Wo Elfen ihr Pulver mischen
Dirk von Petersdorff vereint Pop und Poesie zu „Sirenenpop“ – eine explosive Mischung
Von Thorsten Schulte
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVon „Feuchtwiesen, Abendrot im Wasserstreifenspiegel“ über eine „abgekippte Sandgebirgslandschaft“ bis zur „Russenpanzerrampe Jena“ führt Dirk von Petersdorff die Leser seines neuen Gedichtbandes „Sirenenpop“. So ungewöhnlich und doch so nah und real wie die Orte sind auch die Eindrücke, die auf den Leser einströmen. Die Verse eröffnen den Blick auf eine Welt von Clubs, „wo Elfen ihr Pulver mischen“, auf eine Welt von liebenden Paaren in Dünen und Betonstufen und Backsteinkästen in Großstädten. Der Leser hört das „Schilfgrasrascheln“ am Wasser, riecht „Suhrkamp-Bücher im Regal“ und sieht Paare „eingedreht, schon kurz vorm Schlaf“. Diese Gedichte können mit allen Sinnen genossen werden. Dirk von Petersdorff wagt es, die Schönheit der modernen Welt zu zeigen. Er zeigt die Welt aus einem anderen Winkel, sie ist bei ihm voller intensiver Gefühle und Wärme. Er weiß, dass es gewagt ist, die Postmoderne zu romantisieren statt beständig zu kritisieren, und beschwichtigt: „Nike Air, lass Schuhe diese Erde dämpfen.“
Geradezu sehnsüchtig beschwören die Gedichte eine vergangene Jugend, die WG-Zeit, das Nachtclubleben, „Touren ohne Planung“. In schneller Folge sind Sinnesmomente und Gedanken zusammengesetzt. Es treten ein Barfußtänzer, ein Röhrenhosendandy, ein Kapuzenpullovermönch und Kreuzbergmädchen auf. In dem titelgebenden Gedicht „Sirenenpop“ trifft der Leser auf Nymphen („Bikinisilber an den Bächen“). Doch auch sie, die „Ex-Glitzerwesen“ gehören in die mythische Vergangenheit. Längst hat das lyrische Ich die Pflicht im Nacken gepackt, die Gegenwart ist von Arbeit, Kindern und Verantwortung geprägt.
Unter den fünf Kapiteln des Gedichtbandes findet sich der Zyklus „Ein Jahr im Hof“, eine um die Fragen der Liebe und Verantwortung kreisende Collage mit strenger Struktur: ein Gedicht für jeden Monat. Im März findet „sie“ Erotik („letzte Nacht, als sie ihn geritten hat“) und „Liebe, wo man festhalten, loslassen muss“. Im April schmeckt „das Müsli salzig“ von ihren Tränen. Es wird die alles entscheidende Frage gestellt: „Wahrheit oder Pflicht“? Bleibt „sie“ bei „ihm“ „wegen der Kinder“ oder beginnt sie ein neues, eigenes Leben – wie überall „anspruchsvolle weibliche Singles“? Im August überwiegt die Ängstlichkeit, „Zittern und Zagen“, habe „Oma“ gesagt. Und sie resümiert „Identität kommt später“. Das heiter-elegische „Himmel, Hölle hüpfen“ sieht sie im Dezember mit dem „richtigen Abstand“. Es sei die Entscheidung zwischen „Loft oder Reihenendhaus“. „Gibt es ein Wir auf dem Pfad der Dämmerung?“
Dirk von Petersdorffs minimalistische Verse erlauben einen unverstellten und erfrischend unvoreingenommenen Blick auf moderne Beziehungen. Die Frau erblüht als das selbstbewusste, ihr Leben selbst bestimmende Wesen, das sich nicht unterdrücken lässt. „Und sie besiegt ihn wieder“, erkennt das lyrische Ich. Ob im Bett (sie „reitet ihn nieder, im Rhythmus des Heulens“) oder in der Rolle als Mutter: „wir lernen, uns über Wasser zu halten“.
Das Wasser ist ein zentrales Motiv der Gedichte. Nicht nur sich selbst über Wasser zu halten, wird dem Leser anempfohlen, sondern das Wasser wird zum immer wiederkehrenden Symbol der Liebe und des Lebens. Ein Kanufahrer sticht ins Wasser, jener Quelle des Lebens. Als See liegt das Wasser still und lässt „sie“ frösteln. Als Meer zeigt es sich lebendig, in ständiger Bewegung. Am Wasser „und überm Wasser hängen die Versprechen“. Wie in den Gemälden Peter Doigs kehrt das Kanu in den Gedichten wieder – als „langes kühles Paddelziehen“ und als „feuerrotes Kanu“. Das Gemälde „100 years ago“ dient als Ausgangspunkt für eine wilde Verscollage. Was verbirgt sich unter der Oberfläche dieser Beziehungsanalyse und Gefühlsausdrücke? Wie der unheimliche Kanufahrer in „100 years ago“ sollte der Leser sich fragen, was ihm entgeht, wenn er sich nur auf das konzentriert, was unmittelbar ins Auge springt. Viele Bilder wiederholen sich in den Gedichten von Dirk von Petersdorff: ein enigmatischer „Hang zur Symbolik“, mutmaßt das lyrische Ich, oder doch mehr?
Es muss indes nicht alles ernst genommen werden. Den Worten ist eine gehörige Portion Ironie untergehoben: „Es ist nicht nur zum Heulen, nein sie heult“. Dann wird Volleyball gereimt auf und definiert als „Verwirrung, Schweiß und Bodenhall“. Petersdorff greift Teile des kulturellen Wissens auf, die sich der Komplexität verweigern. Doch gerade diese Mischung aus Ironie und Metaphorik, aus Pop und Poesie, ein „Blüten- und Benzingemisch“ – so der Titel eines der Gedichte –, ist das Besondere. Es ist eine facettenreiche, junge Lyrik. Die Gedichte sind klar, gegenwärtig und tiefsinnig. Ein Höhepunkt moderner Lyrik!
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