Und der Tod ist besonders langweilig in seiner stillen Ödnis. Die Fähe riecht „Dung, dann Wolle, dann Gährung und Huhn und Tod“, und all dies steht nebeneinander in seiner Gleichgültigkeit. Denn in der Geschichte des Dorfes ist der Tod alltäglich. Geradezu langweilig, weil er als gegeben hingenommen wird, sodass jegliches Gefühl, das dem Tod gegenüber bestehen könnte, ausgeblendet wird. An der Langeweile kann auch „Martina (19, Tschechien)“ nichts ändern. Denn sie steht für Sex und Sex ist genauso alltäglich wie der Tod. Daran ändert erst recht der „Gedenkfindling“ nichts, der mal zum Gedenken an bedeutende Tote gedacht war. Die gibt es eben nicht und der Stein ist einfach nur ein Stein, der gleichgültig und langweilig am Sportplatz steht.

Doch selbst all diese Langeweile wird in sprachliche Spielereien gebettet, sodass im Kleinen eine Poesie suggeriert wird, die dem Text in seiner Gesamtstruktur fehlt. „Dramaturgisch“ sei „Vor dem Fest“ „ein Dorf, aber stilistisch eine Metropole“, meinen Lisa-Marie George und Sandra Kozok. Doch wer sich nicht täuschen lässt, langweilt sich bis zur letzten Seite.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Saša Stanišić: Vor dem Fest. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2014.
316 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783630872438

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