Zwischen eisiger Kälte und großer Warmherzigkeit
John Lennons Briefe enthüllen den widersprüchlichen Charakter ihres Autors
Von André Schwarz
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEr war der Intellektuelle, der eigentliche Kopf der Beatles. Ein fantastischer Songschreiber, ein begnadeter Musiker. Ein Kämpfer für eine friedliche Revolution, der zusammen mit Yoko Ono im Bett liegend in einem Hotel in Amsterdam die Welt retten wollte. Ein Despot, einer, der keine andere Meinung zulassen wollte, dessen Unnachgiebigkeit das Ende der Beatles heraufbeschwor. Ein knallharter Geschäftsmann, der kalt lächelnd sein Vermögen vermehrte, der sein Image nutzte, um seine Interessen durchzusetzen. All dies sind Bilder, die von John Lennon im Laufe der Jahre mal mehr, mal weniger deutlich gezeichnet wurden. Der Mensch hinter all diesen Bruchstücken blieb, trotz hunderter Biografien, Dokumentationen und Berichten, immer im Dunkeln, im Diffusen.
Hunter Davies‘ Ausgabe seiner Briefe mit dem schlichten Titel „The John Lennon Letters“, schafft hingegen etwas, was man kaum vermutet hätte: Hinter all diesen Zetteln, hingekritzelten Notizen, Postkarten und ausführlichen Briefen wird Lennon sichtbar, gewinnt Kontur. Und sie zeigen einen verletzlichen Menschen, oft widersprüchlich, oft böse, oft aber auch liebevoll, in manchen Fällen geradezu berührend sensibel. Einen Menschen voller Humor, mit scharfem Intellekt, aber auch erschreckend naiv und unbedacht. Kein Genie, kein Jedermann, aber eine faszinierende Persönlichkeit. Dass diese Briefe überhaupt veröffentlicht werden konnten, das ist das Verdienst der akribischen Recherche von Davies. Denn viele Selbstzeugnisse und Briefe Lennons waren lange verschollen, oder aber Gegenstand heftiger Rechtsstreitigkeiten, nicht nur zwischen Paul McCartney und Yoko Ono. Viele der Schriftstücke hatte Lennon an Fans und vage Bekannte geschickt. Davies trug diese über Jahre hinweg zusammen, ordnete sie chronologisch und kommentiert sie nun in seinem Buch kenntnisreich. Sein immenses Hintergrundwissen ufert zwar bisweilen ein wenig aus, für den Leser des Bandes sind seine Ausführungen aber immer ein Gewinn, ob man nun Beatles-Experte ist oder nicht. Davies erläutert, wertet aber nicht, er lässt dem Leser einen Freiraum, um sich seinen eigenen Lennon zu erarbeiten.
Und manchmal ist die Geschichte hinter dem Brief gar spannender als der Inhalt selbst. Zu einem beinahe rührenden Brief, in dem Lennon einem 14-jährigen Mädchen auf Beatles-Fan-Club-Papier schreibt, dass er verheiratet sei und seine Frau Cindy heiße, schreibt Davies nicht nur, wann und unter welchen Umständen dieser entstand, sondern auch, auf welch abenteuerliche Weise er an diesen Brief kam.
Viele der Briefe dienen vor allem dazu, die Hintergründe zwischen den bekannten biografischen Fakten zu beleuchten, geben Einblick in das komplexe und gleichzeitig filigrane Gefüge der „Beatles“, besonders die Beziehung zwischen Paul McCartney und Lennon. Viele der bisweilen boshaften Briefe, die Lennon seinem alten Freund schickte, zeugen von Verletzungen, von Missverständnissen. Dazwischen finden sich aber auch immer wieder anerkennende Worte, Vertrautheiten, die man zu dem Zeitpunkt nicht erwartet hätte. Fast könnte man in diesen Zeiten von einer Hassliebe sprechen, miteinander arbeiten konnten sie nicht mehr, ohne einander sein aber auch nicht.
Manche der Schriftstücke zeigen, wie sich Lennon Gedanken macht über die Gesellschaft, in der er lebt, wie er Lösungsvorschläge bedenkt, sich dafür einsetzt, dass diese Welt eine bessere sein kann. Hier gewinnt der Intellektuelle an Kontur, der sich in der Verantwortung sieht. Viele der Texte wirken wie ein verschriftlichtes Denken, Halbsätze, Auslassungen kennzeichnen den Lennon‘schen Bewusstseinsstrom. Hier sieht man, wie die Gedanken und Schlussfolgerungen entstehen, politische und philosophische Positionen abgesteckt werden.
Die Briefe sind nicht nur für Beatles-Enthusiasten ein Gewinn, man kann sich darin festlesen, man kann in diesem Konvolut stöbern und entdeckt immer wieder Neues, Ungehörtes, Unvermutetes. Es macht schlicht und ergreifend Spaß, herumzublättern und zu lesen – Brief für Brief, Notiz für Notiz. Besonders schön sind hier die Postkarten, die Lennon an Freunde schrieb. Manchmal ist es einfach nur herzerfrischender Unsinn, den er verfasst, oft zeigt sich – gerade in den Postkarten an Ringo Starr – zwischen den Zeilen die Zuneigung, die die Jungs aus Liverpool allen Streitigkeiten zum Trotz füreinander hegten. Oder die Briefe an seinen Sohn Julian, die Lennon als liebevollen Vater zeigen. All diese Facetten lohnen die Lektüre, Davies’ Buch ist ein Highlight, das in keiner Beatles-affinen Sammlung fehlen sollte und die wohl beste aller Lennon-Biografien, auch wenn sie als kommentierte Briefesammlung daherkommt.
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