Ein Meister der kurzen literarischen Form

Peter Bichsel hält in seinem Prosaband „Mit freundlichen Grüßen“ Zwiesprache mit dem Leser und mit sich selbst

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass der Schweizer Autor Peter Bichsel (Jahrgang 1935) ein Meister der kurzen literarischen Form ist, hat er schon in zahlreichen Ausgaben bewiesen. Nun liegt mit „Mit freundlichen Grüßen“ eine weitere Auswahl von Kurz- und Kürzestgeschichten vor. Der Autor selbst nennt sie „Kolumnen“, die seit vielen Jahren schon in der „Schweizer Illustrierten“ veröffentlicht werden.

Der schmale Inselband versammelt insgesamt 38 dieser kurzen Prosatexte, die meist nur vier, fünf Seiten lang sind. Bichsel erzählt darin vor allem von alten Freunden und Bekanntschaften, die in seinem Leben eine Rolle gespielt haben oder denen er zufällig begegnet ist. Gleich in der Auftaktgeschichte „Meine langen Reisen nach Biel“ berichtet er von seinem Freund Jörg Steiner, den er nur bei der täglichen, nicht einmal fünfzehn Minuten dauernden Bahnfahrt von Solothurn nach Biel kennengelernt hat und mit dem er während dieser kurzen Reisen eine eigene, gemeinsame Sprache entwickelte. Und als der Freund verstorben ist, fragt sich der Autor ratlos „Mit wem soll ich jetzt darüber sprechen?“ Auch Egon ist so ein alter Freund, den er einmal in einem Café getroffen hatte, und der inzwischen zu seinem wichtigsten Leser und Kritiker geworden ist.

In anderen Geschichten lernt der Leser Burgel Zeeh, die ehemalige Sekretärin von Siegfried Unseld, oder einen Obdachlosen aus New York kennen. Oder man sitzt irgendwo in einer Runde und jemand stellt zufällig die Frage: „Hast du je noch etwas von Haberthür gehört?“ Und plötzlich erinnern sich alle an Haberthür, der nun auf einmal schmerzlich vermisst wird. In der abschließenden Titelgeschichte erzählt Bichsel noch einmal von einem alten langjährigen Freund, den er nun im Spital besucht und ihn dabei mit der kindlichen Frage „Willst du mein Freund sein?“ überrascht.

Zwischen den Zeilen kommen immer wieder liebgewonnene Erinnerungen auf. Die kurzen Geschichten verführen oft zu einer flüchtigen, unreflektierten Lektüre, dabei lässt Bichsel in die Geschichten all seine Menschenkenntnis und Lebenserfahrung einfließen. Er versteht es geschickt, hinter der Belanglosigkeit das Wesentliche zu verstecken. Selbst Gesellschaftskritik wird so verschmitzt getarnt. Dahinter steckt das Leiden des Schweizers an dem, was er an seinem Heimatland liebt und was ihn maßlos enttäuscht. Diese verschleierte Kritik hinter Alltäglichem und Banalem – der Leser wird sie in vielen Geschichten entdecken. Eine wunderbar nachdenkliche Lektüre.

Titelbild

Peter Bichsel: Mit freundlichen Grüßen.
Insel Verlag, Berlin 2014.
189 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783458360452

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